Was plant die neue Direktorin des Stuttgarter Kunstmuseums? Ulrike Groos gibt Auskunft über ihre zukünftigen Projekte.

Stuttgart - Was plant die neue Direktorin des Stuttgarter Kunstmuseums? Ulrike Groos gibt Auskunft über ihre Projekte.

Frau Groos, seit Anfang des Jahres sind Sie Leiterin des Stuttgarter Kunstmuseums. Davor waren Sie ein halbes Jahr zwischen Düsseldorf und Stuttgart unterwegs. Sind Sie denn hier nun richtig angekommen?


Ja, bin ich. Es war eine arbeitsintensive Übergangszeit mit zwei sehr unterschiedlich strukturierten Häusern. Dabei ist natürlich auch einiges liegengeblieben, das wird nun massiv aufgearbeitet.

Haben Sie in der Stadt schon ein bisschen Fuß fassen können?


Ja, ich habe eine Wohnung gefunden, mit viel Glück. Die ist aber noch eine halbe Baustelle. Ansonsten ist es ein schönes Gefühl, dass viele Stuttgarter sofort gekommen sind, um mich kennenzulernen. Es gibt auch bereits zahlreiche Kontakte zu anderen Häusern. Und mit einer Kollegin von der Staatsgalerie war ich am Montag im Kino.

Was haben Sie gesehen?


"Avatar". Technisch nicht schlecht, nur arg viel Amerikapathos. Wirklich erstaunlich für uns war, wie sich die allgemeine Krisenstimmung momentan im Kino niederschlägt. Wir haben eine halbe Stunde Vorschauen angesehen: sämtlich Filme über Naturkatastrophen, Weltuntergänge, Sturz der Engel, Endzeitfantasien ... Es ist unglaublich, wie sich Krisenzeiten sofort in der Kultur, in diesem Fall in Mainstream-Filmen, niederschlagen. Aber um auf Ihre Frage zurückzukommen: ich bin gut angekommen, und manchmal reicht es sogar schon für solche Freizeitaktivitäten.

Also, bei Ihnen herrscht nicht Endzeit-, sondern Aufbruchstimmung. Bisher haben Sie in Düsseldorf eine Kunsthalle geleitet, ein Haus ohne eigene Sammlung. Bedeutet es für Sie eine Einschränkung, dass Sie nun einer Sammlung verpflichtet sind?


Nein, Freiheit habe ich auch weiterhin. Sowohl im Kubus, dem Wechselausstellungsbereich, als auch im Sammlungsbereich. Mich hat es immer besonders gereizt, auf eine eigene Sammlung zu reflektieren.

Bisher gab es auch bei den Sonderausstellungen immer eine gewisse Rückbindung an die Sammlung.


Das ist ja auch sinnvoll. Jedes Museum sollte sich ein eigenes Profil schaffen. In Düsseldorf hatten wir in ähnlicher Art einen Bezug zur Stadt und zur Region. Dort ist es uns gelungen, die Themen mit internationaler Ausstrahlung aufzubereiten. Das Kunstmuseum ist ein Haus, das aus einer städtischen Galerie hervorgegangen ist, in der ebenfalls die eigene Stadt, die Region eine Rolle spielte. Mir ist jedoch wichtig, dass dies nicht als regionale Begrenzung angesehen wird. Wir versuchen, Anknüpfungspunkte zu für die Kunst insgesamt relevanten Themen zu finden. Michel Majerus, den wir 2010 ausstellen, ist ein gutes Beispiel dafür. Es hat mich auch sehr gefreut, die Gerda-Taro-Ausstellung eröffnen zu dürfen, die wir momentan zeigen. Gerda Taro wurde in Stuttgart geboren, das ist der Bezug zur Stadt, aber sie ist dann in die Welt hinausgegangen und hat Maßgebliches zur Kriegsfotografie beigetragen. Das ist es, was mich an solchen Konstellationen interessiert.

Wo sehen Sie die Stärken der Sammlung des Kunstmuseums, wo die Schwächen?


