Autokinos galten als Auslaufmodell. Die Corona-Krise sorgt für ein fulminantes Comeback. Das größte deutsche Festival für ein Publikum auf Rädern startet am 28. Mai auf dem Wasen. Geplant sind 50 Konzerte und 120 Kinovorstellungen.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Endlich! Der schwäbische Kabarettist Heinrich Del Core macht Freudensprünge, weil er nun zurück auf die Bühne darf. „Hab’ bereits für acht Autokino-Auftritte zugesagt“, berichtet er. Sein erstes Mal vor Publikum in geparkten Blechkäfigen war fast so aufregend wie der erste Sex auf der Rückbank eines VW Käfers. „Skeptisch“ war der 59-Jährige, „ob das hinhaut vor Autos.“ In Bühl ist’s passiert – und es war „der Hammer“.

 

Am 21. Juni gibt Del Core humoristisch Gas auf dem Wasen. Er ist Teil eines Riesenfestivals, das bis Ende August Tag für Tag bis zu 500 Autos vor eine 240 Quadratmeter große LED-Leinwand locken soll und Gäste wie Tim Bendzko, Revolverheld, Joey Kelly, die Orsons, Bülent Ceylan sowie die Staatsoper mit der „Zauberflöte“ auf ungewohntes Terrain schickt. Del Core erklärt, wie’s funktioniert: „Du siehst Gesichter in vorderen Autos und hast also Reaktionen – ohne Feedback glaubst du, in einem Hafen der Verschiffung von Autos beizuwohnen.“

„Wer Tränen lacht, spritzt mit dem Scheibenwischwasser“

Sein Publikum hat er aufgefordert, auf die Hupe als Beifallbekundung zu drücken. „Wenn ihr Tränen lacht, spritzt mit dem Scheibenwischwasser“, wies er die Zuschauer an, „und wenn euch nach Standing Ovation ist, vergesst bloß nicht, das Schiebedach aufzumachen.“

War also ein lustiges Ding. Auf Corona-Witze will der Kabarettist weitgehend verzichten. „Die Leute haben genug von diesem Thema“, weiß er, „sie wollen wieder raus.“ Schon immer diente das Kino der Flucht aus dem Alltag. In harter Zeit sind derartige Ausflüge nötiger denn je. Zu den Filmen gesellen sich Live-Auftritte von Musikerinnen und Musiker, denen die üblichen Bühnen abhanden kommen. Sie sind heiß drauf, ihre Fans zu beglücken.

Cabrios dürfen nicht geöffnet werden

Übertragen werden die Konzerte und Kinofilme über eine eigene UKW-Frequenz. Eine Beschallungsanlage nach draußen gibt’s nicht, sodass Zaungäste und Anwohner nichts hören. Das Publikum schaltet das Autoradio ein, kann den Ton selbst regeln und wird nicht vom Popkornschmatzen der vorderen Reihen gestört. Corona sorgt für strikte Regeln: Cabrios dürfen nicht geöffnet werden. Zur WC-Kabine darf man nur mit Maske und höchstens zu zweit gehen. In den Autos dürfen maximal zwei Personen sitzen, erlaubt sind nur noch Kinder aus dem eigenen Haushalt.

Das Autokino ist mit Wucht zurück. Nachdem das Filmeschauen aus dem Pkw heraus in den letzten Jahrzehnten nur noch was für sentimentale Freaks zu sein schien, ist das gute alte Drive-in-Konzept durch die Coronakrise bundesweit zu einem Massenphänomen geworden. Die Autostadt Stuttgart ist, was die Fülle an Veranstaltungen angeht, nun bundesweit Spitze. 50 Konzerte und 120 Kinovorstellungen sind bis Ende August bisher geplant. Es könnten noch mehr werden, wenn auch im September „normale“ Auftritte nicht möglich sind. Dann werden Bühnenshows aus den Hallen auf das Festivalgelände am Neckar umgeleitet.

