Ministerpräsident Winfried Kretschmann nimmt seinen bayerischen Kollegen Markus Söder auf den Arm. Streit will er aber keinen.

Stuttgart - Wenigstens in dieser Amtsstube des Landes Baden-Württemberg findet sich das Kreuz: „In meinem Dienstzimmer hängt eine moderne Darstellung eines Kruzifixes“, sagt Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Er fügt aber schnell hinzu, dass er keinesfalls plane, dies zur Vorschrift zu machen. „Ich habe nicht die Absicht, im Flur des Staatsministeriums ein Kreuz aufzuhängen.“ Wenn seine Mitarbeiter diese wollten, würde er sich nicht dagegen stemmen. Aber vorschreiben? Nein!

 

Kretschmann ist bekennender Katholik. In den Medien wird er gern als strenggläubig beschrieben. Man kann davon ausgehen, dass ihm das einerseits gut gefällt, weil seine Bodenständigkeit darin zum Ausdruck kommt und auch eine gewisse Wertebindung. Auf der anderen Seite ist ihm es dann doch zu viel des Weihrauchs, weshalb er im persönlichen Gespräch bekennt, ein zweifelnder Christ zu sein. Die Wahrheit liegt wahrscheinlich in der Mitte. Kretschmann hegt Gottvertrauen, obwohl er als Naturwissenschaftler weiß, wie unwahrscheinlich die Existenz Gottes im Lichte rationalen menschlichen Erkennens doch eigentlich ist.

Kretschmann nimmt Söder auf den Arm

Dass Kretschmann und das Kreuz überhaupt Thema werden konnte, ist Markus Söder in Bayern zu verdanken, dem Novizen in der Gemeinschaft der Ministerpräsidenten. Söder verfügte, dass in bayerischen Landesbehörden ein Kreuz zu hängen habe. Er will das als Referenz ans christlich-abendländische Kulturerbe verstanden wissen. Der bayerische Ministerpräsident als Identitätsbewahrer, das ist die Botschaft. Tatsächlich dürfte er aber etwas deutlich Profaneres im Sinn haben: Die Landtagswahl im Herbst, bei der es für die CSU einmal mehr um die absolute Mehrheit und für Söder um Glanz oder Elend geht.

Es steht also viel auf dem Spiel für Söder. Er wird deshalb wenig Freude daran gehabt haben, wie ihn Kretschmann in der „Süddeutschen Zeitung“ auf dem Arm nahm. In dem Münchner Blatt charakterisierte Kretschmann die bayerische Kreuzaktion als Ausdruck einer „rückwärtsgewandten Form von Konservativismus“. Beim Betrachten des Fotos, das Söder mit einem Kreuz in der Hand vor einer weißen Wand stehend zeigt, habe er an Vampir-Filme denken müsse. „Als wolle da jemand mit einem drohend erhobenen Kruzifix irgendeine Gefahr abwehren.“ Er habe das Bild als skurril empfunden. Nach der jüngsten Kabinettssitzung auf Söders Kreuzerlass angesprochen, sagte Kretschmann: „Wir sind ein christlich geprägtes Land.“ Die Landschaft sei durchwogen von christlichen Symbolen: Wegkreuzen, Gipfelkreuzen, Heiligenfiguren. Aufgestellt worden seien sie von gläubigen Menschen aus freiem Willen. Das könne man nicht erzwingen. Kretschmann weist auch auf die Rechtslage hin: Soweit das Christentum seine besondere Prägekraft entfalte, sei es im öffentlichen Raum geschützt. Für die Schulen im staatlichen Bereich gelte: Wenn sich gegen ein Kreuz im Schulzimmer Widerstand rege, soll über das Gespräch eine Lösung gesucht werden, im Extremfall müsse es abgehängt werden.

Beim Fußball mit Seehofer

Man darf gespannt sein, ob Söder die Größe hat, Kretschmanns Frotzeleien als solche zu nehmen. Oder ob er beleidigt ist. Das Stuttgarter Staatsministerium beteuert, dass man die Zusammenarbeit auf der Südschiene fortsetzen möchte. Kretschmann und Söders Vorgänger Horst Seehofer hatte nach anfänglichem Fremdeln ein durchaus vertrauensvolles Verhältnis verbunden.

Bei einer Ministerpräsidentenkonferenz einige Zeit nach dem Machtwechsel im Südwesten 2011 fanden Kretschmann und Seehofer zusammen. Seehofer leitete seine Rede, die auf einen Beitrag Kretschmanns folgte, mit den – für baden-württembergische Ohren allerdings zweischneidigen – Worten ein: „Herr Kretschmann ist zwar kein Bayer, aber er redet wie ein Bayer.“ In der Folgezeit trafen sich die beiden auf den Fußballtribünen des Südens. Kretschmann suchte geradezu Seehofers Nähe, weil er sich davon beim konservativen Publikum Kredit erhoffte.

Seehofer gilt Kretschmann als zuverlässig. Das sagen nicht viele über den CSU-Politiker, der jetzt Bundesinnenminister ist. Mit Seehofers Nachfolger Söder traf sich Kretschmann bisher ein Mal zum persönlichen Gespräch. Aber die beiden sind doch sehr verschieden: der kraftmeierische Bayer und der machtpolitisch nicht weniger ambitionierte, aber argumentativ breiter aufgestellte Kretschmann.