Leipziger Buchmesse Wie kommt das Buch zum Kunden?

Kafka-Skulptur des Künstlers David Cerny auf der Leipziger Buchmesse 2019. Foto: dpa-Zentralbild

Die Pleite des Stuttgarter Großhändlers KNV überschattet die Leipziger Buchmesse. Sie gilt als Indiz für die massiven Probleme der Branche. Warum eigentlich?

Kultur: Stefan Kister (kir)

Stuttgart - Man hat sich schon daran gewöhnt, dass die Feiern des Mediums Buch während der großen Messen von alarmierenden bisweilen auch alarmistischen Misstönen überlagert werden. Im letzten Herbst in Frankfurt war es die Hiobsbotschaft, dass der Buchmarkt seit 2013 6,4 Millionen Käufer verloren hat. Wie vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels zu hören ist, konnte dieser Trend zuletzt gestoppt werden. Die neuesten Zahlen deuten auf einen leichten Zuwachs, vor allem – aber nicht nur – im E-Book-Segment.

 

Doch im Vorfeld der am Donnerstag beginnenden Buchmesse in Leipzig befeuert die Insolvenz des Stuttgarter Zwischenbuchhändlers Koch, Neff & Volckmar (KNV) die Metaphorik der Krise: Von einem systemrelevanten Dominostein ist die Rede, von einem Beben, das die gesamte Branche erschüttert, von einem Menetekel. Doch so unmittelbar einleuchtend diese Bilder erscheinen mögen, so ratlos lässt den normalen Leser vermutlich schon ein Begriff wie „Zwischenbuchhandel“ zurück. Um nachzuvollziehen zu können, was sich da zusammenbraut, lohnt es sich einmal zu verfolgen, welchen Weg ein Buch zurücklegt, bis es in den Händen des Lesers landet.

Was ist der Zwischenbuchhandel? Hinter dem in Deutschland so selbstverständlichen Luxus, nahezu jedes gewünschte Buch binnen 24 Stunden liefern zu können, steht eine höchst komplexe Infrastruktur. Ihr Herzstück ist der sogenannte Zwischenbuchhandel, der zwischen Verlagen und dem Buchhandel vermittelt. Er unterhält eigene Buchvorräte und garantiert, dass die Verlagsprodukte zeitnah in den Handel gelangen. Im Wettbewerb mit dem Internethändler Amazon und seinem Versprechen der Lieferung frei Haus ist der stationäre Buchhandel auf die im ganzen Bundesgebiet verteilten Auslieferungslager des Zwischenbuchhandels angewiesen. Nach wie vor wird die Hälfte des Umsatzes (47,1 Prozent) im Sortimentsbuchhandel, der klassischen Buchhandlung vor Ort, gemacht. Doch auch der Onlinehandel ist neben der Direktbelieferung durch die Verlage auf die Logistik von Großhändlern wie KNV angewiesen.

Was ist eine Verlagsauslieferung?

Eine wichtige Funktion des Zwischenbuchhandels besteht darin, die Verlage zum wechselseitigen Vorteil von bestimmten Aufgaben zu entlasten. Zu diesen Dienstleistungen gehört die Verlagsauslieferung. Darunter fallen Lagerung, Bestellannahme, Versand und das Rechnungsgeschäft. Verlagsauslieferungen haben das Gesamtprogramm der Verlage, mit denen sie zusammenarbeiten, vorrätig. Sie erhalten dafür Vergütungen, Gebühren oder auch Pauschalen. Durch die Auslagerung des Vertriebs können sich Verlage ganz ihrem Kerngeschäft – Lektorat, Herstellung, Marketing und Verkauf von Büchern – widmen. Rund fünfzig Verlagsauslieferungen in Deutschland bieten unterschiedliche Services an. Viele davon haben sich auf bestimmte Sortimente spezialisiert und liefern etwa für Verlage mit ähnlichem Programm aus.

Was ist ein Barsortiment?

Das Hintergrundlager des Bucheinzelhandels bilden die Barsortimente. Sie führen die allermeisten Titel der deutschsprachigen Produktion und decken über 90 Prozent des Bedarfs einer Sortimentsbuchhandlung ab. Barsortimenter kaufen auf eigene Rechnung Bücher von den Verlagen, um sie an die Buchhändler weiterzuverkaufen. Sie tragen damit im Gegensatz zur Verlagsauslieferung ein eigenes Verkaufsrisiko. In Deutschland teilen sich drei Großhändler das Geschäft: KNV, Libri und Umbreit.

Was ist ein Bücherwagendienst?

Bereits im 19. Jahrhundert hängte die Reichsbahn Bücherwaggons an die nachts von Stuttgart und Leipzig aus in alle deutschen Großstädte fahrenden Schnellzüge an. Nach dem Zweiten Weltkrieg bauten die Zwischenbuchhändler ein Netz aus Bücherwagendiensten auf. Mit eigenen Lieferwagen und Spediteuren werden seitdem täglich außer sonntags Buchhandlungen im ganzen deutschsprachigen Raum angefahren. Die Bücher werden in offenen Wannen transportiert, die ähnlich wie Postkisten dem Kreislauf immer wieder zugeführt werden. Die Fahrer verfügen über die Schlüssel der Buchhandlungen, um die Ware in der Nacht beim Kunden abstellen zu können. Entfernungsunabhängige Gebühren gewährleisten, dass abgelegene Verkaufsstellen, beispielsweise auf Urlaubsinseln, nicht benachteiligt werden.

Welche Bedeutung hat KNV?

KNV ist ein Stuttgarter Unternehmen, das seine Anfänge bis auf das Jahr 1829 zurückführt. Es ist Marktführer im deutschen Zwischenbuchhandel und beliefert 5600 Buchhandlungen mit knapp 600 000 Titeln – vornehmlich in Deutschland, Österreich und der Schweiz, aber auch weltweit. Im Jahr 2014 legte die KNV-Gruppe die Bereiche Barsortiment und Verlagsauslieferung in einem Logistikzentrum in Erfurt zusammen. In Zeiten, in denen die Wachstumsjahre der Branche vorbei sind, geriet das Unternehmen damit in eine finanzielle Schieflage. Am 14. Februar wurden beim Amtsgericht Stuttgart Insolvenzanträge gestellt. Am 1. Mai soll das Insolvenzverfahren eröffnet werden. Die KNV Verlagsauslieferung hat rund 250 Verlagskunden, darunter Suhrkamp, DTV und Piper.

Vor allem Kleinverlage trifft die Insolvenz hart. In diesen Tagen hätte der Großhändler den Verlagen ihren Gewinnanteil aus dem traditionell umsatzstarken Weihnachtsgeschäft überweisen müssen. Ob und wann sie ihr Geld bekommen, ist unklar. Aufgrund seiner Marktbedeutung hätte ein Ausfall des Unternehmens wohl einen spürbaren Effekt auf die Lieferkette. Vorerst ist der Geschäftsbetrieb gesichert. Wie es weitergeht, hängt vom Ausgang des Insolvenzverfahrens ab. Unter den Interessenten an einer Übernahme soll auch Amazon sein.

Weitere Themen

Weitere Artikel zu Insolvenz Leipziger Buchmesse