Die Oper kommt mit der „Zauberflöte“

„Der Wasen darf nicht nur Schauplatz von merkwürdigen Demos sein“, findet Viktor Schoner, der Intendant der Staatsoper, die sich am Programm unter anderem mit der „Zauberflöte“ beteiligt. „Kultur geht auch bei Corona“, betont er, „zur Balance braucht eine Gesellschaft Kultur.“

Um den Stuttgarter Festivalsommer wenigstens ein bisschen zu retten, haben sich etliche Veranstalter zusammengetan und ein in seiner Vielfalt beeindruckendes Spektakel zusammengestellt, dem man ein großes Publikum wünscht. Die Konzertbüros C2 und Chimperator, das Arthaus Filmtheater, die Staatsoper, das Theaterhaus und die Rosenau gehören zu den Programmmachern. „Wir wollen den Kulturwasen neben Konzerten auch für andere Kunstformen öffnen und versuchen, existenziell bedrohten Künstlern, Institutionen und Dienstleistern eine Einnahmequelle zu verschaffen“, sagt Chimperator-Geschäftsführer Matthias Mettmann.

Filmhits wie „Bohemian Rhapsody“ und „Eiskönigin 2“

Christian Langer von der A-Cappella-Gruppe Die Füenf, die am 19. Juni auf dem Wasen singt, freut sich auf seine Premiere beim Autokonzert: „Die Zeiten sind so seltsam und außergewöhnlich, dass man seltsame Dinge ausprobieren sollte.“ Seine ironische Vermutung: „Ich glaube, die Stadt hat das Autokino nur genehmigt, weil damit der Platz für Demos unbrauchbar wird.“ Peter Erasmus von Arthaus Filmtheater, der seit 42 Jahren Kinos in Stuttgart betreibt, teilt einen Seitenhieb in Richtung Rathaus aus: „Überall im Land sind die Autokinos bereits gestartet. Stuttgart ist die letzte Stadt, die es genehmigt hat, weil man gedacht hat, das Virus kriecht über die Scheiben ins Auto rein.“

Mit 240 Quadratmetern ist die Leinwand viel größer als in Autokinos sonst üblich. Das Festival startet am 28. Mai mit Filmhits wie „Bohemian Rhapsody“, „Der Junge muss an die frische Luft“ und „Eiskönigin 2“. Gespielt wird vom Nachmittag bis Mitternacht. Pro Auto zahlt man bei Filmen 24 Euro. Die Preise der Konzerte liegen in aller Regel zwischen 50 und 80 Euro pro Auto. Während es Popcorn auf dem Wasen gibt, wird der Bratwurst-Grill nicht aufgestellt; vorbestellen kann man sich Verpflegungstüten. Wer kein Auto hat, kann sich bei Car2Go ein Fahrzeug mieten. Die Ticketentwertung erfolgt kontaktlos – die ausgedruckte Bestätigung wird durch die Scheibe gescannt.

Im Netz wird das neue Format bereits gefeiert. „Dass Autos in einer Stadt, die feinstaubbedingt diese eigentlich fernhalten will, jetzt die Bringer sind“, schreibt einer, „ist ganz mein Humor.“

Hier einige Höhepunkte des Programms:

Am 28. Mai startet der Kulturwasen mit dem Film „Känguru Chroniken“. Gezeigt werden vor bis zu 500 Autos zu verschiedenen Spielzeiten (auch nachmittags, was dank der LED-Leinwand möglich ist) Kinohits wie „Der Junge muss an die frische Luft“, „Eiskönigin 2“, „Leberkäsjunkie“ und „Bohemian Rhapsody“. Das Programm geht bis Ende August.

Nach der ersten Kinowoche folgen Live-Auftritte von Joey Kelly (4. Juni), Tim Bendzko (5. Juni), Revolverheld (12. Juni), Oliver Pocher (13. Juni). Die Füenf (19. Juni), Heinrich Del Core (21. Juni), Arnd Zeigler (24. Juni), Bülent Ceylan (12. Juli) und die Orsons (17. Juli). Weitere Termine mit Bands folgen.

Der Vorverkauf startet am Montag, 18. Mai, um 12 Uhr. Weitere Infos unter www.kulturwasen.de.