Nach dem tödlichen Lawinenabgang in den französischen Alpen diskutiert die Fachwelt, ob die Alpinisten sich den Risiken bewusst waren. Vielleicht kann der einzige Überlebende, ein Deutscher, helfen.

Frankreich - Den Deutschen und Tschechen, die am Mittwoch auf dem Helikopterflughafen der Bergwacht von Briançon sieben tödlich verunglückte Familienangehörigen identifiziert haben, wäre zu wünschen, dass ihnen wenigstens das erspart bleibt. Dass sie sich nicht auch noch die quälende Frage stellen müssen, ob die Lawinenkatastrophe vom Vortag hätte verhindert werden können. Dass zur Trauer über den Verlust des Vaters oder Bruders nicht auch noch der zersetzende Argwohn tritt, dass das in den Alpen heraufziehende Unheil vorhersehbar und vermeidbar war.

 

Auf den ersten Blick kam der Tod der bei gutem Wetter zum 4015 Meter hohen Dôme de neige des Écrins aufsteigenden Alpinisten aus heiterem Himmel. Dass die vier Deutschen und drei Tschechen zwischen 39 und 51 Jahren kurz vor Erreichen des Gipfels unter herabstürzenden Schneemassen sterben würden, schien genauso unvorhersehbar wie das Überleben der 36-jährigen Gefährtin. „La Miraculée“ nennen die Franzosen die Deutsche, die mit Schädelfraktur und gebrochenem Oberschenkelknochen in der Klinik von Briançon liegt – die „durch ein Wunder Gerettete“.

Die Wanderroute gilt als leicht

In drei Seilschaften waren die acht am frühen Dienstagmorgen von einer auf 3175 Meter Höhe gelegenen Hütte Richtung Gipfel aufgebrochen. Die viel begangene Route ist in französischen Wanderführern unter Schwierigkeitsgrad F vermerkt. F steht für facile – leicht. Die Ausrüstung der Alpinisten war den Umständen angemessen. Die Saison neigt sich dem Ende zu. Am Wochenende waren bereits heftige Schneefälle über dem Felsmassiv niedergegangen und hatten bis zu einem Meter Neuschnee zurückgelassen. Die Bergsteiger waren darauf vorbereitet. Alle acht trugen Steigeisen. Die Sichtverhältnisse waren gut.

Der Hüttenwart hatte keine Mühe, den Aufstieg seiner Gäste mit dem Fernglas zu verfolgen. Gegen 11.50 Uhr geschah es dann, 100 Meter unterhalb des Gipfels, vor den Augen des Hüttenwartes. Unter den Schritten der Alpinisten löste sich die noch nicht gefestigte Schneedecke, donnerte zu Tal und riss sieben von ihnen in den Tod. Tags darauf melden sich die Fachleute zu Wort. Sie sprechen nicht von Fügung oder Schicksal, sondern warten mit möglichen Unglücksursachen auf, die bekannt waren, die man am Dienstagmorgen zumindest hätte in Erfahrung bringen können. Meteorologen verweisen etwa auf einen am Unglückstag mit 70 Stundenkilometern blasenden warmen Südwind, der die Entstehung von Schneeverwehungen und Schneebrettern begünstige wie auch deren Loslösung vom Untergrund.

Haben die Alpininsten keinen Sicherheitsabstand gehalten?

Pierre Besnard, der Präfekt des Départements Hautes-Alpes (Hochalpen), versichert, es sei allgemein bekannt, dass bei abschüssigem Gelände mit einem Neigungswinkel von 30 Grad erhöhte Lawinengefahr bestehe. Es gelte Alpinisten dazu zu erziehen, dass sie sich beim leisesten Zweifel nicht sagten „wir versuchen’s trotzdem“, sondern auf den Aufstieg verzichteten. Bergführer bezweifeln außerdem, dass die Verunglückten den zwischen Seilschaften empfohlenen Sicherheitsabstand eingehalten   haben. Bei angemessener Distanz zu den Vorderleuten hätte die Lawine nicht die gesamte Gruppe erfasst, sagen sie.

Der Präfekt sieht sich am Mittwoch der unangenehmen Frage ausgesetzt, ob er es womöglich selbst an „Erziehungsmaßnahmen“ hat fehlen lassen. Seit Jahresbeginn haben in seinem Département mehr als 30 Personen bei Lawinenunglücken ihr Leben gelassen. Nie zuvor waren in den Hochalpen so viele Opfer zu beklagen gewesen. Es fehle an Aufklärung, räumt Besnard ein. Was eine Fügung des Schicksals scheine, sei in manchen Fällen durchaus zu verhindern. Die Staatsanwaltschaft der Stadt Gap sieht das ähnlich. Sie hat Ermittlungen zur Unglücksursache aufgenommen und erhofft sich auch Aufschluss von der überlebenden Deutschen.