Das klingt ziemlich professionell.
Es ist tatsächlich beeindruckend, wie gut strukturiert und organisiert die sind. Außerdem sehr flexibel − auf geänderte Umstände reagieren sie unheimlich schnell und effektiv. Man muss sich vor Augen halten, dass diese Leute 24 Stunden pro Tag damit beschäftigt sind, Lücken in unserem System ausfindig zu machen und die Schwachstellen auszunutzen, um die Festung Europa zu infiltrieren.
Weshalb sind diese Netzwerke so schwierig zu zerschlagen?
Ein Grund ist, dass Schleuser seit Jahren stabile „Marktbedingungen“ vorfinden, sprich: Es gibt immer irgendwo Krisen oder Kriege, die verzweifelte Leute dazu veranlassen, ihre Heimat zu verlassen. Und da es eben kaum legale Wege gibt, nach Europa zu kommen, passiert es auf illegalem Weg mit Schleusern. Ein anderer Grund ist, dass Europa meistens nicht die großen Bosse, sondern die kleinen Fische dingfest macht, etwa die Steuermänner der Schiffe − manchmal selbst nur Flüchtlinge, die sich so die Kosten für die Überfahrt ersparen. Leute wie diese Steuermänner sind jedoch nur das letzte, unbedeutende Glied in der Kette des Schleusernetzwerks. Wird einer verhaftet, ist der nächste schon zur Stelle.
Der neueste Plan der EU: Militärisch vorgehen und vor der libyschen Küste die Boote von Schleusern zerstören. Was bringt das?
Kurzfristig vielleicht einen punktuellen Erfolg. Langfristig bringt es nichts. Denn die Schleuser werden umgehend auf die neuen Umstände reagieren und ihre Routen sowie Methoden anpassen. Die sind extrem wendig und flexibel. Man muss sich das wie mit einem Fluss vorstellen: Versucht man ihn an einer Stelle zu stauen, sucht sich das Wasser sofort einen neuen Lauf.
Ist das florierende Schleusergeschäft ein Spiegel der Asylpolitik Europas?
Ein Schleuser hat uns einmal gesagt: ‚Je mehr ihr die Grenzen der Festung Europa hochzieht, umso besser für unser Geschäft. Wir verlangen einfach höhere Preise.‘ Und tatsächlich: Auf diese Weise fördert die EU nur die Nachfrage nach Schleuserdiensten. Man muss sich vor Augen halten, dass das ein riesiger Markt mit riesigen Profiten ist − nach dem Drogenhandel das einträglichste Geschäft: Es wird auf zehn Milliarden Dollar jährlich geschätzt. Mein Kollege und ich haben ausgerechnet, dass allein der Menschenschmuggel übers Mittelmeer auf 600 Millionen Euro pro Jahr kommt.
Was muss Europa tun, um den Schleusern die Geschäftsgrundlage zu entziehen?
Das Thema ist komplex, gute Lösungen werden ebenfalls komplex sein. Einer von vielen Punkten, wo man jedoch einhaken könnte: Derzeit sind selbst jene Flüchtlinge, die vor Kriegen fliehen und Recht auf politisches Asyl in Europa haben, gezwungen, für eine Menge Geld kriminelle Schleuserdienste in Anspruch zu nehmen − um ihr Recht auf Asyl überhaupt wahrnehmen zu können! Eine Möglichkeit wäre, in Tunesien oder der Türkei sichere Lager zu errichten, wo die Flüchtlinge bereits Asyl beantragen können. So brauchen sie für die gefährliche Mittelmeer-Reise keine Schleuser. Ein Teil deren Geschäftsgrundlage wäre weg. Ein weiterer Punkt: Wir müssen koordiniert gegen die Big Bosse im Menschenschmuggel vorgehen. Wir haben Schleuser getroffen, die sich lustig über Europa machen, weil wir so unorganisiert sind. Das Wichtigste aber ist: Die EU braucht dringend eine Vision für eine einheitliche und humane Migrationspolitik. Derzeit sieht sie nur die Spitze des Eisberges und bekämpft Symptome.