In der Affäre um den PR-Berater der LBBW, Norbert Essing, gerät nun auch eine für die Bank tätige Anwaltskanzlei ins Blickfeld.

Stuttgart - Es war die einzige Chance für Hans-Jörg Vetter, doch noch die Kurve zu kriegen. Zunächst hatte der Chef der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) mit einem Lob reagiert, als sein PR-Berater Norbert Essing durch einen "Spiegel"-Bericht ins Zwielicht geriet. Essing solle einen früheren Mandanten in einem anonymen Fax der Pädophilie bezichtigt haben - was er dazu sage? "Bisher sind wir mit den Beratungsleistungen stets zufrieden gewesen", ließ Vetter mitteilen. Erst nach fünf Tagen fand die Bank einen Weg, ohne einen schwer erklärbaren Sinneswandel auf Distanz zu gehen. Der Berater selbst habe darum gebeten, den Vertrag mit ihm ruhen zu lassen, hieß es nun. Er solle Gelegenheit bekommen, "die gegen ihn erhobenen Vorwürfe aufzuklären".

In Kreisen der LBBW-Träger, die über Vetters Treue zu Essing zunehmend irritiert waren, sorgte das für Erleichterung. Immerhin hatte das Nachrichtenmagazin den Eindruck erweckt, es sei gar nicht so leicht, sich von ihm zu trennen. Auch die Frage, ob Vetter nach seinem Wechsel von der Landesbank Berlin nach Stuttgart aus freien Stücken sein Kunde blieb, schien da nicht ganz abwegig. Günther Oettinger wich ihr bei seiner letzten Pressekonferenz als Ministerpräsident lieber aus. Die Bank beantwortete sie nur mit dem Hinweis, man habe keinen Anlass gehabt, "an der Seriosität des Beraters zu zweifeln".

Auch sonst gibt sich Vetter höchst zugeknöpft auf Fragen nach Essing, mit dem er seit etlichen Jahren zusammenarbeitet. So thematisierte der "Spiegel" mögliche Interessenkonflikte, weil der Berater während seiner Tätigkeit für die Bankgesellschaft und spätere Landesbank Berlin (Chef: Vetter) gleichzeitig bei der WestLB unter Vertrag gewesen sei. Stimmt es, dass Essing ihn über die Doppelrolle informierte und ein Mandat zeitweise ruhen ließ? Von der LBBW gibt es dazu keinen Kommentar.

Schweigsam zeigt sich auch der Aufsichtsratsvorsitzende der Landesbank Berlin (LBB), der deutsche Sparkassenpräsident Heinrich Haasis. Was er über Essings Wirken bei der LBB, dessen Arbeitsmethoden und mögliche Interessenkonflikte gewusst habe? Dazu wolle man sich nicht äußern, sagt ein Verbandssprecher. Er verweist lediglich darauf, dass derartige Verträge mit Dienstleistern "Sache des Vorstands" seien. Auch der baden-württembergische Sparkassenpräsident Peter Schneider, ebenfalls Aufseher in Berlin, soll dort nie mit Essing befasst gewesen sein.

Weiterer Berührungspunkt zur Landesbank


Inzwischen haben sich die LBBW-Träger indes näher mit dem Berater beschäftigt - und sind auf einen weiteren Berührungspunkt zur Landesbank gestoßen. Bei den Vorwürfen gegen Essing geht es auch um ein Papier einer Berliner Anwaltskanzlei, die Vetter in einem ganz anderen Zusammenhang in Stuttgart mit hoch sensiblen Aufgaben betraut hat. Es soll dem PR-Experten als Munition gedient haben, um seinem Exmandanten - dem Unternehmer Harald Christ - das Leben schwer zu machen. Als Christ 2009 ins Wahlkampfteam des SPD-Kanzlerkandidaten Frank Walter Steinmaier berufen wurde, musste er in den Medien plötzlich Unerfreuliches über sich lesen: Bei seinem früheren Arbeitgeber, dem Hamburger Fondsanbieter HCI, habe er private Ausgaben in beträchtlichem Umfang als Spesen abgerechnet.

