Scheitern sollte nach Möglichkeit vermieden werden. Dennoch sind schlechte Noten in der Schule kein Weltuntergang. Sie sind eher ein Anlass, eine professionelle Beratung in Anspruch zu nehmen.

Stuttgart - Scheitern ist ganz bitter und sollte nach Möglichkeit vermieden werden“, sagt Barbara Graf. Damit spricht sie sicher vielen Eltern aus der Seele. Dennoch erlebt es die Leiterin des Hegel-Gymnasiums immer wieder, dass Schüler kein Land mehr sehen, in den Leistungen abrutschen oder im Verhalten auffällig werden – oder auch beides. Das könne natürlich viele Ursachen haben. „Wir bemühen uns um eine saubere Diagnose“, versichert die Pädagogin.

 

Zunächst schaue man sich die Leistungen des Schülers genauer an. Ein Test beim Beratungslehrer liefere weitere Erkenntnisse, etwa über Intelligenz und Konzentrationsfähigkeit. Ein sehr gutes Instrument, um mit den Eltern über den aktuellen Leistungsstand zu sprechen, seien auch die Diagnose- und Vergleichsarbeiten.

Es zeige sich immer wieder, dass es Kinder gebe, die mit den Anforderungen der gewählten Schulart überfordert seien. Dieser Trend habe sich in diesem Schuljahr verstärkt. Da die Grundschulempfehlung nicht mehr verbindlich ist, durften erstmals die Eltern entscheiden, auf welche Schulart ihr Viertklässler wechselt. Graf und ihre Kollegen schätzen, dass rund jeder zehnte Fünftklässler im Gymnasium mit den Anforderungen dort nicht zurecht kommt. Grafs Werkrealschul-Kollegin Renate Schlüter von der Elise-von-König-Schule beschreibt das so: „Das Schlimmste ist, wenn Eltern sich bei der Schulart verwählen und das Kind spielt von Anfang an gegen den Abstieg.“ Man wisse ja auch, so Schlüter: „Wenn ein Fußballspiel schlecht läuft, dann gibt’s viele Fouls – das ist bei den Schülern genauso.“

Das Glück des Kindes steht im Mittelpunkt

Doch solche Fehlentscheidungen über die Schullaufbahn können korrigiert, am besten allerdings gleich vermieden werden, meint Graf. Wie? „Indem man gemeinsam klärt, was das Glück des Kindes ist – und ob dies in einer anderen Schulart besser zum Tragen kommen könnte“, sagt Graf. Denn genau darum gehe es: „Ziel muss sein, dass es den Kindern gut geht.“

Häufig liege die Ursache für die Probleme zudem aber auch an Schwierigkeiten im familiären Umfeld, berichtet Graf. „In krassen Fällen, etwa bei Todesfällen oder Scheidungen, gibt uns die Noten- und Versetzungsordnung die Möglichkeit, zugunsten der Kinder eine Prognose abzugeben, dass sie sich im Rahmen eine halben Jahres wieder fangen können. Das gilt auch für Krankheiten des Kindes.“

Von Sitzenbleiben hält die Gymnasialleiterin grundsätzlich nicht so viel: „Alle Studien sagen, dass das wenig effizient ist. Denn meist landen diese Schüler wieder im unteren Teil der Klasse.“ Es gebe allerdings auch positive Beispiele. So habe eine Schülerin berichtet: „Seit ich wiederhole, habe ich begonnen zu lernen.“ Dann, so Graf, „ist das der Weckruf gewesen – prima.“ Dennoch hält sie es für sinnvoller, Schülern mit einer Probeversetzung ein Angebot zu machen. Das funktioniere allerdings nur, wenn die Lücken des Schülers nicht allzu groß seien.

Eltern sollten nach Möglichkeit keinen Druck aufbauen

„Wir wünschen uns, dass die Eltern auf die Beratungskompetenz der Schulen, der Beratungslehrer und der Schulpsychologischen Beratungsstelle vertrauen“, sagt Graf. Letzteres geschieht offenbar zunehmend, wie Irmgard Sinning-Brinkmann berichtet. Sie leitet die Schulpsychologische Beratungsstelle des Staatlichen Schulamts. „Zu uns kommen Schüler, Eltern und auch Lehrkräfte“, sagt sie. „Je früher man Beratung aufsucht, desto eher kann man was auffangen.“

„Wir haben sehr viele Anfragen wegen Verhaltensauffälligkeiten, aber auch wegen Mobbing“, berichtet die Psychologin. Doch zu ihr und ihren Kollegen kommen nicht nur Schüler, die schon aus mehreren Schulen rausgeflogen sind, sondern auch Familien, die unsicher sind, welche Schullaufbahn für ihr Kind die richtige ist. Dabei zeige man den Familien auch alternative Wege auf. Kurz vor Weihnachten sowie kurz nach der Halbjahresinformation und kurz vor den Sommerferien gebe es die meisten Anfragen. Sinning-Brinkmann betont aber auch: „Wir sind eine Beratungsstelle, unterliegen der Schweigepflicht, sind neutral – entscheiden tun die Eltern.“

Jeder Einzelfall sei anders gelagert, auch bei schlechten Noten müsse man genau hingucken. Grundsätzlich empfiehlt die Psychologin aber: „Eltern sollten nach Möglichkeit keinen Druck aufbauen. Sie sollten Kinder ermutigen, wenn mal eine Arbeit daneben gegangen ist.“ Und noch etwas legt Sinning-Brinkmann Familien ans Herz: „Es ist wichtig, dass Eltern auf alle Fälle die Person wertschätzen – und Person und Verhalten trennen.“ Auch schwierige Kinder hätten ihre positiven Seiten – und die sollten honoriert werden.