Das Inklusivtheater „alledabei“ präsentiert bei den Leonberger Theatertagen ein gesellschaftskritisches Stück – mit Humor.
Am Ende stehen auch dieses Mal alle Schauspieler des Inklusivtheaters „alledabei“ auf der Bühne im Spitalhof und zeigen zu der Melodie von „Go West“ der englischen Gruppe Pet Shop Boys ihren Abschiedstanz, bei dem die Mitspieler singen: „Zusammen sind wir wunderbar, verschieden, aber unschlagbar.“ Das Lied ist das Markenzeichen der Gruppe. Dass der gemeinsame Auftritt unschlagbar mitreißend ist, hängt auch damit zusammen, dass Elisabeth Kolofon, zuständig für Öffentlichkeitsarbeit und Inklusion bei der Lebenshilfe Leonberg sowie Regisseurin der Laienspielgruppe, ihren Schauspielern die Rollen auf den Leib schreibt. Man merkt, wie sich die Spieler mit ihrer Rolle identifizieren und dass Kolofon sie alle gut kennt.
Das aktuelle Stück „Golden Eye“ lässt zwar zunächst an James Bond denken, hat mit ihm aber gar nichts zu tun. Das „Golden Eye“ ist nämlich ein Lippenpflegestift, den die Königin des Stücks von ihrem Friseur geschenkt bekommt. Was sie nicht weiß: In dem Pflegestift ist eine Kamera versteckt, der Bilder aus dem Alltag im königlichen Palast direkt ins Aufnahmestudio des Fernsehsenders RPL Plus liefert, wo Julia Bläsi als Moderatorin Lula Ludowig ihrem Publikum die Szenen aus dem Königshaus in einer Reality-Show präsentiert. Natürlich hat sie eine Adelsexpertin an ihrer Seite (gespielt von Vilhelmina Pregitzer) – passend in Etuikleid, schwarzem Jäckchen, rosa Hut und Stöckelschuhen. Ebenjene Clementine Gräfin von und zu Plapperburg gibt ihr entsprechendes Wissen über die Adelsfamilie preis. Die Studioleiterin, in deren Rolle Annette Neumann schlüpft, hat zuvor die Regeln der Show erklärt – zum Beispiel wann das Publikum zu klatschen hat. „Golden Eye“ ist ein gesellschafts- und zeitkritisches Stück, das den Zuschauern jedoch reichlich Gelegenheit zum Lachen gibt.
Eine Prinzessin, die heiraten muss
Elisabeth Kolofon sorgt mit ihrem Akkordeon und dem Gitarristen Hermann Münch für flotte Musik zwischen den Szenen und setzt auch sonst Akzente. Zu dem Song „Morning Has Broken“ kommt Johannes Schultheis als König aus vollem Hals gähnend auf die Bühne und nimmt die Krone ab. Als er sich hingesetzt hat, wundert er sich, dass es keinen Kaffee gibt. Die Königin, die sich immer wieder, wie es sich für eine Frau ihres Standes gehört, auf Französisch äußert, ruft nach „Madame Cuisine“, die von Michaela Wahl gespielt wird. Das Prekäre: Die Staatskasse ist leer ist, wie der herbeigerufenen Simon Keim in der Rolle des Schatzmeisters kundtut. Die einzige Lösung: Die Prinzessin muss heiraten.
Dieser Umstand allein macht das Ganze für die Reality-Show und ihre Zuschauer interessant, aber nicht nur. Da gibt es noch – wie im realen Leben – die Konflikte in der Königsfamilie. Sandra Pregitzer in der Rolle von Prinzessin Mirabella tritt sehr selbstbewusst auf. „Ich bin kein Kind mehr“, erinnert sie ihre Eltern mehrmals, mit lauter Stimme und Nachdruck. Zwischen der Königin und ihrer Schwiegermutter kriselt es ebenfalls. Der König versucht, alle – zu esoterischen Klängen – zu beruhigen.
Sensationslüsterne Menschen
Das Stück führt dem Publikum vor Augen, wie sensationslüstern wir Menschen heute durch die Medien geworden sind – und das auf sehr humorvolle Weise. Bei dem Stück werden auch aktuelle Themen wie Transsexualität und die Letzte Generation gestreift. Wenn Sebastian Kolofon als Prinz von Hessen „Morsche“ sagt und die Prinzessin nicht versteht, übersetzt Annalies Müller als ihre „Mummy“: „Ich glaube, der sagt ‚Guten Morgen‘.“ Mirabella gefällt dieser Kandidat im Röckchen gar nicht: „Der bedient sich an meinem Kleiderschrank“, befürchtet sie, wenn sie ihn ehelicht. Der Markgraf von Baden (Anton Kurzer) rührt sich bei seiner Vorstellung nicht von der Stelle, was bei der Königsfamilie zu der Bemerkung führt: „Vielleicht hat er sich festgeklebt.“
Schließlich stellt sich heraus, dass nicht nur diese beiden, sondern auch der Herzog von Württemberg (Peter Neumann) gar keine Adeligen sind, sondern eine Band. Vor der Show hat es ein Casting gegeben, weil „wir Sie nicht mit echten Prinzen langweilen wollten“, wie Moderatorin Lula sagt. Als Joachim Schäfer als Graf Esterházy auf die Bühne kommt, heißt es: „Wer bist du, der Osterhasi?“ Wie sich herausstellt, sucht auch er nur aus finanziellen Gründen nach einer guten Partie. Er könnte Mirabellas Opa sein, und in der Tat gefällt er ihrer Oma, „Mummy“, richtig gut. Sie findet ihn „süß“.
Die Moderatorin ist schließlich mit ihrer Arbeit zufrieden, wenn sie voller Überzeugung sagt: „Sie haben sich doch gut unterhalten.“ Die Studioleiterin übt hingegen Kritik und hat Mitleid mit der „armen Königsfamilie“. Aber am Ende zählt auch in dieser Geschichte aus der Feder von Elisabeth Kolofon nur das Happy End. Und das gibt es selbstverständlich bei dieser Aufführung. Denn Mummy hatte, als sie ihren Freund Bill besuchte, die Erlaubnis, „ein bisschen ihr Handtäschchen aufzufüllen“, und ihr Einkaufsroller, mit dem sie die ganze Zeit auf der Bühne unterwegs ist, enthält lauter Goldbarren. Aber wie sagt sie: „Eine Hochzeit wäre schon das schönere Ende.“ Dann sollte sich das Publikum mal überraschen lassen.