Die Negativschlagzeilen beruhten auf einer Untersuchung, die das Unternehmen (damaliger Chef: Essings jüngerer Bruder Wolfgang) beim Berliner Büro der internationalen Wirtschaftskanzlei White & Case in Auftrag gegeben hatte. Den Redaktionen wurde indes nicht die deutlich abgeschwächte Endfassung, sondern der wesentlich schärfere Entwurf eines Memorandums zugespielt. Auf 46 Seiten legen die Anwälte darin dar, welche Hotelübernachtungen oder Bewirtungen nicht betrieblich veranlasst gewesen sein könnten. Solche Zweifel hegen sie etwa bei Treffen mit einem Bundestagsabgeordneten, der "wie Christ Mitglied der Hamburger SPD und homosexuell" sei.

Aber auch Begegnungen mit Baden-Württembergern werden in dem Dossier kritisch hinterfragt: Unter den "am häufigsten bewirteten Personen" findet sich Lothar Späth, einst Ministerpräsident und heute bei der Investmentbank Merril Lynch. Ein Termin Christs mit dem Stuttgarter Bundesratsminister Wolfgang Reinhart in Berlin erscheint den Verfassern ebenso "unklar" wie ein Gespräch mit dem früheren LBBW-Chef Siegfried Jaschinski in Stuttgart. Ihr Fazit: "Eine Beurteilung ist nicht möglich."

Rätsel um das Dossier


Wie gelangte das vom April 2008 datierende Papier 2009 in die Medien? Man habe es von Essing erhalten, der es auch einem anderen Medium angeboten habe, berichtete der "Spiegel". Der Berater selbst dementierte gegenüber der StZ nur, was gar nicht behauptet wird: Mit einem "Focus"-Bericht, in dem die Untersuchung erstmals aufgetaucht sei, habe er "nichts zu tun". Ansonsten seien ihm "zur Beantwortung weiterer Fragen derzeit die Hände gebunden".

Die Kanzlei White & Case rätselt nach eigenem Bekunden ebenfalls, wie das Dossier in die Redaktionen kam: Man habe dies weder veranlasst noch daran mitgewirkt noch davon Kenntnis gehabt. Die auch auf sexueller Orientierung und Parteibuch basierenden Spekulationen wollen die Anwälte heute relativiert sehen: Es komme durchaus vor, dass man in einem frühen Stadium Feststellungen treffe, die sich später als nicht relevant erwiesen. Zwischen Essing und dem laut Verfasservermerk zuständigen Anwalt und Partner der Kanzlei, Professor Nils Clemm, bestehe keine Beziehung.

Engen Kontakt hält Clemm, den ältere Fernsehzuschauer vielleicht noch als Schiedsrichter aus dem "Großen Preis" kennen, dagegen zum Chef der LBBW. Er berät Vetter im Zusammenhang mit den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gegen die Bank, also auf brisantem Terrain. Wenige Stunden nach der großen Razzia in der Bankzentrale zum Beispiel, hört man, sei er schon in Stuttgart eingetroffen. Besonders delikat ist Clemms Rolle bei der LBBW Immobilien: Er und ein Kollege entscheiden nach StZ-Informationen darüber, welche Befunde der Sonderprüfer von der Prüfgesellschaft KPMG als strafrechtlich relevant an die Staatsanwaltschaft weitergegeben werden - und welche nicht.

LBBW gibt dazu keinen Kommentar


Ob die Anwälte da den gleichen Eifer wie im Fall Christ an den Tag legen, um belastendes Material zusammenzutragen? Sie hätten eine rechtsstaatlich heikle Schlüsselrolle und müssten daher über jeden Zweifel erhaben sein, mahnten kritische Beobachter - lange bevor der "Fall Essing" und das Dossier von White & Case bekannt wurden.

Die LBBW will den Vorgang indes nicht kommentieren. "Selbstverständlich" habe man "keine Kenntnis über Mandate von Dritten bei der Kanzlei", teilt sie mit - was angesichts der Medienberichte über das Dossier etwas komisch wirkt. Ansonsten fällt das Zeugnis ganz ähnlich wie bei Essing aus: "Die Kanzlei White & Case versieht die ihr übertragenen Aufgaben bei der LBBW zu unserer Zufriedenheit."