Die Stärken sind bekannt: Otto Dix natürlich, daneben das Archiv Baumeister, das mir sehr am Herzen liegt. International wächst das Interesse an Baumeister, Winterthur etwa plant eine große Ausstellung mit seinen Werken. Wir möchten künftig noch stärker auf Forschung und Wissenschaft setzen. 2013 werden wir Baumeister in einer großen Ausstellung im internationalen Kontext präsentieren. Zu den wichtigen Künstlern gehören Dieter Roth sowie Adolf Hölzel, den ich bisher nur am Rande wahrgenommen habe und positiv überrascht war, welch großartige abstrakte Arbeiten er geschaffen hat. Was ich sehr gern stärker ausbauen würde, ist der Bereich der jüngeren, zeitgenössischen Kunst, weil ich es wichtig finde, dass ein Museum auch nach vorn schaut.

Wie sieht denn Ihre finanzielle Lage aus? Heutzutage haben ja fast alle Museen das Problem, dass ihnen die Mittel für Ankäufe und Ausstellungen fehlen.


Positiv ist zunächst, dass wir von den Haushaltskürzungen nicht betroffen sind, positiv ist auch, dass sich nach dem Finanzcrash die Preise auf dem Kunstmarkt wieder stabilisiert haben, zum Teil auch runtergegangen sind. Wir als Museumsleute merken, dass wir wieder mehr hofiert werden, weil wir die Arbeiten auf Dauer optimal bewahren und pflegen können und sie außerdem regelmäßig ausstellen. Die Werke verschwinden bei uns nicht in Safes, sondern werden als Originale der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Am Kunstmuseum verzichten wir aber auf einen Teil unseres Ankaufsetats, weil wir Hemmenhofen, also das Dix'sche Wohnhaus am Bodensee, sanieren möchten. Im letzten Jahr waren von der Stadt dafür 250.000 Euro bereitgestellt worden. Das ist nun nicht mehr möglich. Daher haben wir der Stadt angeboten, dass wir die nächsten fünf Jahre auf jeweils 50.000 Euro unseres Ankaufsetats verzichten und diese Summe verwenden, um Hemmenhofen zu revitalisieren und dort Ausstellungen zu realisieren.

Planen Sie nur eine Instandsetzung des Hauses als Gedenkstätte, oder wollen Sie Hemmenhofen künftig in die Aktivitäten des Kunstmuseums einbinden?


Es soll als Außenstelle des Museums funktionieren. Wir möchten dort auch Veranstaltungen durchführen oder auch mal ein Symposium, das ist ja ein reizvoller Ort.

Und in Stuttgart, was haben Sie da in nächster Zeit vor?


Ich sehe dieses Jahr als Orientierungsjahr an, denn nach der Elger-Esser-Ausstellung gab es kein weiteres Programm für 2010. Daher haben wir ein bereits existierendes Format übernommen und erweitert, nämlich das Projekt "Noble Gäste" aus der Kunsthalle Bremen. Die Kunsthalle muss wegen einer Sanierung schließen und verleiht nun Teile der Sammlung an andere Häuser. In Stuttgart zeigen wir die Videosammlung, die eine der wichtigsten und prominentesten in Deutschland ist, als große Ausstellung.

Damit holen Sie eine Kunst ins Haus, die hier höchstens punktuell gezeigt wurde.


Stimmt, die Kunsthalle Bremen besitzt jedoch ganz außerordentliche Arbeiten. Wir werden beispielsweise Diana Thaters Delphin-Installation zeigen, die wirklich sensationell ist. Sämtliche Wände werden mit Delphinen bespielt, fast wie in einem Aquarium. Dies wird mit Sicherheit eine ästhetisch sehr ansprechende und informative Ausstellung. Danach kommt "Eat Art", eine Ausstellung, die wir ursprünglich in Düsseldorf geplant haben, und deren Ausgangspunkt Daniel Spoerri ist, der Ende der 1960er Jahre in Düsseldorf eine Galerie und ein Restaurant eingerichtet hatte, wo unter anderem Dieter Roth dabei war. Wir haben die Ausstellung zum einen erweitert bis zu zeitgenössischen Positionen, zum andern werden wir unseren gesamten Dieter-Roth-Bestand dazu in Beziehung setzen.

Gut, das sind die - teilweise modifizierten - Übernahmen. Wann starten Sie mit den originären Stuttgarter Projekten?


