Die Eltern und der Onkel einer heute 28-jährigen Frau sind vom Landgericht Stuttgart zu Bewährungsstrafen verurteilt worden. Sie hatten die Frau betäubt und nach Ostanatolien verschleppt.

Stuttgart - Der Fall einer jungen Frau türkischer Herkunft, die von ihren Eltern und ihrem Onkel von Stuttgart 3500 Kilometer weit nach Bingöl in Ostanatolien verschleppt worden war, hat hohe Wellen geschlagen. Am Freitagabend sind der Onkel und der Vater von der 5. Strafkammer des Landgerichts zu jeweils zwei Jahren Gefängnis auf Bewährung verurteilt worden. Die Mutter wurde mit eineinhalb Jahren wegen Beihilfe bestraft. Die Staatsanwältin hatte für alle drei Angeklagten Haftstrafen beantragt. Die Geschichte sei etwas, was man „gar nicht erklären kann in Deutschland“, so Volker Peterke, Vorsitzender Richter der 5. Strafkammer.

 

Der Onkel soll die Frau betäubt haben

Die Tochter lebte mit vier Schwestern und einem Bruder bei der Familie in Hessen. Den Eltern hat der Freiheitsdrang und der westliche Lebensstil der Tochter offenbar nicht gepasst. Im März 2011 kam es nach längeren Streitigkeiten schließlich zum Eklat. Die damals 22-Jährige wollte sich mit ihrem Freund treffen, der Vater rastete aus. Die junge Frau floh daraufhin in ein Frauenhaus nach Stuttgart. Von dort aus nahm sie Kontakt zu ihrem Onkel auf – ein Fehler, wie sich herausstellen sollte. Vater, Mutter und Onkel kamen überein, die 22-Jährige in die Türkei zu verschleppen.

Der Onkel soll seine Nichte getroffen, betäubt und dann mit dem Vater nach Bingöl gebracht haben. Um sie ruhigzustellen, wurde ihr vorgelogen, die Familie habe einen schweren Unfall gehabt, die Schwester sei tot, der Bruder liege im Koma. In der Türkei offenbarte das Opfer, keine Jungfrau mehr zu sein. Nun sollte sie verheiratet werden. Tatsächlich, so die Frau vor Gericht, wollte sie dem ausgesuchten Bräutigam, der sich als freundlich und liebevoll erwiesen habe, eine Chance geben. Deshalb sahen die Richter auch keine Zwangsheirat. Doch das Paar zerstritt sich, die Frau konnte im Januar 2013 nach Deutschland fliehen.

Kein Ruhmesblatt für die Justiz

Der Fall ist kein Ruhmesblatt für die Justiz. Die Tochter hatte nach ihrer Rückkehr Anzeige erstattet. Nach Aussage ihrer Anwältin Maike Koch haben die Staatsanwaltschaften Stuttgart und Gießen in dem Fall ermittelt – ohne voneinander zu wissen. Gießen stellte das Verfahren sogar ein. Erst nach der Beschwerde der Anwältin wurde weiter ermittelt. Dann lag das Verfahren lange beim Landgericht Stuttgart. So dauerte es bis Anfang dieses Jahres, ehe es zum Prozess kam. Die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung und die – allerdings äußerst knappen – Geständnisse der Angeklagten haben die milde Bestrafung möglich gemacht. Die Beweislage sei aber auch schwierig, sagt Anwältin Maike Koch. Die Betäubung ihrer Mandantin sei kaum nachzuweisen. Zudem müsste das Gericht etliche Zeugen aus der Türkei hören – ein Riesenaufwand. „Wir sind froh, dass es vorbei ist“, so die Anwältin. Ihre Mandantin sei noch heute schwer traumatisiert. Sie lebt an einem unbekannten Ort.

Das Gericht, das die Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilte, erließ ein Kontaktverbot gegen die Familie. Zudem müssen die Eltern und der Onkel insgesamt 23 000 Euro Schmerzensgeld an die heute 28-jährige Frau bezahlen.