Gutes Design braucht Zeit: Im Haus der Wirtschaft in Stuttgart stellen zehn Schmuckgestalter und Modemacher aus – und sie haben aus scheinbar wertlosen Materialien neue Stücke geschaffen.

Stuttgart - Den Begriff Slow Food als Gegenentwurf zum Fast Food muss man nur noch selten erklären: Dass es hierbei um regionale Lebensmittel und genussvolles Essen geht, wissen inzwischen die meisten. Warum aber soll dieses Prinzip nur für das kulinarische Genießen gelten, hat sich die Schmuckgestalterin Martina Dempf gedacht und die Ausstellung Slow Craft initiiert, die noch bis zum 24. Juli im Foyer des Hauses der Wirtschaft zu sehen ist. Gemeinsam mit René Lang, Präsident des Verbandes Deutscher Mode- und Textildesigner, hat Martina Dempf die Werke von zehn Künstlern ausgewählt. Von den jeweils fünf Modedesignern und Schmuckgestaltern stammen einige aus der Region Stuttgart oder haben in Pforzheim studiert.

 

Slow Craft heißt wörtlich übersetzt langsames Handwerk und steht für nachhaltige Gestaltung und für Produkte, die nicht in Massenproduktion hergestellt werden. Auf den ersten Blick kann man es kaum glauben, dass die filigranen Colliers von Sam Tho Duong aus gewöhnlichen Actimel-Joghurtflaschen hergestellt worden sind. Gestanzt, gesteckt und kombiniert mit winzigen Süßwasser-Reiskornperlen werden die Flaschen zu Kunstwerken. Die Reihe des in Vietnam geborenen Künstlers heißt „lemitcA“, was rückwärts gelesen Aufschluss über das Material ergibt.

Aus einem alten Mehlsack wird eine elegante Jacke

Mirjam Hiller will mit ihren Stücken die Natur reflektieren und verwendet dafür pulverbeschichteten Edelstahl. Daraus entstehen scheinbar lebendige Formen als Brosche und Halsschmuck. Auch die Kuratorin selbst, Martina Dempf, zeigt, was sie unter nachhaltig versteht: Auf den ersten Blick wertlose Fundstücke aus der Natur werden in einen neuen Zusammenhang gebracht. So baumelt der silberne Abdruck einer Holzrinde an einer filigranen Kette. Ein anderes Stück besteht aus aneinandergereihten, bearbeiteten und polierten Mundstücken von Zigarettenhaltern.

Das könnte man auch als Upcycling bezeichnen, also als das Wiederverwenden von eigentlich nicht mehr benötigtem Material, das dadurch sogar aufgewertet wird. Ein Trend, der besonders in der Mode vorkommt – zum Beispiel bei den Entwürfen von Christine Mayer. Aus einem alten Zelt wird ein Mantel, aus einem Mehlsack von 1926 eine elegante Jacke.

„Manche Sachen, die hier gezeigt werden, sind alltagstauglich, andere gehen in den Bereich der Körperverfremdung“, sagt René Lang, der als Kurator die Ausstellungsstücke für den textilen Bereich ausgesucht hat. Als ehemaliger Chefdesigner von Karstadt weiß er, dass es bei Mode vorwiegend um Massenproduktion und mindestens vier neue Kollektionen im Jahr geht. Mit der Ausstellung will er ein kleines Gegenmodell zeigen. „Die Zukunft liegt in der Mischung“, sagt Lang, dem viel daran liegt, dass junge und innovative Designer gefördert werden. „Diese Modelle sind Vorreiter und ein Fingerzeig für die Zukunft“, erklärt Lang, der es bedauert, dass es hier – im Gegensatz zu Italien und Frankreich – nicht üblich ist, dass große Unternehmen junge und aufstrebende Designer unterstützen.

Von einzigartiger Qualität seien die Stoffe von Lucia Schwalenberg, die mit ihren Webarbeiten Plastizität und Dreidimensionalität thematisiert. Durch den Einsatz von überdrehten oder elastischen Garnen sowie unterschiedlichen Kombinationen erzeugt Lucia Schwalenberg Gewebe, die skulptural und räumlich sind. „Das wäre in der Massenproduktion erst mal gar nicht möglich“, sagt René Lang.