Im nächsten Jahr. 2011 präsentieren wir gemeinsam mit dem Kunstmuseum Wolfsburg und dem Vitra Design Museum in Weil am Rhein eine Ausstellung zu Rudolf Steiner und der bildenden Kunst. Vor einem halben Jahr bin ich voll miteingestiegen, habe die Künstler mit ausgewählt und eine jüngere Künstlergeneration mit eingebracht, so dass wir jetzt eine wunderbare Künstlerliste von Joseph Beuys über Anish Kapoor, Olafur Eliasson, Tony Cragg und Katharina Grosse bis zu jüngeren Künstlern wie Jan Albers, Bernd Ribbeck und Claudia Wieser haben. Die Ausstellung besteht aus zwei Teilen, einem kulturhistorischen Teil, den Vitra seit mehreren Jahren recherchiert. Das Kunstmuseum Wolfsburg und unser Haus haben in einer freieren, assoziativen Art überlegt, was Künstler heute an Steiner und seinen Theorien interessiert. Und wir waren sehr überrascht, dass es etliche Künstler gibt, die die Schriften kennen und die sich teilweise direkt darauf beziehen.

Sie sind sich aber schon im Klaren, dass Sie hier auf eine sehr große, sehr wachsame und selbstbewusste Waldorf-Gemeinde treffen?!


Das habe ich gehört, aber ich glaube, unsere Chance liegt in der Art, wie wir das Projekt angehen - gerade auch in der Kombination des kulturhistorischen Teils mit der spielerischen Herangehensweise der bildenden Kunst. Den Abschluss des nächsten Jahres bildet dann die große Michel-Majerus-Ausstellung. Dazu planen wir eine aufwendige Umräumaktion.

Sie haben bei Ihrer Vorstellung schon angedeutet, dass Sie die Sammlung vorübergehend in den Kubus verfrachten und Majerus unten in den großen Sammlungsräumen zeigen wollen. Warum?


In erster Linie wegen der großen Formate und installativen Arbeiten. Die hätte man im Kubus nicht realisieren können. Ich hätte einen Aspekt seines Werkes herausgreifen können, der in den Kubus passt, aber das wollte ich nicht. Es geht schließlich nicht darum, sich der Architektur anzupassen, sondern das Werk des Künstlers optimal zu zeigen. Die ehemaligen offenen Skaterräume im Untergeschoss passen auch sehr gut zu diesem Künstler. Das ist ein Thema, was ihn interessiert hat.

Planen Sie Kooperationen mit anderen Häusern und Institutionen in Stuttgart?


Ich habe das bereits in Düsseldorf so gehalten, schon weil man ein anderes Publikum damit gewinnt. Große Aufmerksamkeit hat ein Festivalwochenende in der Kunsthalle erregt, "Düsseldorf sounds", zu dem wir bildende Künstler eingeladen hatten, die gleichzeitig Musiker sind. Plötzlich kamen Leute, die noch nie bei uns im Haus gewesen waren.

Das Kunstmuseum ist schon seiner Lage nach die zentralste Kunstinstitution in Stuttgart. Aber abgesehen vom Geografischen - wie würden Sie Ihre Position und ihre Aufgaben im Kreis der anderen Häuser beschreiben?


Wie gesagt, ich finde es wichtig, dass sich jedes Haus ein eigenes Profil schafft. Das Kunstmuseum besitzt mit seinen inhaltlichen Schwerpunkten und dem Bau ein eigenes Profil; die Staatsgalerie ist ganz anders ausgerichtet, der Bestand ist internationaler, der Kunstverein konzentriert sich überwiegend auf Film und Video. Für mich sind an diesem Haus, dem Kunstmuseum, wichtige Positionen vertreten, die mich auch persönlich interessieren, an die ich anknüpfen und die ich aufbauen will.

Nun trifft es sich, dass Sie in diesem Jahr auch Leiterin der Triennale Kleinplastik in Fellbach sind. Was haben wir zu erwarten?


Mich reizte das Alleinstellungsmerkmal dieser Triennale. "Kleinplastik" klingt erst mal veraltet, durchaus muffig, aber die Umkehrung von Größenverhältnissen, die Miniaturisierung und das kleine Format sind in der bildenden Kunst und Literatur seit jeher Mittel der Verfremdung, um menschliche Werte, das Moralverständnis der eigenen Zeit und damit auch deren gesellschaftliches Selbstverständnis zum Ausdruck zu bringen. "Larger than Life - Stranger than Fiction", so der Titel der Ausstellung, zeigt den Menschen in seinem Lebensumfeld, den vielen sozialen und inneren Beziehungsgefügen. Ausgehend von einer äußeren Sicht auf das Menschsein arbeitet sich die Ausstellung von der Welt als Ganzem über die Natur, urbane Lebenswelten und ihre Bewohner bis zu Innenwelten vor.