Das Pfahlbaumuseum am Bodensee feiert sein 100-jähriges Bestehen. Das Interesse an ihm hält überraschenden Vergleichen stand.

Unteruhldingen - Nur von der Spanischen Grippe, die Millionen Menschen dahingerafft hat, sind sie verschont geblieben. Aber Not herrscht allenthalben Anfang der 1920er-Jahre. Trotzdem tun 67 Handwerker, Politiker, Künstler, Anwohner sowie ein Däne, Schweizer und ein Engländer wie auch Württemberger Fabrikanten einen Schritt aus der Hoffnungslosigkeit, der noch heute Bedeutung haben soll: Sie gründen am 12. März vor 100 Jahren den „Verein für Pfahlbau- und Heimatkunde“, um das Geschichtserbe unter Wasser wieder zum Leben zu erwecken und der Öffentlichkeit zu zeigen.

 

Nicht nur das Pfahlbaumuseum in Unteruhldingen, über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt und das älteste in seiner Art, ist in der Folge entstanden – auch die Pfahlbauforschung wurde damit nach vorne gebracht. Gunter Schöbel, der am Institut für Ur- und Frühgeschichte und Archäologie des Mittelalters der Eberhard Karls-Universität in Tübingen lehrt und seit 1993 Museumschef ist, sagt: „Ich habe allergrößten Respekt vor dem Mut und der Weitsicht dieser Menschen.“

Kritiker schmähen das Museum als Disneyland

Mehr als 15,5 Millionen Museumsbesucherinnen und -besucher in 100 Jahren, vor Corona bis zu 300 000, seither immer noch bis zu 230 000 im Jahr, Schöbel präsentiert Zahlen, die überraschenden Vergleichen standhalten – wie dem mit der Stuttgarter Staatsgalerie. Der Archäologe steht auf einem der Holzstege, die übers Wasser zu den Pfahlbauhäusern aus der Bronze- und Steinzeit (4000 bis 850 v. Chr.) führen. Die Bauten sind aus Eichen- und Robinienholz rekonstruiert – bei Ausgrabungen hat man allenfalls Reste von Pfählen und Gebrauchsgegenstände gefunden. Als „Pfahlbau-Disneyland“ tun Kritiker deshalb das Museum, das nach wie vor von seinem Verein getragen wird, ab, was aber Schöbel nicht anficht. Er, der auch Taucharchäologe ist, will so vielen Menschen wie möglich ein Bild dieser längst vergangenen Zeit vermitteln.

„Manchen genügt eine Beschreibung, damit sie etwas visualisieren können. Für diejenigen, die das können, sind wir da, aber eben auch für andere“, sagt er. So ist es für ihn klare Sache, dass „Uhldi“, der Pfahlbaubewohner aus der Steinzeit, auch im Jubeljahr „wiederbelebt“ wird und in den Pfahlbauten, die das UNESCO-Weltkulturerbe vermitteln, angetroffen werden kann. „Wir haben mit dieser Art und mit unserem dezentralen Ansatz der Kulturvermittlung positive Erfahrungen gemacht“, sagt der Museumschef.

Neue Forschungserkenntnisse werden fortgeschrieben

Am 12. März 1922 gegründet, hatte der Verein den Plan fürs Museum am 15. März fertig und drei Wochen später genehmigt. Am 1. August standen die ersten beiden Pfahlbauhäuser. Im Laufe der Zeit kamen weitere hinzu. Stets orientiere man sich an den neuen Erkenntnissen der Pfahlbauforschung und schreibe diese im Museum fort, betont der Museumschef.

So kommt es, dass mittlerweile 23 Pfahlbauhäuser besichtigt werden können. Auch ein Einbaum, der einem am Starnberger See ausgegrabenen nachgebaut wurde, liegt im Wasser, als wollten die Pfahlbaubewohner gleich mit ihm zum Fischfang ausfahren, und sobald das nötige Geld da ist, wird Schöbel auch den ältesten Einbaum Bayerns aus dem 12. Jahrhundert vor Christus, der vor Wasserburg gefunden wurde, von Experimentalarchäologen nachbauen lassen – der Baumstamm jedenfalls ist schon da.

Der Rundgang beginnt in der Natur eines Uferwalds

Auf einer Strecke von 800 Metern tauchen die Besucherinnen und Besucher in 10 000 Jahre Geschichte ein, reisen ans Ende der Eiszeit und wieder zurück. Der Rundgang führt zunächst durch die Natur eines Uferwaldes, wie er früher überall bestand, mit typischen Pflanzen und Bäumen. Steinzeitdörfer am Strand folgen, dann die befestigten Siedlungen der Bronzezeit auf dem Wasser. Dargestellt ist auch, wie die Menschen ihre Werkzeuge, beispielsweise Beile aus Steinen, hergestellt oder ihr Essen zubereitet haben.

Den heutigen Menschen, sagt der Museumschef, hätten die Pfahlbaubewohner noch manches zu sagen. „Sie wussten beispielsweise, dass sie ihre eigene Lebensgrundlage gefährden, wenn sie zu viele Bäume fällen“, sagt der Archäologe, dem demnächst das Bundesverdienstkreuz am Bande, die höchste Auszeichnung der Bundesrepublik Deutschland, für seine Verdienste rund um die Welterbestätte verliehen wird. Sie hätten die Kunst verstanden, mit dem Wenigen, was sie hatten, zu haushalten. Besserwisserisch will aber weder der Museumschef noch einer seiner 60 Mitarbeiter daherkommen. „Wir freuen uns, wenn wir unseren Gästen, unter denen viele Familien sind, ein Erlebnis bieten können.“ Auch der Mut der Museumsgründer ist für Schöbel vorbildlich. „Den brauchen wir wieder in diesen Zeiten, um nach vorne zu kommen.“