Die deutsche Leichtathletik hat ihre Talente: Zum Beispiel Fabian Heinle oder Gina Lückenkemper, die bei der WM in Peking zum ersten Mal bei einem Großereignis dabei sind. Aber hoffentlich nicht zum letzten Mal.

Chef vom Dienst: Tobias Schall (tos)

Peking - Manchmal reicht ein Wort, um alles zu sagen. Es ist zweifellos nicht der schönste Ausdruck, den die deutsche Sprache zu bieten hat, aber einer mit hoher und ziemlich eindeutiger Aussagekraft: „Scheiße“. Das sagt Fabian Heinle, 21 Jahre alt, über die Situation am Montagvormittag in Pekings Vogelnest, als der Tscheche Radek Juska in seinem letzten Versuch der Weitsprung-Qualifikation 7,98 Meter sprang. Zwei Zentimeter weiter als Fabian Heinle, und der in Böblingen geborene Bursche, der in Musberg wohnt, war raus. Am Ende belegte der Weitspringer vom LAV Stadtwerke Tübingen mit 7,96 Meter den 14. Platz. Drei Zentimeter weiter – und er hätte bei seinem WM-Debüt das Finale der zwölf Besten der Welt erreicht.

 

Die Enttäuschung ist natürlich groß bei dem 21-Jährigen in diesen Minuten nach dem Wettkampf. Er hat sein Ziel nicht erreicht. Er hatte diese Weite drin, er hat sich 2015 auf starke 8,25 Meter gesteigert und mehrfach die Achtmetermarke übertroffen, in Nürnberg war er mit 8,03 Metern Deutscher Meister geworden. Aber wenigstens hat er wichtige Erfahrung im Konzert der Großen gesammelt. „Das ist etwas Außergewöhnliches, neben so Leuten wie Greg Rutherford zu stehen“, sagt er. Rutherford ist Olympiasieger und Europameister.

Fabian Heinle ist ein Hoffnungsträger der deutschen Leichtathletik, einer der neuen Generation an Athleten, die hier in Peking dabei ist. Dass der U-23-Europameister überhaupt hier ist, ist auch deshalb bemerkenswert, weil er nach einer schweren Knieverletzung im Januar 2014 vor dem Karriereende stand. Beide Kreuzbänder im linken Knie waren gerissen, dazu das Außenband und die Kapsel – ein Totalschaden. Nach geglückter OP und gelöster Blockade im Kopf brillierte er dieses Jahr. Olympia 2020 war sein Ziel, vielleicht klappt es schon 2016. Sein Potenzial ist riesig, sagen Experten. Er soll behutsam aufgebaut werden. Im nächsten Jahr macht Heinle erst mal das Fachabitur nach, er hat zuvor eine Ausbildung zum Mechatroniker gemacht. Nach dem Abi will er Maschinenbau studieren. Sportlich will er konstant an 8,20 Meter springen: „Ich habe noch Luft.“

Die Gemütslage von Gina Lückenkemper war nach ihrem ersten WM-Auftritt eine andere als bei Fabian Heinle, obwohl auch sie bei ihrem ersten Auftritt ausschied. Überglücklich stand sie am Sonntag nach ihrem Vorlauf über 100 Meter in der Mixed Zone, die Worte sprudelten nur so aus ihr heraus. „Es hat riesigen Spaß gemacht“, sagte die erst 18-Jährige, die 11,34 Sekunden gelaufen war. Neben ihr hatte Verena Sailer (29) die Arme auf das Geländer gestemmt und rang nach Luft und den richtigen Worten. Die große Frau des deutschen Sprints der vergangenen Jahre hatte weniger Spaß. Sie war ebenfalls im Vorlauf ausgeschieden, war aber eben mit höheren Erwartungen zu dieser WM gekommen.

Gina Lückenkemper ist zum Lernen hier. Die nächste Einheit steht am Samstag in der Sprintstaffel an, falls sie in der eingesetzt wird. Ihre Lernkurve ist steil. Im Juli wurde sie U-20-Europameisterin über 200 Meter, ihre Spezialstrecke. Mit 23,04 Sekunden ist sie so schnell wie seit mehr als 15 Jahren keine deutsche U-20-Athletin mehr gelaufen, bei der EM gewann sie das Finale sogar in 22,41 Sekunden, bei etwas zu viel Rückenwind (2,6 Meter pro Sekunde), so dass diese Zeit nicht offiziell in den Listen geführt wird. Ihre 100-Meter-Zeit steigerte sie 2015 auf 11,25 Sekunden, das war die WM-Norm und das Ticket. Sie ist die jüngste Deutsche im Aufgebot. Ihr Rezept? „Ich habe einfach Freude am Laufen.“

Der Teenager gilt als eines der großen Versprechen der deutschen Leichtathletik. Man wusste, dass da eine kommt, schon länger schwärmen Trainer vom Potenzial dieses Rohdiamanten aus Soest. „Gina steigt ja nicht wie Phönix aus der Asche“, sagt der Sprint-Bundestrainer Ronald Stein, aber: „Die Entwicklung ist absolut fantastisch.“ Sie soll vorsichtig aufgebaut werden, auf die deutschen Meisterschaften hatte sie deshalb verzichtet, sie soll nicht verheizt werden in zu vielen Rennen.

Im nächsten Jahr macht die aufgeweckte und äußerst erfrischende Läuferin in Soest ihr Abitur, in Peking büffelt sie Stoff, die Schule hat schließlich schon wieder angefangen. Die WM genießt sie. Es sei aufregend, alles so viel größer, all die Stars um sie herum. Man unterhalte sich auch mit denen, aber in einem gewissen Rahmen: „Ich will die auch nicht zu sehr volltexten.“