Gläserne Produktion: Auf dem Philadelphiahof wird Milch, Gemüse und Obst nach Bio-Richtlinien erzeugt.

Leonberg - Das Protestgeschrei des etwa dreijährigen Blondschopfes ist nicht zu überhören. Er ist über den gesamten Philadelphiahof zu hören. Seine lautstarke Forderung: Noch eine Kugel Eis von der Theke des Merklinger Heidehofes.

 

Auf dem Philadelphiahof zwischen Leonberg und Höfingen herrscht an diesem Sonntag reges Treiben. Die „Gläserne Produktion“ ist angesagt. Interessierte können sich im Kuhstall und in der Gärtnerei eine Vorstellung machen, wie hier nach den Bio-Regeln Milch erzeugt und Gemüse und Obst gezüchtet wird.

Und es sind viele, die das wissen wollen. Während Sebastian Soiné, der seit etwa 30 Jahren die Gärtnerei leitet, eine Gruppe durch die Gewächshäuser führt, steht Andreas Müller, der Betriebsleiter Landwirtschaft, im Hintergrund Judith Villing zur Seite. Sie studiert eigentlich Agrarwirtschaft in Nürtingen, macht aber derzeit ein Praktikum auf dem Hof. Sie darf die Gruppe über das Gelände führen, die sich für die Milchwirtschaft interessiert.

Ein Platz im Strohbett

42 Milchkühe der Rassen „Fleckvieh“ und „Schwarz-Bunte“ stehen auf dem Philadelphiahof. „Bei der Oma war den Stall auszumisten immer eine ganz unangenehme Arbeit“, erinnert sich eine Besucherin, als Andreas Müller den automatischen Schieber anfährt, der den Stall putzt. Die Kühe weichen ihm gekonnt aus – die Besucher sind erstaunt. Auch einer der jüngsten Besucher kommt ins Staunen: „Was für ein großes Strohbett!“, meint er zu dem Raum, in dem sich die Kühe zurückziehen können.

Oder sie trotten in den Laufhof, um ihrerseits neugierig die vielen Besucher zu beäugen. „Der Laufhof ist wichtig, und für einen Bio-Hof auch Bedingung“, erläutert Andreas Müller, während Judith Villing die Besucher zu den Kälbchen führt. Rund 70 Hektar Ackerland bewirtschaftet der Hof und erzeugt etwa 80 Prozent des Futters für die Milchkühe. „Den Rest bekommen wir im Tausch ausschließlich von anderen Bio-Höfen“, sagt Müller.

Von der Fläche her sei alles richtig für die 40 Milchkühe, das Problem sei dagegen der Milchpreis. „Mit 70 Cent pro Liter wäre alles in Ordnung, aber wir bekommen 50 Cent“, rechnet Müller vor. „Es heißt immer den Gürtel enger schnallen, mit alten Maschinen arbeiten, keine großen Investitionen tätigen“, weiß der Betriebsleiter. Dabei ist der Hof, der seit 1978 Biolebensmittel produziert, im Wandel begriffen. Er wurde 1961 als Aussiedlerhof gebaut. Seit 1954 betreibt der Philadelphia-Verein eine eigene Landwirtschaft, davon 1,5 Hektar Gärtnerei, um die angeschlossenen Häuser, das Bibel- und Erholungsheim, das Alten- und Pflegeheim und die Kinderheimat mit eigenen Erzeugnissen zu versorgen, doch das ist in letzter Zeit weggefallen.

Wo kommt mein Essen her?

„Das Wissen um die Herkunft der eigenen Nahrungsmittel spielt eine wichtige Rolle“, sagt Sebastian Soiné, darum sei auch der Erntebittgottesdienst mit der Kirchengemeinde Leonberg-Nord sehr wichtig gewesen.

Der evangelische Pfarrer Matthias Krack erinnerte daran, dass die Gottesdienste vor 200 Jahren in Württemberg von König Wilhelm I. eingeführt wurden. Damit sollte dem „Jahr ohne Sommer“ gedacht werden. Der Ausbruch des indonesischen Vulkans Tambora 1815 hatte durch die riesigen Staubwolken im Jahr 1816 zu Missernten und Hungersnot geführt.

Beim Eingang zum Philadelphiahof ist es still geworden. Katharina Kolbe, die auf dem Merklinger Heidehof für die Produktion von 22 Sorten Eis zuständig ist, hat dem Knirps eine Waffel vollgelöffelt – mit Erdbeereis. Die Milch dafür kommt vom Hof der Familie Haug aus Schafhausen, die Erdbeeren natürlich vom Philadelphiahof.