Robert Arnold und Peter Weiß inszenieren eine Hommage an den Klassiker des Couplets, Otto Reutter.

Leonberg - Am Klavier versucht’s einer etwas holprig mit Bach, daneben liest ein anderer Zeitung – wohl eben aus dem Bett gestiegen, mit Hochwasserhosen, schäbigem Morgenmantel und alten Schlappen. Aber dann richtet der Mann am Klavier noch mal seine schwarzen Frackschöße, spielt einen gekonnten Chopin-Walzer, jongliert mit Zitronen – und der andere kommentiert das Weltgeschehen bedenklich mit „Ne, ne, ne, oi, oi, Mann, Mann!“ Die beiden sind der Schauspieler Robert Arnold sowie Musiker und Artist Peter Weiß. Und sie sind mit einer Inszenierung des Zimmertheaters Tübingen (Axel Krauße) im Rahmen der Kulturpfingsten in der Lahrensmühle zu Gast: „Otto Reutter – In 50 Jahren ist alles vorbei!“

 

Viele im Publikum – die Vorstellung ist ausverkauft – kennen die Ohrwürmer von Otto Reutter (1870-1931), die auch nach dem Zweiten Weltkrieg noch oft im Radio zu hören waren: „Der Überzieher“, „Nehm’ se ’n Alten!“ oder „Alles weg’n de Leut’!“

Zu Beginn wird Otto Reutter mit einem Text von Kurt Tucholsky aus der „Weltbühne“ von 1921 eingeführt: „Ein schlecht rasierter Mann mit Stielaugen, der aussieht wie ein Droschkenkutscher, betritt in einem unmöglichen Frack und ausgelatschten Stiefeln das Podium. Er guckt dämlich ins Publikum und hebt ganz leise, so für sich hin, zu singen an.“

Mit Karacho und ungebremstem Witz

Und dann geht’s los mit Karacho und ungebremstem Witz: Otto Reutter spießt die Widrigkeiten, Stolpersteine und kleinen Katastrophen des Alltags auf: die sprichwörtliche deutsche Gründlichkeit („Wir fangen gleich an!“), das Schielen nach der Meinung der Leute („Alles weg’n de Leut’!“), das moderne Lebenstempo („Mit der Uhr in der Hand“, wo man im Klavier das Tick-Tack hört!), die Unentschlossenheit der Damen beim „Blusenkauf“, während der Gatte wartet und wartet. „Der Überzieher“ wird im Laufe des Abends immer wieder mal erwähnt und ist der „Running Gag“, bis er dann im zweiten Teil endlich kommt: „Geh’ ich weg von dem Fleck, ist der Überzieher weg!“ Kurt Tucholsky, der Otto Reutter für seinen „Hurra-Patriotismus“ im Ersten Weltkrieg kritisiert hat, hat ihn einen „Künstler der unteren Stockwerke“ genannt, und das war er auch in Herkunft und Auftreten: Der kleine Mann, etwas proletenhaft derb, aber das Herz am rechten Fleck. Mit zahllosen Gelegenheitsarbeiten (Kurier, Tischler, Laufbursche, Statist beim Theater) hat er sich durchgeschlagen, bis der Erfolg auf der Bühne kam. Seinen Werdegang beschreibt Friedrich Otto August Pfützenreuter, wie er eigentlich hieß, selbst so: „Wollte zum Theater, Krach mit dem Vater. Kaufmann gelernt, heimlich entfernt.“

Von der Postkarte bis zum „Notgeld“

Die Möglichkeiten der neuen Medien Schellackplatte und Stummfilm nutzt er gerne: Es gibt „Tonbilder“, Stummfilme, die mit einer Schallplatte mit Otto-Reutter-Couplets unterlegt waren, und seine Auftritte im Varieté-Wintergarten Berlin sind legendär. Otto-Reutter-Postkarten werden massenhaft gedruckt, zahllose Karikaturen zeigen ihn mit verschmitztem Blick im Frack. Während der Inflation hat sein Geburtsort Gardelegen sogar „Notgeld“ mit seinem Konterfei drucken lassen. Otto Reutter ist zum Klassiker des Couplets geworden, und zum 60. Geburtstag kann er sich sogar ein Auto der Marke Fiat leisten.

Robert Arnold rezitiert die zungenbrecherischen Texte von Otto Reutter mit Pfiff – aber ohne rollendes „R“ –, schnoddrig, wie es sein muss, und in atemberaubendem Tempo, dass das Publikum manchmal kaum mithalten kann. Er erzählt nach dem Auftritt, die Couplets kenne er noch aus seiner Kindheit, als sein Vater, ebenfalls Schauspieler, den ganzen Tag diese Lieder geträllert habe.

Peter Weiß begleitet die Chansons musikalisch mit viel Esprit, bietet ein jazziges Solo aus „My fair Lady“ und „Hello, Dolly“ - und läuft auch mal als Klaviervirtuose völlig aus dem Ruder, ist nicht mehr zu bremsen und kommt mit Trillern und rasanten Läufen in Hochform, während Robert Arnold schon mal ein paar Liegestütze improvisiert. Ein Schuss mehr Politisches (sein Sohn ist 1916 mit 20 Jahren in der Schlacht bei Verdun gefallen) hätte für mehr Pfeffer und Zündstoff gesorgt. Im Couplet „Es geht vorwärts“ ist zu lesen: „Die Herr’n von der Regierung, die sagen stets ,Es geht’, wenn der Regierungskarren auch meistens stille steht.“ Und wenn dann die Zeile folgt: „Ein Führer muss heran“, läuft es einem kalt den Rücken hinunter.