Leonhardsviertel und Bohnenviertel werden heute als getrennt wahrgenommen. Einige Bürger wollen sie – wie einst – zur Leonhardsvorstadt wiedervereinen. Das hat sowohl historische als auch wirtschaftliche Gründe.

Digital Desk: Sascha Maier (sma)

Stuttgart - Manches war früher besser. So sieht es offenbar der ortsansässige Handels- und Gewerbeverein (HGV) im Bohnenviertel, wenn er an Zeiten denkt, als die Altstadt noch weniger kleinteilig wahrgenommen wurde als heute. Zusammen mit dem Schwäbischen Heimatbund, dem Verschönerungsverein, einigen Bezirksbeiräten und anderen Bürgern will er das Bohnenviertel und das Leonhardsviertel zur Leonhardsvorstadt wiedervereinen. Das hat sowohl historische als auch wirtschaftliche Gründe. Seit Anfang des Jahres finden Gespräche statt. Erstmals öffentlich gemacht wurde das Schlagwort „Leonhardsvorstadt“ in diesem Zusammenhang bei der Feier zum 550-jährigen Bestehen der Leonhardskirche Ende Oktober.

 

Heinz Rittberger hält „Bohnenviertel“ für einen Kunstbegriff. „Historisch betrachtet ist die Trennung eigentlich nur auf die damalige Armut zurückzuführen“, sagt der Inhaber des Fachgeschäfts Seifen-Lenz, der außerdem seit 27 Jahren im Kirchengemeinderat sitzt. Seiner Ansicht nach besteht die Leonhardsvorstadt – damals korrekt St. Leonhardsvorstadt – aus historischer Sicht bis heute, auch wenn der Name etwas in Vergessenheit geraten ist. Sie umfasst das Gebiet von der Charlottenstraße bis zum Wilhelmsplatz, die Leonhardskirche als Zentrum.

Züblin-Parkhaus spielt große Rolle

Aber nicht nur die Armut im östlichen Teil der Leonhardsvorstadt, die die Bevölkerung im 18. Jahrhundert dazu gezwungen hatte, die namensgebenden Bohnen anzupflanzen, seien schuld an der Trennung. „Das Züblin-Parkhaus hat einen Keil in das Viertel getrieben“, sagt Rittberger. In den 1960er-Jahren erbaut, soll es 2023 abgerissen werden. Was aus der Brachfläche wird, ist noch unklar. Klar ist dagegen, dass die Initiatoren der Leonhardsvorstadt das Kommende mitgestalten wollen.

Axel Heldmann zum Beispiel, der Vorsitzende des HGV im Bohnenviertel, der auch das alljährliche Bohnenviertelfest veranstaltet. „Uns ist wichtig, dass die Kleinstruktur des Viertels auch nach dem Abriss des Parkhauses erhalten bleibt“, sagt er, „gemeinsam als Leonhardsvorstadt hätten wir mehr Gewicht, dieses Interesse durchzusetzen.“ Das Züblin-Parkhaus spielt eine zentrale Rolle bei dem Vorhaben der Initiatoren. Sie sehen aber aus gewerblicher Sicht auch andere Vorteile in der Vereinigung der Viertel. So geht es den Gewerbetreibenden auch darum, eine bessere Anbindung an die Innenstadt durchzusetzen. „Das Dorotheenquartier ist durch die B 14 von uns abgeschnitten“, sagt Heldmann, „darum streben wir eine Überbauung des Viertels an, über die man zu Fuß zu uns rüberkommt.“ Und auch aus marketingtechnischer Sicht sei ein Zusammenschluss der Einzelhändler und Gastronomen der beiden Viertel sinnvoll.

Jedes Viertel für sich zu klein

Das sagt auch eine Studie der Wirtschaftsförderung der Stadt Stuttgart, die in diesem Jahr das Wirtschaftspotenzial des Bohnenviertels untersucht hat. Das Ergebnis: Das Quartier sei zu klein, um ein Touristenmagnet werden zu können. „Unsere Schlussfolgerung war, dass der Bekanntheitsgrad erhöht werden muss, um mit dem Thema Einkaufen in Verbindung gebracht zu werden“, sagt Ines Aufrecht, die Leiterin der Wirtschaftsförderung.

St. Pauli ist Vorbild

Von dem gemeinsamen Viertel als Tourismus- und Shopping-Zentrum träumt auch der Leonhardsviertel-Bewohner und SPD-Bezirksbeirat Heinrich-Hermann Huth. „Ich sehe da ein riesiges Potenzial“, sagt er, und verweist auf den Hamburger Stadtteil St. Pauli, der sehr gut von der Durchdringung von Rotlicht, Kultur, Nachtleben und Einkaufen lebt. Neben dem Züblin-Areal, das er sich als Kirchvorplatz wünscht, sieht Huth vor allem in der Weberstraße ein verbindendes Element zwischen den beiden Stadtvierteln. „Die Weberstraße beginnt bei uns und, knickt über die Pfarrstraße ab und endet am Charlottenplatz“, sagt Huth. Diesen krummen Verlauf nehme kaum jemand wahr. Und das müsse geändert werden.

Außerdem schütze eine frühe und gleichsam starke Wahrnehmung der beiden Viertel als Standort mit Entwicklungspotenzial das Züblin-Areal vor dem Griff von Investoren, die nur ihre Rendite im Kopf hätten. „Wir wollen klar machen, dass es viele Ideen gibt, das Viertel zu bespielen, damit da nichts unter der Hand und ohne vernünftige Bürgerbeteiligung laufen kann“, sagt Huth.

Vereinsgründung angedacht

Wann welche Maßnahme tatsächlich umgesetzt werden könnte, wird im Januar an dem gemeinsamen Runden Tisch weiterdiskutiert. Auch die Gründung eines neuen Vereins zu diesem Zweck ist angedacht. Am 31. Januar schließlich soll es eine Bürgerversammlung geben. Wo, wird mitgeteilt, sobald die Initiatoren den Andrang abschätzen können.

Widerstand seitens der Stadtverwaltung erwarten die Initiatoren indes nicht. Um das Vorhaben bekannter zu machen, werden jetzt schon Postkarten mit der Aufschrift „Leonhardsviertel plus Bohnenviertel gleich Leonhardsvorstadt“ verteilt. „Ich bin mir sicher, die kommen gut an“, sagt der HGV-Vorsitzende Axel Heldmann. Bislang habe er jedenfalls keine kritischen Stimmen zu den Plänen vernommen.