Gute-Nacht-Geschichten vor historischer Kulisse: Großes Interesse an den Lesungen im Leonberger Pomeranzengarten.

Vor der Kulisse des italienischen Renaissancegartens der Herzogin Sibylla von Württemberg geschieht an diesem Montagabend Ungewöhnliches. Über 60 Gäste versammeln sich rund um den Brunnen des Pomeranzengartens oder sichern sich gleich einen regensicheren Platz unter dem Laubengang. Die einen kommen mit modernen Campingstühlen unter dem Arm, andere sind mit faltbaren Hockern oder hölzernen Klappstühlen ausgerüstet. Die Stammgäste wissen, dass es im Pomeranzengarten nur wenige Sitzgelegenheiten gibt und auch die Liegestühle sind schnell belegt. Manche bringen angesichts der Wettervorhersage gleich mal eine warme Decke mit. Regenjacken und bunte Regenschirme beherrschen das Bild. Jeder versucht es sich so bequem wie möglich zu machen, um den Gute-Nacht-Geschichten lauschen zu können. Glücklicherweise hat der Wettergott ein Einsehen und schickt nur wenige Regentropfen in Richtung Pomeranzengarten. Moderator Rolf Breuer verkürzt nach einem kritischen Blick gen Himmel die Pausen, und so gelingt es, die Veranstaltung kurz vor dem nächsten Regenguss zu beenden.

 

Kleines Jubiläum

In diesem Sommer hat die Stadt Leonberg zum 25. Mal zu Lesungen in den Pomeranzengarten eingeladen. Die Idee der einwöchigen Sommerveranstaltung geht auf das 750-jährige Stadtjubiläum zurück. Als einen Bürgerbeitrag organisierte Lore Molly, die damalige Inhaberin einer Buchhandlung, die ersten Gute-Nacht-Geschichten. Bücherwürmer werden seither alljährlich aufgerufen, ihre Lieblingswerke vorzustellen. Aufgrund der großen Zahl von Lesenden werden in diesem Jahr an jedem Abend drei Bücher vorgestellt, die unterschiedlicher nicht sein könnten.

Helene Becker-Gindele hat sich für „Die blaue Frau“ von Antje Rávik Strubel entschieden, nicht etwa weil die Autorin für ihr Werk 2021 mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet wurde. „Blau war schon immer meine Farbe“, sagt Becker-Gindele, der Titel hat mich angesprochen. Und so liest sie ganz in Blau gekleidet aus einem Werk, dessen Titel eigentlich so gar nichts mit blauer Farbe zu tun hat, sondern eher metaphorisch gemeint ist. Antje Rávik Strubel schreibt über Struktur und Folgen sexueller Gewalt und beschäftigt sich mit Machtstrukturen und Verständigungsproblemen. Sie erzählt detailreich die Geschichte einer jungen Frau namens Adina aus dem tschechischen Riesengebirge, die jetzt zurückgezogen in Helsinki lebt. Man weiß schnell: Dieser Adina ist irgendetwas zugestoßen. Es ist ein Roman über das Trauma einer missbrauchten Frau, die einen Ausweg aus ihrem inneren Exil sucht.

„Aus Liebe zu Schokolade“

Jana Schmid aus Altensteig hat sich entschieden, aus „Die Schokoladenvilla“ von Maria Nikolai aus dem Jahr 2018 vorzulesen, „aus Liebe zu Schokolade“, wie sie sagt. Die Geschichte der Judith spielt Anfang des 20. Jahrhunderts in Stuttgart. Die junge Frau liebt die Arbeit in der Schokoladenfabrik des Vaters, sie hofft eines Tages in die Geschäftsleitung berufen zu werden. Der Vater will sie mit einem Bankier verheiraten, sie soll sich um Haushalt und Familie kümmern. Sie versucht sich gegen ihren Vater zu stellen, um den Mann zu heiraten, den sie wirklich liebt.

„Die Nacht des Don Juan“ von Hanns-Josef Ortheil aus dem Jahr 2000 wird von Rolf Breuer, einem Rhetoriktrainer und Kabarettisten, mit viel Sprachwitz präsentiert. Er kam zu dem Thema, weil seine Tochter in der Schule ein Referat über „Mozart auf der Reise nach Prag“ von Eduard Mörike schreiben musste, „denn der Roman von Ortheil knüpft zeitlich daran an, er ist sozusagen die Fortsetzung von Mörikes Reise“. Casanova reist 1787 nach Prag, um Mozart bei der Fertigstellung des Librettos zu seiner Oper Don Giovanni zu unterstützen.

Termine: Weitere Lesungen jeden Abend dieser Woche, jeweils ab 19 Uhr.