Das Grundgesetz gestattet Ausnahmen vom absoluten Kreditverbot – der Landtag diskutiert, ob und wie Baden-Württemberg davon Gebrauch machen soll.

Stuttgart - Unter den Finanzpolitikern des Landes gewinnt die Diskussion an Fahrt, wie Baden-Württemberg mit dem ab 2020 geltenden Verschuldungsverbot umgeht. Die sogenannte Schuldenbremse war 2009 ins Grundgesetz geschrieben worden und bestimmt, dass Bund und Länder ihre Haushalte „grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten“ ausgleichen. Diese Hürde erscheint zwar gegenwärtig angesichts der üppigen Steuereinnahmen als leicht überwindbar. Doch die finanzpolitische Praxis sah bis vor kurzem völlig anders aus: Neue Schulden waren die Regel, deshalb steht das Land derzeit mit 47 Milliarden bei den Banken in der Kreide.

 

Das hat auch mit schwachen Konjunkturphasen zu tun, in denen die Steuerquellen nur spärlich sprudelten, aber die hohen Ausgaben – etwa für die Landesbediensteten – weiter zu Buche schlugen. Für solche Fälle lassen Bund und Länder deshalb im Grundgesetz eine Hintertür offen, um bei Konjunkturkrisen oder gar Naturkatastrophen nicht zahlungsunfähig zu werden. Artikel 109 sieht Ausnahmen vom Kreditverbot vor, wenn die konjunkturelle Entwicklung von der „Normallage“ abweicht oder wenn andere „außergewöhnliche Notsituationen“ eintreten. Allerdings müssen die Länder für solche Ausnahmen konkret erklären, wie sie die Kredite in guten Zeiten wieder tilgen. Und sie müssen die Ausnahmeregelungen in ihrer jeweiligen Landesverfassung niederlegen – ansonsten gilt die starre Vorgabe des Grundgesetzes.

Acht Länder haben ihre Verfassung bereits geändert

Acht Länder haben von dieser Möglichkeit bereits Gebrauch gemacht, und auch die grün-schwarze Koalition in Baden-Württemberg hat vereinbart: „Wir wollen die Schuldenbremse in der Landesverfassung verankern.“ Was dies im Einzelnen bedeuten soll, hat Finanzministerin Edith Sitzmann (Grüne) am Mittwoch mit den Finanzpolitikern der Landtagsfraktionen, dem Finanzausschussvorsitzenden und dem Landesrechnungshof erläutert. „Zum Auftakt ging es darum, alle Beteiligten umfassend zu informieren“, sagte die Grünen-Politikerin im Anschluss daran. „Wir haben uns angesehen, welche Möglichkeiten es gibt, und wie andere Länder vorgehen.“ Es war ein erstes Treffen, drei weitere sollen folgen, denn die Materie ist komplex. So ist keineswegs eindeutig, wie man die „Auswirkungen einer von der Normallage abweichenden konjunkturellen Entwicklung“ (Artikel 109, 3, 2) definiert. Dafür gibt es unterschiedliche Berechnungsmodelle, und die Länder praktizieren dies nicht einheitlich.

„Die Regierung muss zunächst sagen, was sie sich vorstellt“, sagt der Vorsitzende des Finanzausschusses, Rainer Stickelberger (SPD), unserer Zeitung. Der frühere Justizminister hält es nicht für zwingend, überhaupt eine landesrechtliche Regelung zu schaffen, denn er hält die strikte Vorgabe des Grundgesetzes im Prinzip für richtig. „Wir müssen strikt darauf achten, dass nicht das Tor zu weiteren Schulden geöffnet wird“, sagt Stickelberger. Die landesgesetzliche Regelung könne das Grundgesetz nicht sprengen.

Der Rechnungshof rät zu Flexibilität

Falls man sich aber doch für mehr Flexibilität bei der Schuldenbremse entscheide, müsse auch die Frage beantwortet werden, wie man die neuen Kredite wieder tilge. „Dann spielt auch das Thema der impliziten Schulden eine Rolle.“ Stickelberger meint damit den umstrittenen finanzpolitischen Schachzug der Landesregierung, Investitionen in Straßen, Brücken und Gebäude als „Tilgung“ zu definieren. Die Opposition lehnt dies ab.

Der Landesrechnungshof hat bereits in seiner Denkschrift 2016 dafür plädiert, die Schuldenbremse in der Landesverfassung zu verankern und darin eine „Konjunkturkomponente“ sowie eine Ausnahmeregelung für Notsituationen zu schaffen. Er beschreibt auch die drei gebräuchlichen Berechnungsmodelle. Aber auch viele Detailfragen werfen die Karlsruher Haushaltskontrolleure auf: Wie geht man etwa mit nicht verbrauchten Krediten um? Wie behandelt man Überschüssen aus den Vorjahren? Spätestens 2019, so der Rat, müsste die Schuldenbremse für die Aufstellung des Landeshaushalts 2020 in der Landesverfassung verankert sein.