Ob ihm die Füße geschmerzt haben? Wer geht schon mit den feinen Lederschuhen zum Wandern? Sicher ist: Der Wanderer, der hier vom Gipfel aus ins wolkige Tal blickt, trägt nicht die passende Garderobe für eine Bergtour. Mit Frack, gestärktem Kragen und Salonschleichern wäre er in Wirklichkeit nicht so elegant auf die Spitze gekommen.
Die Begeisterung war nicht immer so groß wie heute
Man kann allerhand Ungereimtheiten entdecken auf den Bildern von Caspar David Friedrich – zum Beispiel bei den zwei Männern, die in tiefer Nacht auf einem viel zu kleinen Stein mitten im Meer sitzen. Es lohnt sich, genauer hinzuschauen bei den Gemälden, die man schon so oft glaubt gesehen zu haben. Die Hamburger Kunsthalle lädt nun zu einem fröhlichen Déjà-vu ein. Zum 250. Geburtstag des Malers wurden all die Motive zusammengetragen, die auch auf Postern und Postkarten, Kaffeetassen, Kissen und Kalendern durch die Welt geistern: der „Mönch am Meer“, das imposante „Eismeer“ oder die „Kreidefelsen auf Rügen“.
Die Landschaftsbilder von Caspar David Friedrich sind enorm populär. Seit ein paar Jahren gilt er als der Maler der Romantik schlechthin, weshalb man in der Hamburger Ausstellung auch von „ikonischen“ Motiven spricht. Tatsächlich wurde sein Werk aber erst im 20. Jahrhundert wiederentdeckt. Zu Lebzeiten war der Maler umstritten, auch wenn Touristen gern seine Zeichnungen von Rügen kauften. Auch die Nazis waren sich nicht recht einig, ob sich Friedrichs Bilder als urdeutsche Kunst vereinnahmen lassen – oder eher nicht.
In einer so umfangreichen Jubiläumsausstellung wäre es also interessant gewesen, auch diese wechselhafte Rezeptionsgeschichte in den Blick zu nehmen. Die Hamburger widmen sich dagegen einer konkreten wissenschaftlichen Frage – nämlich wie Friedrich das Thema Landschaft „neu ausloten“ und „zu einem zeitgemäßen Thema machen“ wollte. Auch wenn die Schau als spektakuläres Event vermarktet wird, hat man mit Johannes Grave einen Kunstgeschichtsprofessor aus Jena ins Boot geholt, der mit dem Hamburger Kuratorenteam in erster Linie kunsthistorische Vergleiche ermöglichen will und dazu Werke von Zeitgenossen wie Carl Gustav Carus oder Georg Friedrich Kersting gegenüberstellt.
Friedrich muss ein sonderlicher Kauz gewesen sein
Allein die zahllosen Zeichnungen beweisen, wie fleißig Friedrich (1774–1840) war. Er wurde als eines von zehn Kindern in einer so gar nicht kunstsinnigen Familie groß. Der Vater war Seifensieder, streng und protestantisch mit pietistischem Eifer, weshalb der Glaube zentral für Friedrichs Kunst war. Mit 16 nahm er Zeichenunterricht und ging dann nach Kopenhagen an die Akademie. Der dünne, blasse Bursche mit imposantem Backenbart scheint ein sonderlicher Typ gewesen zu sein, der am liebsten mit Block und Griffel in der Natur unterwegs war.
Beim Rundgang staunt man, wie sehr Friedrich bemüht war, Felsen, Baumgerippe oder Ruinen zeichnerisch zu erfassen – und bei allem Fleiß seinem Kollegen Carus technisch oft unterlegen war. So stimmungsvoll seine Landschaften sind, verraten die Figuren, dass es ihm schwerfiel, bewegte Szenen lebendig einzufangen. Da liegen Frauen in unnatürlichen Posen vor einem Felsblock und verharren wie eingefroren. Sogar im Spätwerk entdeckt man mitunter ungelenke Details, bei denen er handwerklich offenbar an Grenzen stieß.
Die Unstimmigkeiten laden ein, die Bilder immer neu zu deuten
Aber Caspar David Friedrich gelang es, diese Schwäche in eine Tugend zu verwandeln – indem er gezielt auf statische Rückenfiguren setzte. Er montierte seine Naturstudien im Atelier zusammen wie ein Bühnenbildner, weshalb Vorder-, Mittel- und Hintergrund und auch Figuren und Umraum oft nicht recht zusammenpassen. Aber genau diese inszenierten Unstimmigkeiten sind es, die den Bildern eine eigentümliche Spannung verleihen.
Wenn zwei Männer auf grüner Wiese stehen und auf ein gigantisches Eismeer im Tal schauen, eröffnen sich durch solcherlei Widersprüche neue Deutungsräume: Natur und Zivilisation prallen kontrastreich aufeinander, Realität und Geistiges – und für manche auch Irdisches und Göttliches. Und wohl deshalb wirft jede Zeit einen neuen Blick auf Friedrich und deutet ihn mal theologisch, mal psychoanalytisch oder derzeit gern auch im Hinblick auf ökologische Fragen. Gemeinsam ist den Deutungen meist eine existenzielle Dimension.
Zum Schluss eine kalte Dusche – und hoffnungslose Gegenwartskunst
Während Heinrich von Kleist beim „Mönch am Meer“ das Gefühl hatte, „als ob einem die Augenlider weggeschnitten wären“, werden heute Friedrichs Staffellandschaften, Rückenfiguren und seine Lichtmagie gern kopiert und variiert – sogar in Hollywoodfilmen. Auch Künstler adaptieren seine Motive, sodass sich die Hamburger Ausstellung in einem zweiten Teil der Gegenwartskunst widmet. Die fühlt sich mit ihren Beiträgen zum Artensterben, zu Umweltverschmutzung, Postkolonialismus und Klimaerwärmung wie eine kalte Dusche an.
Motivisch oder ästhetisch mag sich das alles auf Friedrich beziehen. Doch anders als die heutigen Künstler wollte dieser seinem Publikum nicht alle Zuversicht rauben – sondern im Gegenteil Hoffnung wecken auf ein Leben in Gottes Hand.
Wechselndes Interesse am heutigen Star
Forschung
Nicht nur das Publikum und die Museen, auch die Kunstwissenschaften haben sich nicht immer für Caspar David Friedrich interessiert. Es war Helmut Börsch-Supan, der 1958 neues Interesse an dem Maler weckte. Werner Sumowski legte in seiner Habilitation eine umfangreiche Untersuchung der Motive und Arbeitsweise Friedrichs vor.
Ausstellung
„Caspar David Friedrich. Kunst für eine neue Zeit“. Kunsthalle Hamburg. Bis 1. April, geöffnet Dienstag–Sonntag 10 bis 18 Uhr, Donnerstag 10 bis 21 Uhr. Weitere Ausstellungen eröffnen in der Alten Nationalgalerie Berlin (ab 19. April) und in Dresden im Albertinum und im Kupferstich-Kabinett (ab 24. August).