Künstler Ben Willikens „Die Aufklärung war für die Tonne“

Ben Willikens im Schauwerk Sindelfingen vor seinem „Abendmahl“ (1976/79), Deutsches Architekturmuseum, Frankfurt am Main Foto: © VG Bild-Kunst, Bonn 2022

Das Schauwerk Sindelfingen zeigt Werke des überhaupt nicht altersmilden Malers Ben Willikens. Im Interview spricht er über private und zeitgeschichtliche Hintergründe seiner Kunst.

Trotz des Sommerwetters erscheint Ben Willikens ganz in Schwarz – ein unübersehbarer Gegenpol zu den weißen Monumentalräumen, für die sein Schaffen bekannt ist. Der Künstler verrät, wie er als junger Mann in die Psychiatrie kam, was er in Italien gelernt hat und wovon Maler nachts träumen.

 

Herr Willikens, Sie gelten als Architekturmaler. Haben Sie auch Erfahrungen mit anderen Motiven?

Doch, selbstverständlich. Obwohl mein Lehrer an der Stuttgarter Akademie, Heinz Trökes, zu den Vertretern der Abstraktion gehörte, stand dort viel figürliches Zeichnen auf dem Arbeitsplan, insbesondere Aktzeichnen. Meinen heutigen Stil habe ich erst später gefunden.

Warum interessiert der Mensch Sie nicht mehr?

Der Mensch hat niemals aufgehört, mich zu interessieren. Allerdings geht es mir um die Spuren, die er hinterlässt. Architektur ist eine Biografie unserer Spezies. Es gibt sakrale Räume wie Kathedralen, die der Sehnsucht nach Transzendenz Ausdruck verleihen, zweckdienliche Räume wie Plattenbauten und schließlich das, was Michel Foucault „Räume des Anderen“ genannt hat. Orte, an denen die Gesellschaft das Auffällige absondert. Dort hat meine Kunst begonnen.

Inwiefern?

Nun, ich komme aus dem sozialen Untergrund. Als Flüchtlingskind lebte ich viele Jahre in Heimen und Baracken. Während des Gastsemesters in London hatte ich ein Zimmer in einem Bordell – einfach, weil das in der billigsten Gegend lag. Zusammen mit Drogen und familiären Krisen führte diese Situation zu einem Nervenzusammenbruch, sodass ich in der geschlossenen Psychiatrie landete.

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Entstand dort der beklemmende Zyklus der „Anstaltsbilder“?

Die Bilder habe ich später gemalt. Während des Aufenthalts konnte ich nur kleine Skizzen zeichnen. Auf der Bahre, die Sie dort hinten auf einem Bild sehen, hat man mich für Elektroschocks festgeschnallt. Hinterher bekam ich Valium gespritzt. Ich begreife die Serie jedoch nicht nur als Kritik an den Methoden der damaligen Psychiatrie, sondern auch als Sinnbild für den Utopieverlust, den meine Generation im Krieg und in der Nachkriegszeit erfahren hat. Deutschland war in den 60ern immer noch verseucht von Nazis. Nach der Klinik wollte ich keine Menschen mehr malen, weil ich den Glauben an die Menschheit verloren hatte. Was gerade in Osteuropa passiert, scheint mich zu bestätigen. Humanismus und Aufklärung können Sie in die Tonne kicken!

Ihr wohl berühmtestes Bild ist eine Version von Leonardo da Vincis „Abendmahl“, aus der sämtliche Figuren verschwunden sind. Setzt sich damit die frühe Desillusionierung fort?

Der Erfolg dieses Bildes liegt vermutlich in seiner Mehrdeutigkeit. Für mich drückt die grelle weiße Zone hinter den Wanddurchbrüchen tatsächlich etwas Apokalyptisches aus. Einen Atomblitz. Die Theologen dagegen sehen darin das Licht der Hoffnung. Wieder andere betonen die formalistische Auseinandersetzung mit der modernen Baukunst. Vielleicht, weil das Gemälde dem Deutschen Architektur-Museum in Frankfurt gehört.

Beschäftigt Sie der international erstarkende Neofaschismus? Kürzlich haben Sie das Labor des Auschwitz-Arztes Josef Mengele zum Thema gemacht.

Die Bedrohung der persönlichen Freiheit zieht sich als roter Faden durch mein gesamtes Schaffen. Tagespolitische Entwicklungen zu kommentieren ist aber nicht die Aufgabe der Malerei. Der Grund für das Mengele-Bild lag in meiner Biografie. Als Psychiatriepatient wäre ich von den Nazis auch euthanasiert worden.

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Nicht nur bei dem Abendmahl spürt man als Betrachter den Einfluss der Renaissance. Waren Ihre Stipendienaufhalte in Rom und Florenz in dieser Hinsicht prägend?

Vor allem habe ich in Italien gelernt, dass man sich ordentlich anzieht (lacht). Aber auch konzeptuell erhielt ich viele Anregungen. Anders als die deutsche oder altflämische Kunst ist die italienische im positiven Sinne oberflächlich. Zuerst wird der Raum gemalt und erst dann überlegt man sich, wo die Madonna hinpasst.

Sie waren Professor in München und haben viele Generationen von Studenten ausgebildet. Was ist das beste Erfolgsrezept für einen jungen Maler?

Erfolgsrezepte gibt es nicht, nur Fundamente, die man kennen muss. Das fängt schon beim Zimmern von Keilrahmen an. Malerei ist Maloche. Und in keinem anderen Metier erscheinen Ihnen im Schlaf so viele Geister von großen Genies, die einem hämisch zuflüstern: „Ausgerechnet du kleiner Knilch willst berühmt werden…“

Willikens und sein Werk

Künstler
  1939 in Leipzig geboren, kam Willikens als Achtjähriger in den Westen. Er studierte Philosophie, dann Kunst an der Stuttgarter Kunstakademie. 1970 erhielt er den begehrten Villa-Romana-Preis, 1972 ein Stipendium der Villa Massimo in Rom. Ab 1991 lehrte er an der Münchener Kunstakademie, die er zeitweise auch als Rektor leitete. Ben Willikens lebt in Stuttgart.

Ausstellung
  Das Sindelfinger Schauwerk (Eschenbrünnlestraße 15) zeigt Arbeiten aus über 50 Jahren, Mi–So 11–18 Uhr. 

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