Vier Jahre nach der Ausstellung „50 Jahre nach 50 Jahre Bauhaus“ im Württembergischen Kunstverein Stuttgart ist der Katalog erschienen. Warum so spät?

Vier Jahre nach der Ausstellung „50 Jahre nach 50 Jahre Bauhaus“ im Württembergischen Kunstverein Stuttgart (Kunstgebäude am Schlossplatz) ist nun die umfangreiche Publikation erschienen. Im Vorfeld des 100. Geburtstages des Bauhauses hatte die Ausstellung 2018 einen weitreichend kritischen Blick auf die berühmte Schule, ihre Protagonistinnen und Protagonisten sowie die Rezeptionsgeschichte gewagt. Vier Jahre für einen Katalog? Iris Dressler, Co-Direktorin des Württembergischen Kunstvereins Stuttgart, begründet die lange Produktionszeit.

 

Frau Dressler, vier Jahre nach Ihrer Ausstellung „50 Jahre nach 50 Jahre Bauhaus“ erscheint das Buch zur Schau – was ist passiert?

Es war von Beginn an klar, dass das Buch seine eigene Zeit brauchen und erst nach der Ausstellung erscheinen wird; es gab zudem 2019 eine zweite Station des Projektes in Den Haag, die neue Aspekte einbrachte. Dann kam die Pandemie.

Die nicht alles erklärt.

Ein solches Buch in unserem kleinen Team parallel zu anderen Dingen zu stemmen, ist eine Herausforderung. Allein für die Beschaffung der Bildrechte bräuchte man mittlerweile eine eigene Abteilung. Uns war dieses Buch als eigenständiges Projekt jedoch sehr wichtig, und da seine Inhalte, wie wir meinen, nicht gleich morgen überholt sind, war es das wert, sich Zeit zu lassen.

Ein Buch als Einladung

Das Buch ist ein Mammutunternehmen. Für wen ist es gemacht?

Das Buch funktioniert auf zwei Ebenen: den Sequenzen von Bildseiten, die als eigenständige visuelle Essays angelegt sind, und den Texten, die vom wissenschaftlichen Beitrag bis zur Lautpoesie reichen. Es ist für Kunst-, Design-, Politik- und Geschichtsinteressierte gedacht. Mit dem vergleichsweise niedrigen Preis möchten wir die Hemmschwelle gering halten.

Ein Buch ohne Ausstellung hat es schwer – wie erfährt die Kunst-, Architektur- und Gestalterszene davon?

Neben unseren eigenen Verteilern, wird das Buch von einem professionellen Verlag vertrieben, der sich auf die Bereiche Kunst, Architektur und Design spezialisiert hat. Wir sind ganz zuversichtlich, dass es diese Szenen erreicht, vor allem, weil die Inhalte auch ohne die Ausstellung relevant sind.

Vier Jahre bringen gehörigen Abstand. Erinnern Sie sich selbst noch an die Ausstellungsszenerie?

Absolut. Das war eines der größten Projekte, die wir je gemacht haben. Einige Vitrinen haben wir noch nach der Eröffnung weiterentwickelt. Wir haben zig Führungen gemacht, und auch die Arbeit am Buch hat die Ausstellung wachgehalten. Abstand ist übrigens eine gute Voraussetzung, um das Buch zu einer Ausstellung zu machen.

Und gibt es etwas, bei dem Sie in der Produktionszeit des Buches gedacht haben: Mensch, da haben wir aber etwas vergessen! Oder – Das würde ich heute anders zeigen wollen?

Jede Ausstellung, und gerade ein solches Mammutprojekt, hat blinde Flecken. Unser Ausgangspunkt war ein lokaler, nämlich die legendäre WKV-Ausstellung „50 Jahre Bauhaus“ von 1968, die wir entlang der widersprüchlichen politischen Gemengelagen im Deutschland und Europa der späten 1960er Jahre angeschaut haben. Die 1968er-Ausstellung hatte diese selbst weitgehend ausgeblendet: etwa die Forderung der jungen Generation nach einer Aufarbeitung des NS-Regimes und dessen Kontinuitäten in der BRD. Zwar haben wir in unserer Ausstellung auch Ansätze zur Moderne jenseits des westlichen männerdominierten Kanons aufgezeigt. Bei einem nächsten Projekt würde es darum gehen, die Moderne viel radikaler aus dieser Sicht neu zu denken.

Einhaken in der Geschichte

Das klingt, als ließe sich das Ganze umdrehen: Das Buch als Vorlage neuer Ausstellungsprojekte. Wäre das ein Wunsch? Gibt es gar schon Pläne?

Da wir als Kunstverein vor allem für das Zeitgenössische stehen, kommt die Auseinandersetzung mit der eigenen Historie oft zu kurz. Ersteres muss Priorität bleiben. Dennoch interessiert es uns, an bestimmten historischen Punkten einzuhaken. So gibt es in meinem Einführungstext einen Nachtrag zur Politisierung des WKV (und anderer Kunstvereine), die ab 1969, quasi im direkten Anschluss an die Ausstellung „50 Jahre Bauhaus“, mit den Direktoren Uwe M. Schneede und Tilmann Osterwold einsetzt. Es wäre sicher spannend, hier weiterzudenken.

Iris Dressler und die Bauhaus-Projekte

Die Bauhaus-Schau 1968
Am 4. Mai 1968, wenige Stunden nachdem in Paris die Proteste aufgebrachter Studierender zur Räumung der Universität Sorbonne führten, wurde im Württembergischen Kunstverein die Ausstellung „50 Jahre Bauhaus“ eröffnet. Die von Herbert Bayer, Ludwig Grote, Hans Maria Wingler und dem damaligen Kunstvereinsdirektor Dieter Honisch konzipierte Schau gilt bis heute als wirkungsmächtigste Ausstellung des Bauhauses nach dem Zweiten Weltkrieg, die nachhaltig zur Mythologisierung der Schule beitrug.

Bauhaus – was bleibt?
2018, 50 Jahre nach der Eröffnung von „50 Jahre Bauhaus“, unternahm der Württembergische Kunstverein eine kritische Relektüre der 1968er-Schau. Dabei wurden insbesondere die ambivalenten Beziehungen zwischen einer Reihe der prominenten Bauhäusler*innen und dem Nationalsozialismus sowie zwischen den künstlerischen Avantgarden und dem industriell-militärischen Komplex in den Blick genommen. Entgegen der historisierenden Rezeption des Bauhauses, die die 1968er-Ausstellung leistete, reflektiert „50 Jahre nach 50 Jahre Bauhaus“ die berühmte Schule im Kontext künstlerischer Bewegungen wie das Mouvement International pour un Bauhaus Imaginiste oder die Internationale Situationniste.

Iris Dressler ist gemeinsam mit Hans D. Christ Direktorin des Württembergischen Kunstvereins in Stuttgart. Gemeinsam leiteten sie bis 2019 die dreijährige Bergen Assembly in Bergen/ Norwegen. 1996 gründete Dressler, 1966 in Neuss geboren, zusammen mit Hans D. Christ den „hArtware medien kunst verein“ in Dortmund. Iris Dressler studierte Kunstgeschichte, Philosophie und Literatur in Marburg und Bochum.

Das Buch „50 Jahre nach 50 Jahre Bauhaus“, herausgegeben von Hans D. Christ und Iris Dressler, hat 688 Seiten, ist erschienen bei Spector Books OHG , ist über die ISBN-Nummer 978-3-95905-677-9 oder auch im Württembergischen Kunstverein Stuttgart (Kunstgebäude am Schlossplatz) erhältlich und kostet 46 Euro.