In Zürich haben Christ und Gantenbein das Landesmuseum mit einem spektakulären Flügel erweitert. Dem Historismus ­des Altbaus setzt das Basler Büro eine expressive Betonskulptur entgegen.

Zürich - Das Landesmuseum Zürich ist ein romantisches, neomittelalterliches Märchenschloss, das direkt neben dem Hauptbahnhof aufragt. Hyperkritische Geister reagieren darauf sogleich mit dem Schmähreflex „Disneyland“. Aber das Haus, eröffnet 1898 und geplant von Gustav Gull, einem Hauptvertreter des Historismus in der Schweiz, ist viel mehr als Fantasiakitsch auf eidgenössisch. Stilistisch ein Kind seiner Zeit, war das Museum Ende des 19. Jahrhunderts, als es galt, den modernen Bundesstaat zu festigen, gerade durch den Rückgriff auf die – wie auch immer verklärte – Geschichte Symbol des nationalen Zusammenhalts. Äußerlich bietet es mit seinen Türmchen und Zinnen dem gerasterten Schematismus der Bürofassaden in der Zürcher City verspielt Paroli, drinnen nimmt es den Besucher durch eine spannungsvolle Raumdramaturgie, in der eine Säulen- und eine Ruhmeshalle die festlichen Höhepunkte bilden, für sich ein.

 

Der nagelneue, soeben mit einer großen Bürgerparty eröffnete Trakt der Basler Architekten Christ und Gantenbein, der die Dreiflügelanlage zum vierseitig umschlossenen Hof komplettiert, antwortet auf den Bestand mit einer expressiven Betonskulptur: einem brachialen Donnerkeil als Maximalgegensatz zu Gulls ziselierter Formenvielfalt. Aber eine rohe, rein auf Provokation gebürstete Erweiterung ist der Neubau nicht, auch wenn es auf den ersten Blick so scheint und auch wenn die Entstehungsgeschichte des Projekts lang und hürdenreich war. Vierzehn Jahre und zwei Volksabstimmungen hat es vom Wettbewerb 2002 bis zur Fertigstellung gedauert – eine halbe Ewigkeit, in der es Behördenstreit um die schließlich auf 111 Millionen Franken gedeckelten Kosten gab, in der der Denkmalschutz (erfolgreich) um den eigentlich zum Abbruch freigegebenen sogenannten Kunstgewerbetrakt focht, Gegner um den angrenzenden Platzspitzpark fürchteten und Heimatschützer um den Altbau.

Frisch und unverbraucht

Doch in die Jahre gekommen ist der Entwurf während all dieser Querelen nicht. In Wahrheit um einiges älter als der des in diesem Frühjahr eröffneten Erweiterungsbaus des Basler Kunstmuseums von Christ und Gantenbein, wirkt er frisch und unverbraucht wie am ersten Tag – was im Besonderen für die Qualität und das Durchhaltevermögen der zum Zeitpunkt des Wettbewerbs erst dreißig Jahre alten Architekten und für die Risikobereitschaft der Schweizer Architektur im Allgemeinen spricht. Hierzulande würden Teilnehmer in diesem zarten Alter wegen mangelnder Erfahrung zum Wettbewerb gar nicht erst zugelassen, und ob sich in solch einem Kontext ein so antithetischer Entwurf durchgesetzt hätte, ist auch die Frage. Die Jury unter Vorsitz von Peter Zumthor lobte seinerzeit dessen „beinahe zärtliche Identifikation mit den Gull’schen Entwurfsprinzipien“, die aus „dem historischen Schloss ein sehr heutiges, zukunftsgerichtetes Geflecht“ entstehen lasse. Und die Schweizer Presse feiert den Neubau geradezu als „in Beton gegossenen Nationalstolz“ – in direkter Nachfolge des Altbaus, der nicht nur den Patriotismus der Eidgenossen stärken sollte, sondern unter dem historistischen Flitter einen Rohbau aus Stahl und Beton verbirgt.

Es stimmt ja auch. Ihren Betonperfektionismus macht den Schweizern so leicht keiner nach. Übergangslos schließt die Erweiterung an die Mauern des Museumsschlosses an. Keine einzige Fuge durchzieht die durch eine Beimischung von Tuffstein den Bestandsfassaden angeglichene Außenhaut des Anbaus. Wie eine von fern an den Brutalismus der sechziger Jahre und Gottfried Böhms skulpturale Betonmassive gemahnende Felswand erhebt sich der neue Flügel auf der Parkseite, öffnet sich zum Platzspitz aber mit einem überdimensionalen Durchgang, der zugleich mit großer Geste in den Hof einlädt.