Caroline Gucker entscheidet sich für einen Freiwilligendienst, bei dem sie ihr Leben mit Straftätern teilt.

Leonberg - Wenn die Jungs um 6.30 Uhr vom Frühsport nach Hause kommen, hat sie schon das Frühstück vorbereitet. Nach dem Essen beaufsichtigt sie ihre WG-Mitbewohner, allesamt verurteilte Straftäter, dabei, wie sie ihre Dienste tun. Wenn diese dann bei ihrer Arbeit oder in der Schule sind, muss schon wieder das Mittagessen vorbereitet werden.

 

Am Nachmittag beaufsichtigt Carolin Gucker dann die drei Kinder ihrer Gasteltern, die zwischen einem und sechs Jahre alt sind. Nachdem sie das Abendessen gekocht hat, unterstützt oder leitet sie noch Arbeitsgruppen oder Gruppendiskussionen in der WG. Bis sie dann wieder in ihrem Bett liegt, ist es 22.30 Uhr abends.

So sieht ein typischer Arbeitstag im Leben der 19-jährigen Caroline Gucker aus. Er kann durchaus stressig sein und klingt so gar nicht nach der berühmten „Auszeit“, die sich viele nach ihrem Abitur wünschen. Caroline Gucker ist dennoch glücklich mit ihrem Bundesfreiwilligendienst (BFD). Seit vergangenem September wohnt und lebt sie im Leonberger Seehaus, einer „Strafvollzugsanstalt in freier Form“, wie es in Behördensprache genannt wird.

Es gibt Alternativen

Männer zwischen 14 und 23 Jahren, die normalerweise eine Haftstrafe in der JVA Adelsheim verbüßen müssten, sollen hier einen anderen Weg aufgezeigt bekommen. Sie können ihren Hauptschulabschluss sowie das erste Ausbildungsjahr in einem der hauseigenen Betriebe machen. „Der Fokus liegt aber auf dem Zusammenleben und dem Vertrauen“, sagt Caroline Gucker.

Die Jungs leben in Wohngemeinschaften mit anderen Jungs, vor allem aber auch mit einer Familie und Kleinkindern zusammen. „Das ist ein einzigartiges Konzept“, schwärmt die 19-Jährige. „Viele hier haben nie ein gesundes Familienleben mitbekommen. Einige kennen ihre Väter gar nicht, bei anderen waren die Eltern mit der Erziehung überfordert. So sind sie auf die schiefe Bahn geraten.“ Im Seehaus sollen sie zudem lernen, wie sie mit Vertrauen umgehen: Es gibt keine Mauern um das Gelände, ein Ausbruch wäre jederzeit möglich. „So wollen wir ihnen zeigen, dass es ihnen besser geht, wenn sie hier bleiben. Wir bieten ihnen eine echte Chance“, erklärt die 19-jährige Caroline Gucker.

Dass sie mit Straftätern zusammenlebt, falle ihr bei der Arbeit kaum auf, sagt sie. „Wir wissen am Anfang nicht, was die Jungs getan haben. Das erfährt man nur über Gespräche“, sagt die junge Frau. „Das ist auch gut so, sonst hätte man mit viel mehr Vorurteilen zu kämpfen.“ Caroline Gucker und die anderen „Bufdinen“ im Seehaus verbringen ihren ganzen Tag mit den Jungs. Sie sagen: „Wir teilen unser Leben mit ihnen.“ Doch wirkliche Freundschaften entstehen trotzdem nicht.

Klare Rollenverteilung

Das liegt vor allem an der klaren Hierarchie im Haus. Die jungen Männer seien nun einmal verurteilte Straftäter, sagt Caroline Gucker. Daher gibt es auch ein System, das die Freiheiten nach dem Grad ihres Benehmens regelt. Die junge Frau hingegen hat nicht nur alle Rechte, sie darf sich frei und selbstbestimmt bewegen. Sie ist auch dafür verantwortlich, die Regeln durchzusetzen. „Das war für mich am Anfang nicht gerade einfach. Ich bin jünger und kleiner als die meisten Jungs, und dazu eine Frau“, berichtet sie. Deshalb hätte ihr auch immer eine ausgebildete Fachkraft zur Seite gestanden.

Mittlerweile hätte sie keine Probleme mehr damit, sich durchzusetzen. Ihr Auftreten ist selbstbewusster und sicherer geworden. Sie spricht klar und direkt, aber immer mit einem Lächeln und froher Stimme. So kann sie zu den jungen Männern vordringen.

Einfach ist ihr Freiwilligendienst also keineswegs. Die lange Belastung bringe auch Caroline Gucker manchmal an ihre Grenzen. Sie würde den Dienst daher nicht jeder oder jedem empfehlen, man bräuchte schon bestimmte Voraussetzungen: Ausdauer, ein gesundes Selbstbewusstsein und Autorität. Aber auch einen guter Umgang mit Kindern, die Bereitschaft, zu kochen und sich selbst zu investieren, zählt sie auf.

„Und Christ sollte man sein“, betont die 19-Jährige, die von sich selber sagt, dass ihr Glauben fast das Wichtigste in ihrem Leben ist. „Kaum einer der Jungs ist gläubig, und auch nicht jeder ist Christ. Dennoch ist es das Prinzip des Seehauses, ihnen von Jesus zu erzählen und ihnen den Glauben näher zu bringen.“ Das sei auch eines der Kriterien gewesen, warum Caroline Gucker ihren Freiwilligendienst hier absolvieren wollte. Und sie bereut es keine Sekunde: „Ich kenne viele Leute, die einen Freiwilligendienst machen. Und ich würde mit keinem von ihnen tauschen wollen!“, erklärt die 19-Jährige.