Der Radstreifen auf der Grabenstraße ist heftig umstritten. Viele sehen in ihm eine Gefahr für Radler und Autofahrer. Doch der LKZ-Selbstversuch verläuft problemlos. Die Stadt erwartet, dass die Seitenlinie bald akzeptiert wird.

Leonberg - Für manche scheint es derzeit die Horrorvorstellung schlechthin zu sein: Radfahrer in der Grabenstraße, noch schlimmer Radler auf dem Radstreifen von Leonbergs wichtigster Nord-Süd-Achse. Noch immer erreichen die Redaktion viele Leserbriefe zu dem Thema. Die einen sorgen sich um die Sicherheit der Radfahrer, den anderen missfällt die generelle Gestaltung nach der Sanierung. Keiner kann dem mit gestrichelter Linie gekennzeichneten Bereich etwas Positives abgewinnen.

 

Also, wozu dann das Ganze? Kann das Nebeneinander von Rad- und Autofahrern wirklich so schwer sein? Selbst ist die Frau, also lade ich mir Andrea Wexel, die bei der Stadt Leonberg mit allem rund ums Rad betraut ist, und Irmgard Meurer, die Sprecherin der Agenda-Gruppe „RadL“, zum Selbstversuch ein. Gemeinsam mit der Sprecherin der Stadtverwaltung, Undine Binder-Farr, schwingen wir uns auf unsere Drahtesel und fahren die Grabenstraße hinunter.

Versuch Nummer eins klappt schon mal prima. Im gleichen Tempo rolle ich versetzt hinter einem Kombi her. Es dauert keine zehn Sekunden und wir sind unten an der Kreuzung Hirschbrunnen angelangt. Der Kombi biegt nach links Richtung Neue Stadtmitte ab, wir nach rechts und machen uns wieder auf den Weg nach oben. Um die Straße zu beobachten, schieben wir unsere Räder auf dem Bürgersteig – und machen eine interessante Entdeckung: Auch wenn kein Radler auf der Straße ist, überfahren die wenigsten den Radschutzstreifen. Das dürfen sie, wenn ihnen besonders breite Fahrzeuge entgegenkommen und kein Radfahrer unterwegs ist.

Diejenigen, die dennoch ohne Not über die gestrichelte Linie tuckern, sind fast ausschließlich älteren Semesters. Eine zweite Beobachtung: auch der Verkehr, der den Berg hochfährt, hat Einfluss. Denn viele lassen etwa einen Meter Abstand zum rechten Bordstein – und erschweren es somit den Bergabfahrern, jenseits der gestrichelten Linie zu bleiben. Stadtsprecherin Binder-Farr hat eine Erklärung dafür: „Das sind die meisten noch gewohnt aus der alten Grabenstraße. Da waren die Gullydeckel am Rand so niedrig, dass man sich die Stoßdämpfer irgendwann kaputt gemacht hätte.“

Versuch Nummer zwei: ich werde gleich von zwei Autos überholt, einer dicke Limousine und einer breiten Familienkutsche. Es kommen zwar andere Wagen entgegen, doch ich fühle mich kein bisschen in die Enge getrieben. Im Gegenteil, ich finde, ich habe sogar recht viel Platz auf dem 1,50 Meter breiten Streifen.

Unten angekommen, werden wir gleich von einem Passanten angesprochen. „Dieser Radweg ist gemeingefährlich“, schimpft der Mann, der in der Bahnhofstraße wohnt und selbst mit dem Rad zur Arbeit fährt. Doch in der Grabenstraße sind ihm zu viele Autos unterwegs, deswegen meidet er sie mit dem Drahtesel.

„Die geübten Radfahrer nehmen aber meist den kürzesten Weg, also die Hauptachsen“, sagt Irmgard Meurer von der „RadL-Gruppe“. Auf den Nebenstrecken sei die Radstadt Leonberg bisher gut aufgestellt, auf den Hauptachsen wolle man jetzt Lücken schließen. Das alles ist im Radverkehrskonzept festgehalten, welches der Gemeinderat 2013 einstimmig beschlossen hat. An der Erarbeitung waren viele Gruppen beteiligt (siehe Infobox). Denn zuvor ging das Konzept durch die Radwegekommission und die Verkehrsschau. „Bei Letzterer ist die Polizei dabei. Wenn der Radschutzstreifen so gefährlich wäre, hätten die Polizeivertreter etwas gesagt“, erklärt Binder-Farr. Immerhin gibt es dieses Verkehrselement seit 1997, und es ist auch in anderen Städten häufig anzutreffen.

