Triebe und Umtriebe im Gewächshaus: Im Stuttgarter Kammertheater inszeniert Nuran David Calis „Last Park Standing“ von Ebru Nihan Celkan. Die türkische Autorin geht mit ihrer aufrechten Haltung ein hohes Risiko ein. Aber wird daraus auch gute Kunst?

Stuttgart - Parkschützer gibt es überall. Und überall auf der Welt gleichen sich die Methoden, mit denen sie kleine Gärten oder große Wälder vor der Abholzung retten wollen: Camps aufschlagen, sich an Bäume ketten und in Baumkronen wohnen, bis der Arzt kommt, um die von der Polizei zusammengeprügelten Parkschützer wieder zusammenzuflicken. So läuft das normalerweise, ob im Hambacher Forst oder im Stuttgarter Schlossgarten – und doch gibt es jenseits der Körperverletzung gravierende Unterschiede bei den Konsequenzen, mit denen die Robin Woods dieser Welt nach ihren Aktionen rechnen müssen. Darauf weist „Last Park Standing“ gleich zu Beginn hin.

 

Über die Bühne von Irina Schicketanz, die ein Gewächshaus hinter Glas ins Kammertheater gestellt hat, zieht sich eine breite Videowand. Noch bevor auch nur ein Wort gesprochen wird, erscheint dort eine an die Fantasie der Zuschauer appellierende Schrift. „Stellen wir uns vor: Eines Morgens wachen Sie auf und bemerken, dass jeder, der Rosensteinpark sagt, festgenommen wird, oder alle, die über den Schwarzen Donnerstag reden, in den Zeitungen zu Terroristen erklärt werden“, heißt es in dem Prolog, den die türkische Autorin Ebru Nihan Celkan eigens für die deutschsprachige Erstaufführung geschrieben hat – und schlagend macht ihre Analogie klar, dass der im Titel erwähnte, namenlos bleibende Park in einem ausgewachsenen Unrechtsstaat liegen muss, weit jenseits von Stuttgart 21 und Stefan Mappus. Aber wo?

Die Liebenden vom Gezi-Park

Klar, jeder Zeitgenosse weiß die Antwort: „Last Park Standing“ spielt vor dem Hintergrund des Istanbuler Gezi-Parks, der 2013 zum Ausgangspunkt landesweiter Proteste gegen das Erdogan-Regime wurde. Dass Celkan in ihrem Dreipersonenstück weder den Park noch den Präsidenten erwähnt, ist also nicht nur ein Trick, der die Geschichte ins Allgemeingültige heben soll. Über das Literarische hinaus ist es wohl vor allem eine Vorsichtsmaßnahme: Mit Erdogan ist nicht zu spaßen – und obwohl die Istanbuler Autorin alles unternimmt, um sich vor Repressalien in der Heimat zu schützen, wagt sie sich doch weit hinaus aufs gefährliche Feld. „Heute bitte ich Sie“, heißt es im Leinwand-Prolog weiter, „nicht nur über das nachzudenken, was Sie auf dieser Bühne sehen und hören, sondern auch über das, was Sie weder sehen noch hören“ – die Botschaft steckt im Ungesagten, im Verschwiegenen.

Und dann geht’s los im Kammertheater, das tatsächlich der passende Ort ist für das Kammerspiel, um das es sich bei „Last Park Standing“ handelt. Begleitet von Demonstrationen und Polizeieinsätzen, von Verhaftungen und Misshandlungen, erzählt das Stück die überschaubare Story der Aktivistinnen Janina und Umut, deren Liebe nicht nur von der Staatswillkür getrübt wird, sondern auch von der Entfernung, die zwischen den liebenden Frauen liegt. Janina lebt in Berlin, Umut in Istanbul – und kennengelernt haben sie sich, als die Astrophysikerin für eine Gastdozentur an den Bosporus kam, von der Stadt überfordert wurde und in die Arme der angehenden Juristin lief, die ihrerseits vor dem Tränengas der Polizei floh. Dieser 6. Juni 2013 ist der zentrale Tag im Leben von Janina und Umut – und als Jahrestag ihrer großen Liebe auch der Angelpunkt des mit verwirrenden Zeitsprüngen arbeitenden Dramas, das Nuran David Calis in eine Sphäre zwischen Traum und Wirklichkeit rückt.

Statement für die Regenbogen-Community

Behilflich ist dem Regisseur dabei die tropische Gewächshausbühne, die einerseits für den umkämpften Park steht, andererseits aber auch für das umkämpfte Unterbewusste. Im psychedelischen Dämmerlicht liegend, ist die Vegetation darin so üppig und dicht, dass zwischen Palmbäumen, Weihnachtssternen und ähnlichem Gebüsch nicht jede Regung zu erkennen ist. Ein Spitzel mit weißer Maske, der Ausweispapiere sehen will, geistert ebenso durch den finsteren Unterbewusstseinspark wie später ein Transsexueller, der herausschleicht und sein Coming-out mit einem lasziven Tanz an der Rampe feiert – die Albtraumsphäre geht in Wirklichkeitssphäre über, nicht nur im Bühnenspiel von Valentin Richter, sondern auch darüber hinaus: Mit seinem schwul-lesbischen Personal ist „Last Park Standing“ nicht zuletzt ein Statement für die türkische Regenbogen-Community, was abermals für die unerschrocken aufrechte Haltung der Autorin spricht.

Aber es hilft nichts: Gute Absichten machen noch keine gute Kunst – und das zeigt sich in der mit platten Metaphern beladenen Inszenierung vor allem in Gestalt der Hauptfiguren Janina und Umut. Anne-Marie Lux und Josephine Köhler, sonst wunderbare Darstellerinnen, kommen der Seelennot ihrer Frauen nicht nah. Abgesehen davon, dass sie zwischen Berlin und Istanbul mittels Videonachricht kommunizieren, ein Medium mit eingebauter Distanz, überzeugen auch ihre leibhaftigen Treffen auf den Gewächshaus-Sofas kaum. Freud und Leid spielen sie nicht, sie behaupten und simulieren es nur.

Schade, dass „Last Park Standing“ im Kammertheater nicht überzeugt, weder als Inszenierung noch – jetzt muss es raus – als Drama, so ehrenwert die Motive der bei der Premiere anwesenden Ebru Nihan Celkan auch sind. Zu hoffen bleibt, dass sie, anders als im Prolog beschrieben, unter ihrer Zivilcourage nicht leiden muss, wenn sie nach Istanbul zurückkehrt. Gewichtigen Geleitschutz hat sie in Stuttgart schon mal bekommen: Auch Fritz Kuhn und Muhterem Aras, der Oberbürgermeister und die Landtagspräsidentin, wohnten der politisch heiklen Erstaufführung in Stuttgart bei.