Großverfahren und Pensionierungen kommen zusammen. Nun sucht das Landeskriminalamt neue Ermittler für seine stark belastete Wirtschaftsabteilung. Auch Quereinsteiger aus der Wirtschaft sind willkommen.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Die Stellenanzeige des Landeskriminalamts (LKA) richtete sich an Interessenten außerhalb der Polizei. Gesucht wurden künftige „Wirtschaftskriminalisten“, die schon einige Jahre in anderen Berufen gearbeitet haben – etwa als Wirtschaftsprüfer, Controller oder in der Revision. Für die „Aufgaben mit hohem Anspruch“ sollten sie eine Menge mitbringen: hohe Eigenständigkeit, analytisches Denkvermögen, Akribie und Beharrlichkeit, Geschick bei der Vernehmung und absolute Verlässlichkeit. Erwartet wurden zudem Stressresistenz, die Bereitschaft zum Reisen und zuweilen zu unüblichen Bürozeiten. Erfolgreiche Bewerberinnen oder Bewerber, versprach das LKA, würden binnen eines Jahres in die kriminalistische Arbeit eingeführt.

 

Die Nachwuchssuche ist derzeit gleich doppelt dringlich. Zum einen gehen in den nächsten Monaten besonders viele Wirtschaftsfahnder in Pension. Gut zehn Prozent der Beamten aus der Abteilung Wirtschaftskriminalität, die in Stuttgart und Karlsruhe insgesamt 110 Köpfe zählt, scheiden altershalber aus. Zum anderen sind die Spezialermittler seit geraumer Zeit noch stärker eingespannt als ohnehin schon. Eine ganze Reihe von Großverfahren bindet Kräfte und Kapazitäten – vorneweg die Dieselaffäre. In der Ermittlungsgruppe „Nox“ kümmern sich 15 bis 20 Mitarbeiter, in enger Abstimmung mit der Staatsanwaltschaft, um die Vorwürfe gegen Daimler, Porsche und Bosch.

Unvorstellbar große Datenmengen

Die Aufklärung der Motormanipulationen ist in mehrerlei Hinsicht eine Herausforderung für die Ermittler. Sie müssen sich tief in technische Details hineinfuchsen, um verbotenen Abschalteinrichtungen auf die Spur zu kommen. Zugleich müssen sie eine unvorstellbare Datenmenge auswerten: Ein Petabyte sei inzwischen überschritten, heißt es beim LKA – würde man das in Din-A-4-Seiten angeben, reichten die aneinandergelegten Blätter 370mal um die Welt. Andere aktuelle Fälle sind kaum weniger komplex: etwa die Affäre um die Auslandsabteilung des Stuttgarter Klinikums, der Fall der Wohnungsgenossenschaft Eventus oder die Insolvenz des Küchenherstellers Alno.

„Wir sind sehr stark belastet“, sagt der Abteilungsleiter Thomas Lutz. 70 bis 80 Verfahren führe man gleichzeitig, durchschnittlich dauerten sie zwei bis drei Jahre, manchmal auch fünf. Besonders dringliche Fälle würden vorgezogen, erläutert ein Sprecher des Innenministeriums, andere zunächst zurückgestellt. Nur selten könne die Abteilung, die seit der Polizeistrukturreform 2014 landesweit für schwere Wirtschaftskriminalität zuständig ist, Verfahren nicht übernehmen oder müsse sie an regionale Polizeipräsidien abgeben.

„Wir wissen nicht, wo wir anfangen sollen“

„Stark belastet“ scheint eher untertrieben. Vor lauter Arbeit wisse man „nicht, wo wir anfangen sollen“, heißt es intern. Die Kollegen würden regelrecht „von Großverfahren überrollt“, sagt der Landesvorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, Steffen Mayer. Die Präsidentin der Stuttgarter Rechtsanwaltskammer, Ulrike Paul, hält die Abteilung für „personell unterbesetzt“. So gute Arbeit die Fahnder leisteten, aus Personalnot könnten „manche Komplexe nicht umfänglich aufgeklärt werden“, bedauert die oft in Wirtschaftsverfahren engagierte Strafverteidigerin. Das könne sich zu Lasten oder zu Gunsten von Beschuldigten auswirken. Die lange Verfahrensdauer aber sei für alle eine „ungeheure Belastung“ – zumal sie während der Ermittlungen oft wirtschaftlich handlungsunfähig seien. Eine personelle Aufstockung beim LKA, sagt Paul, sei „dringend erforderlich“. Aber auch Staatsanwaltschaften und Gerichte seien mit den Wirtschaftsfällen überlastet und bräuchten mehr Personal.

Innenminister kennt keine Beschwerden

„Konkrete Beschwerden“ sind im Innenministerium nicht bekannt. Das Ressort von Thomas Strobl (CDU) verweist auf die „in der Landesgeschichte einmalige Einstellungsoffensive“ bei der Polizei. Der BDK-Landeschef Mayer dagegen fordert, die Polizei müsse im Kampf gegen Wirtschaftskriminalität „personell besser aufgestellt“ werden. Bei der Evaluierung der Polizeireform sei zu prüfen, „ob das Personal landesweit ausreicht“, um die besonders sozialschädlichen Taten wirksam zu bekämpfen. „Massive Probleme“ sieht Mayer bei der Gewinnung von Nachwuchs für diesen Bereich. Polizeiintern ist das Interesse wegen der so ganz anderen Arbeitsweise eher überschaubar, bis jemand voll einsetzbar ist, vergehen Jahre.

Die Sonderlaufbahn für externe Bewerber scheint noch recht attraktiv zu sein: Auf die LKA-Ausschreibung haben sich immerhin etwa 70 Interessenten gemeldet, 20 davon erfüllen die formalen Voraussetzungen. Doch um auf dem Arbeitsmarkt konkurrenzfähig zu bleiben, wünscht sich das LKA bessere Möglichkeiten zur Bezahlung. Die Besoldungsgruppe A 9 (Grundgehalt: um 3000 Euro) als Einstieg reiche immer weniger, um Interessenten mit mehrjähriger Berufserfahrung anzuziehen; der BDK sähe sie gerne auf A 11 (um 3600 Euro) angehoben, auch für Staatsschutz- und Cybercrime-Spezialisten. Letzte können künftig in den höheren Polizeidienst aufsteigen – was sich das LKA auch für die Wirtschaftsermittler wünscht: Damit, sagt ein Sprecher, könne man „die Attraktivität des Berufsbildes weiter steigern“.