Mit 1600 Gästen feiert der 61. Landespresseball ein glanzvolles Comeback in der Liederhalle. Nach dreijähriger Coronapause kommt zum großen Tanz weniger Publikum als früher – doch die Freude, dass die Tradition fortgesetzt wird, ist umso größer.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Sie haben dieselbe Kleidergröße und sogar dieselbe Schuhnummer. Im Haushalt von Gesamtmetall-Präsident Stefan Wolf und Musicalstar Kevin Tarte kann man das Outfit untereinander also tauschen. Im Smoking sind beide am Freitagabend in die Liederhalle gekommen. „Der Frack wär’ übertrieben“, sagt Wolf. White Tie trug das Paar zuletzt bei seiner Hochzeit im Sommer.

 

Stefan Wolf stammt aus einer Journalistenfamilie. Der Vater, einst stellvertretender Chefredakteur des „Schwarzwälder Boten“, nahm den Junior zum ersten Mal zum Presseball mit, als dieser 21 Jahre alt war. Seitdem besuchte der langjährige Vorstandsvorsitzende von Elring Klinger als Stammgast das gesellschaftliche Topereignis immerzu, sofern nicht Coronapause war.

Viele Jahre sah man ihn an der Seite seiner Frau. Erstmals bringt der 62-Jährige nach seinem Outing seinen 66-jährigen Mann Kevin Tarte mit. Die beiden sind Ball-erfahren. „Drei Wochen nachdem wir uns kennengelernt haben, besuchten wir 2020 den Opernball in Wien“, berichtet Wolf.

Während der Opernball „mondäne K & K-Monarchie“ sei, sei der Stuttgarter Presseball „persönlicher, ja familiärer“ und sorge für „viele interessante Begegnungen“. Nur eines bedauert Stefan Wolf: „Die Qualität der Garderobe hat in den letzten Jahren vor Corona in der Liederhalle nachgelassen. Noch vor 15 Jahren waren Smoking und langes Kleid gesetzt.“

Im Trend sind bei den Abendkleidern Metallic-Looks

Sich wieder rausputzen, in schicker Robe tanzen, Teil von ein bisschen Glamour sein – das gefällt vielen Gästen, wie Simone Schüle, die Vorsitzende der Ballkommission, oft hört. Modeexperte Marco Mangold, der Chef von Koelble & Brunotte, sagt, bei den Damen im Trend seien „Samt, Satin, Metallic-Looks in Gold, Silber, Rot sowie Pastelltöne“.

Die politischen Granden des Landes treffen sich. Fast das gesamte Landeskabinett (von Thomas Strobl bis zu Petra Olschowski) ist da, aber auch OB Frank Nopper mit seiner Frau und seinen Söhnen. Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne) wollte mit seiner Frau Katharina Schulze, der Fraktionschefin der Grünen im bayerischen Landtag, kommen. Kurzfristig sagten beide ab – ihr Sohn ist krank geworden.

Dass sich der Presseball nach drei tanzlosen Jahren zurückmeldet, ist in „Zeiten der ständig aufwallenden Krisen ein gutes Zeichen“, findet Rafael Binkowski, der Vorsitzende der Landespressekonferenz (LPK).

Der Benefiz-Event soll nicht nur Spaß bereiten – er ist auch wichtig für die Pressestiftung, die Medienschaffende und ihre Hinterbliebenen in Not unterstützt. Träger des Sozialfonds sind die LPK, der Deutsche Journalistenverband und der Verband Südwestdeutscher Zeitungsverleger. „Auch wir spüren die rasante Veränderung der Medienlandschaft und den Abbau von Redakteursstellen“, sagt Rainer Lang von der Stiftung. Die Zahl der freien Journalistinnen und Journalisten, denen die Kosten bei sinkenden Einnahmen davonliefen, steige immer weiter an.

Hauptgewinn ist diesmal ein E-Bike

In der Pandemie hat die Stiftung rund 100 000 Euro aus ihren Reserven an Sozialfälle der Medienbranche verteilt. Diese Reserven müssen nun aufgefüllt werden. Den größten Erlös bringt dank der Sponsoren die Tombola, die sich neu aufstellt: Kein Auto wie früher ist der Hauptgewinn, sondern ein E-Bike – ein Zeichen für Nachhaltigkeit.

Der Eröffnungswalzer gehört nach alter Tradition dem Ministerpräsidenten. Er tanzt mit Annika Grah, Redakteurin unserer Zeitung und LBK-Vorstandsmtglied . Wie sich sich vorbereitet hat? „Ich vertrau’ darauf, dass der MP den langsamen Walzer beherrscht“, sagt sie. Über Führungskraft sollte ein langgedienter Regierungschef verfügen. Binkowski, Chefredakteur des „Staatsanzeigers“, tanzt derweil mit Gerlinde Kretschmann.

Ein Dialog, wie er auf dem Ball möglich wird, sei wichtig, erklärt Rafael Binkowski, „da schnelle Schlagzeilen dominieren, da Politik im Dauerkrisenmodus arbeitet“. Journalisten seien nicht immer beliebt, sagt er, „aber das ist auch nicht unsere Aufgabe“.

Lisa Federle, Deutschlands bekannteste Notärztin, freut sich über ihre Presseball-Premiere. Für Events dieser Art hat die Tübingerin sonst wenig Zeit. Nachdem ihr zweites Buch „Vom Glück des Zuhörens“ erschienen ist, das bereits in der „Spiegel“-Bestsellerliste steht, ist ihre Freizeit noch knapper bemessen. Auf Lesereise erlebt sie gerade, „wie gut es tut, wenn man in Geschichten zum Wohlfühlen eintaucht“.

Noch eine zweite Bestseller-Autorin ist da: Gaby Hauptmann hat in der Nacht zuvor ihr neues Buch fertiggeschrieben – und freut sich, nach der harten Arbeit jetzt feiern zu können. Außerdem dabei: SWR-Intendant Kai Gniffke, Herbert Dachs, der Chef der Medienholding Süd, Schauspielerin Christine Urspruch, SWR-Nachrichtenfrau Tatjana Geßler, EM-Botschafter Niko Kappel und der Schauspieler Mark Keller mit seinen Söhnen.

Shooting-Star Leony („Remedy“) ist mit 26 Jahren der jüngste Stargast in der Ballgeschichte. Würde der MP „Deutschland sucht den Superstar“ schauen, könnte er sie kennen – dort saß die Sängerin in der Jury. Dass ihr Publikum in dieser Nacht etwa doppelt so alt ist wie sie das sonst bei Auftritten gewohnt ist, sieht sie als „kleine Challenge“.

Mit neuem Schwung die Tradition bewahren

Rainer Lang von Stiftung begrüßt die Verjüngung des Balls: „Wir müssen zukunftsfähig werden.“ Da es keinen Sportler- und keinen SWR-Ball mehr gibt, sei es umso wichtiger, den Presseball zu erhalten. Mit neuem Schwung müsse man zeigen, dass die Tradition ganz und gar nicht steif rauscht.

Am Freitag wäre auch eine ältere Stuttgarterin gern dabei gewesen. Die Ballkommission hatte sie eingeladen. Diese Dame hat seit 1960 keinen einzigen Landespresseball ausgelassen. Persönlich schaute sie vor wenigen Tagen im Ballbüro vorbei, um sich zu entschuldigen: Da ihr Mann in diesem Jahr gestorben sei, wolle sie nicht alleine kommen an jenen Ort, mit dem so viele schöne Erinnerungen zu zweit verbunden seien. Dem Ballteam kamen die Tränen.