Die Landesregierung weiß zwar, was sie will, aber nicht, wie man das bezahlt. Die Schulreformen kosten Geld, zugleich muss die Schuldenbremse eingehalten werde. Zumindest die SPD votiert im Zweifel eher für die Bildung.

Stuttgart - Zur Politik gehört, Vorrangiges von Nachrangigem zu scheiden, Wichtiges von weniger Wichtigem, oder – wie es der vormalige baden-württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel (CDU)gerne sagte, Prioritäten anzupacken und Posterioritäten auf das Ende des Tages zu legen. Die grün-rote Koalition aber bevorzugt die Parallelaktion. Noch.

 

Sinnbildlich kommt dies im Streit um die Finanzierung der Bildungsreformen und das Einhalten der Schuldenbremse zum Ausdruck. Beides geht, verspricht Grün-Rot – Haushaltsausgleich und Umbau des Schulsystems. Doch in der Koalition wachsen die Zweifel, besonders in der SPD, die für beides – die Schulen und die Finanzen – die verantwortlichen Minister stellt. In der jüngsten Umfrage ist die Partei in Baden-Württemberg unter die 20-Prozent-Marke gerutscht. Worauf Kultusminister Andreas Stoch (SPD) im StZ-Interview auf die Frage, ob es bei der Streichung von 11 600 Lehrerstellen bleibt, darauf hinwies, man sei angesichts des Schülerrückgangs davon ausgegangen, dass diese Lehrerstellen gestrichen werden könnten ohne die Qualität des Unterrichts zu beeinträchtigen. „Wir werden jedes Jahr zu überprüfen haben, ob dieser Anspruch gehalten werden kann.“ Das deckt sich noch mit der Beschlusslage – und kann doch als Relativierung verstanden werden. Stoch ist für jede Lehrerstelle dankbar, die im System verbleibt. Dennoch muss Personal wegfallen, zumal ein großer Teil der fraglichen Lehrerstellen noch von der alten Koalition keineswegs durchfinanziert wurden. Was bedeutet, dass der Erhalt dieser Stellen nicht nur keinen Spareffekt zeitigte, sondern mehr Geld erforderte.

Und dann war der Finanzminister weg

Diese Woche wollte Finanzminister Nils Schmid dem Landtag den Finanzplan 2020 vorlegen. Zum 1. Juli muss die Regierung dem Parlament Rechenschaft ablegen, wie sie die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse einhalten will, also bis zum Jahr 2020 einen Etat vorlegt, der im Regelfall ohne neue Kredite auskommt. Allein, der Finanzplan blieb aus. Offizielle Begründung: Schmid sah sich bei der Finanzministerkonferenz gefordert – zwecks Beratung der Bezahlung des Hochwasserschutzes.

Doch das war nur die halbe Wahrheit. Der eigentliche Grund lag, worauf der CDU-Abgeordnete Klaus Herrmann im Landtag zurecht hinwies, im Dissens innerhalb der Koalition. „Sie sind sich nicht darüber einig, wie konkret die Sparvorgaben auf die Ressorts aufgeteilt werden sollen.“ Tatsächlich wollen Finanzminister Schmid wie auch SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel im Finanzplan 2020 lediglich global die jährliche Senkung der Nettoneuverschuldung beschreiben. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) sähe in dem Zahlenwerk gern Orientierungsgrößen für die einzelnen Ressorts. Das wiederum hält sein Vize Schmid für wenig hilfreich. Konkrete Kürzungen verlangten konkrete Vorarbeiten, nur so ließen sich strukturelle, also langfristig wirkende Einsparungen erzielen. An dem Argument ist etwas dran. Andererseits hatte Schmid unlängst in der Stuttgarter Zeitung selbst den Wegfall von weiteren 5000 Stellen außerhalb des Schulsektors angekündigt, was ihm von Seiten der Grünen dem Vorwurf eintrug, er solle doch bitte auch sagen, wo er Personal zu streichen gedenke. Regierungschef Kretschmann schwieg zum Einsparvorschlag.

Zweifel im Halbautomodus

Im Ergebnis bewegt sich wenig. Einig ist man sich in der Koalition, dass die Haushaltssanierung ohne Steuererhöhungen nach der Bundestagswahl nicht zu stemmen sein wird. Die zusätzlichen Mittel sind – ungewöhnlich genug – schon eingeplant. Zudem hofft man in der Bildungspolitik auf die hilfreiche Hand des Bundes – unter Hinnahme einer möglichst föderalismusgerechten Aufweichung des Kooperationsverbots von Bund und Länder. Und dann sind da noch Haushaltsreste beziehungsweise Überschüsse aus den vergangenen Jahren. Seitens der Regierung ist die Rede von 800 Millionen Euro aus dem vergangenen Jahr; eine Zahl, die Finanzminister Schmid sofort relativiert, weil sie die Ausgabenfantasie anregt. In der Koalition wird darüber diskutiert, ob das Geld für die Senkung der Neuverschuldung verwendet werden soll, für die weitere Auflösung des sogenannten Sanierungsstaus – also für Investitionen – oder doch als Rücklage unters Kopfkissen zu legen ist.

Zumindest in der SPD gibt es Stimmen, die im Zweifel und im Halblautmodus der Bildungspolitik den Vorrang vor der Haushaltssanierung einzuräumen bereit sind. Dass ausweislich der StZ-Umfrage ausgerechnet die Schulpolitik am stärksten in der Kritik steht, muss die Genossen schmerzen, handelt es doch um just um jenen Politikbereich, in dem sie vor der parteipolitischen Konkurrenz liegen. Doch so einfach ist das auch wieder nicht, stellen die Sozialdemokraten doch den Finanzminister – und tragen damit die besondere Verantwortung für den Landesetat.

Irgendwo wird immer gewählt

Einsparvorschläge der Grünen, geschweige denn Einspartaten, sind bislang aber auch nicht bekannt geworden. Zwar zeigt sich Regierungschef Kretschmann bereit, im Gleichklang mit Bund und Ländern einen Einschnitt bei den Beamtenpensionen mitzutragen. Doch fraglich ist, wie weit er damit kommt. Irgendwo in der Republik wird immer gewählt, was den Reformeifer bremst. Als es zuletzt in Baden-Württemberg um die Frage ging, ob die Besoldungserhöhung für die Beamten nur verschoben wird oder doch auch gedeckelt werden sollen, da votierte der Regierungschef zwar tapfer für eine Deckelung, doch fuhr ihm nicht nur SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel in die Parade, sondern auch die eigene Grünen-Fraktion.

So verfolgt die Koalition ihre Ziele weiterhin parallel, obwohl die Finanzlage eher darauf hindeutet, dass sie bald Prioritäten setzen muss – und Posterioritäten.