Eine Somalierin blamiert sich beim 100-Meter-Lauf bei den World University Games im chinesischen Chengdu – und löst eine innenpolitische Krise aus.

Schon äußerlich unterscheidet sie sich von den anderen Athletinnen: Sie trägt Kopftuch, Leggins und ein langes T-Shirt. Und aus den Startblöcken auf Bahn Nummer 4 des Dong’an-Stadions in der chinesischen Provinzhauptstadt Chengdu kommt Nasra Abubakar Ali nur mit Mühe heraus. Danach verliert die Somalierin gegenüber ihren Wettbewerberinnen jede Sekunde rund fünf Meter – nach sechs Sekunden ist die leicht übergewichtige Athletin vom Fernsehbild verschwunden. Die Kamera hat sich auf die schnelleren Teilnehmerinnen der Weltuniversitätsspiele konzentriert, die nach 100 Metern unter tosendem Applaus die Ziellinie überqueren. Die meisten unter zwölf Sekunden.

 

Erst später fällt dem Kameramann das Fehlen der Sprinterin mit dem Kopftuch auf. Er schwenkt zurück zur Laufbahn, wo Nasra noch immer unterwegs ist. Nach 21,81 Sekunden überquert schließlich auch sie die Ziellinie: Betont lässig geht sie in den letzten Metern zum Hüpfen über. Der Videoclip wird auf den sozialen Netzwerken zur Sensation.

Der Sportminister entschuldigt sich

Ehre ist in Somalia eines der höchsten Güter – zur Rettung des guten Rufs wurden auch schon Kriege geführt. Kein Wunder, dass die Bilder aus dem Dong’an-Stadion im ostafrikanischen Staat wie ein Dolchstoß aufgenommen werden: Wer, um Gottes willen, hat Nasra als Somalias Repräsentantin nach Chengdu geschickt? Der Sportminister leugnet jede Beteiligung, entschuldigt sich aber trotzdem im Namen der Regierung und wird zum Rücktritt gedrängt. Somalias Leichtathletikverband kündigt eine Untersuchung an: Gerüchten zufolge soll der Vizepräsident des Verbands seiner Nichte eine Chance zu einer Reise ins Reich der Mitte verschafft haben. Wenn Nasra beim Wettkampf so schnell gewesen wäre, wie sie danach von der Bildfläche verschwand: Sie hätte für ihr Land die Goldmedaille geholt.