„Wir haben am Anfang eine Umfrage unter den Neuntklässlern der weiterführenden Schulen in Leonberg gemacht, wie sie mit dem Rad in die Schule kommen. Dabei stellte sich heraus, dass viele die Grabenstraße nutzen“, berichtet Andrea Wexel. Die Radbeauftragte erklärt sich das folgendermaßen: „Junge Menschen sind deutlich risikofreudiger. Denen fällt es gar nicht auf, dass sich da Konflikte im Straßenverkehr entwickeln können.“

Kleiner Vorfall ein paar Minuten später. Ein älterer Radler rollt an den Autos vorbei, die an der Ampel warten. Bis auf einen halten alle genügend Abstand zum Bordstein. Beim Missetäter hält der Senior an und beschimpft ihn rüde.

„Es hilft aber nichts, wenn die Autofahrer über die Radler schimpfen, sie würden in Wild-West-Manier fahren. Und es hilft genauso wenig, wenn die Radfahrer auf die ach so rücksichtslosen Autofahrer schimpfen“, kommentiert Stadtsprecherin Binder-Farr das Geschehen. Für Irmgard Meurer von der „RadL-Gruppe“ ist der Schutzstreifen „ein Mosaikstückchen im Gesamtkonzept. Es wäre schön, wenn wir ein durchgehendes Netz hätten. Aber das geht nicht von jetzt auf gleich, sondern das müssen wir Stück für Stück machen.“

In einem Jahr, da ist sich Andrea Wexel von der Stadtverwaltung sicher, wird der Radstreifen voll akzeptiert sein und fleißig genutzt werden – wie etwa in der Leonberger Straße. Jetzt komme erst mal der Winter, in dem ohnehin kaum Radler unterwegs sind.

Radverkehr in der Stadt

Grabenstraße: Nach der Sanierung geht sie in den Besitz der Stadt über und wird von der B 295 zur Kreisstraße herabgestuft. Erst dadurch wurde es rechtlich möglich, Fahrspuren für Radfahrer einzurichten. Die B 295 wird auf die Autobahn umgelegt.

Schutzstreifen:
Er wird durch eine gestrichelte Linie markiert und ist Teil der Fahrbahn. Schutzstreifen werden eingesetzt, wenn die Fahrbahn wie in der Grabenstraße zu schmal ist. Er misst mindestens 1,50 Meter. Radler dürfen auf dem Streifen die Autos rechts überholen. Der Schutzstreifen darf nur überfahren werden, wenn breite Fahrzeuge wie Busse oder Lkw entgegenkommen und an der Stelle gerade kein Radfahrer unterwegs ist.

Stadtgebiet: Schutzstreifen gibt es in der unteren Stuttgarter, der Leonberger Straße und beidseitig in der Warmbronner Hauptstraße. Weitere sollen im nächsten Jahr in der Rutesheimer und Renninger Straße dazukommen.

Radfahrstreifen: Er wird mit einer durchgezogenen Linie von der Fahrbahn abgetrennt. Der Fahrstreifen misst mindestens 1,85 Meter und darf von Autos nicht befahren werden. In Leonberg findet man ihn in der oberen Stuttgarter und in der Römerstraße in Höhe der Einkaufsmärkte.

Radweg: Er ist in der Regel zwei Meter breit und von der Fahrbahn klar abgetrennt, etwa durch Park- oder Grünstreifen. Radwege gibt es etwa in der Römer- und der Berliner Straße am Stadtpark.

Radwegekommission: Jede Fraktion des Gemeinderats schickt einen Vertreter. Dazu kommen Vertreter der Agenda-Gruppe Radl, des Ordnungsamtes und des Planungsamtes der Stadt.