Leonhardsviertel in Stuttgart Warum ist das Rocco in der Altstadt seit drei Jahren geschlossen?

Das Rocco musste wenige Wochen nach der Eröffnung vor drei Jahren schließen – und durfte bisher nicht wieder aufmachen. Foto: Lichtgut/Oliver Willikonsky

Der knallige Anstrich der Fassade hat viele Fans, aber auch Kritiker. An der Korallenfarbe indes liegt es nicht, warum das Rocco in der Altstadt seit fast drei Jahren geschlossen ist. Der Hausbesitzer liegt im Clinch mit dem Baurechtsamt. Wie geht es weiter?

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Mit frischen Geldscheinen soll Konrad Kujau in den 1980ern die Bier-Bar mit den Korbmarkisen aufgemischt haben. Diskretion, erzählen Veteranen des Rotlichtviertels, sei nicht das Ding des im Jahr 2000 verstorbenen Fälschers gewesen. Stets mit dem Taxi fuhr er vor. Für 9,3 Millionen Mark hatte er die von ihm erfundenen Hitler-Tagebücher an das Hamburger Magazin „Stern“ verkauft. Von diesem Geld brachte er eine ordentliche Summe in seinem Lieblingsanimierlokal, Leonhardsplatz 20, durch. Die Immobilie, heute das bunteste Gebäude der Altstadt, diente schon Ende des 19. Jahrhunderts der Gastronomie und zählt damit zu den ältesten Lokalen der Stadt. Ein Kapitel der größten Eulenspiegelei der deutschen Mediengeschichte spielte hier. Im Oktober 2019 hat der Eigentümer dann aber Kujaus „Wohnzimmer“ dem Rotlicht entzogen – und für ein junges Partypublikum geöffnet.

 

Das Rocco wurde als „Aufsteigerbar des Jahres“ gefeiert

Die jungen Nebenerwerbswirte Florian Roller und Robin Giesinger, die bereits schräg gegenüber die Cocktailbar Puf betreiben und kürzlich das tiefrot designte Lido an der Weberstraße am anderen Ende des Leonhardsviertels neu eröffnet haben, hatten vor über drei Jahren das einstige Stammlokal des Fälschers mit viel Liebe fürs Detail aufwendig saniert. Aus der Bier-Bar wurde das Rocco. Aus den „Verrichtezimmern“, wie Separees im Behördendeutschen genannt werden, wurde ein neuer Ort zum Wohlfühlen und zum Feiern mit Musik vom DJ. Ein Highlight im Rocco waren die Tapeten mit erotischem Motiven (die Vergangenheit der Partylocation wollte man nicht leugnen): Wenn man das Smartphone draufhielt, konnte man die Bilder via QR-Code zum Laufen bringen.

Als „Aufsteigerbar des Jahres“ ist das von Anfang an gut besuchte Rocco im markanten Altstadthaus gefeiert worden. Dann aber kam Corona – doch auch nach Öffnung der Gastronomie blieb die Cocktailbar in dem mit der Korallenfarbe bemalten Haus geschlossen. Mittlerweile sind bald drei Jahre vergangen, seit hinter den neu geschaffenen Korbmarkisen nichts mehr geschieht.

Das Baurechtsamt der Stadt Stuttgart untersagt den Betrieb. Mit der umstrittenen Fassadenfarbe hat dies allerdings nichts zu tun. Bezirksvorsteherin Veronika Kienzle (Grüne) hatte im Oktober 2019 den Farbmischton Orange-Rot-Pink (unter dem Farbnamen Koralle bekannt) als „unmöglich“ kritisiert, der „unsensibel“ mit dem Viertel umgehe. Andere wiederum feierten gerade diesen Anstrich in der Altstadt, die sich im Aufbruch befinde.

Boa-Betreiber Rainer Frankfurth, der Eigentümer der Immobilie, zieht momentan keinen Cent Ertrag aus dem leer stehenden Gebäude. Den Wirten, die weiterhin draußen bleiben müssen, hat er die Miete erlassen. Die Wohnungen darüber durfte er bisher nicht bezugsfertig umbauen. An die Stadt appelliert er, „Spielräume“ zu nutzen und nicht immer nur die „Maximalforderungen“ zu stellen. Um das über 100 Jahre alte Haus, das nicht unter Denkmalschutz steht, für die Zukunft zu sichern, habe er einen sanierungsbedürftigen Balken an der Fassade verstärkt. Die Coronapause habe er nutzen wollen, das Gebäude auf Vordermann zu bringen, neue Heizungen einzubauen sowie die Wohnungen über dem Rocco ordentlich herzurichten.

Was die Stadt zu dem Streit sagt

Was er nicht wusste: Wenn man den Balken verstärkt, kann dies von der Stadt als Eingriff in die Statik gewertet werden – in diesem Fall gilt der Bestandschutz nicht mehr. Dann müssten Wärme- und Brandschutz neu bewertet werden, dann werde ein neues Gutachten notwendig. „Der bei uns eingereichte Bauantrag umfasst mehr als nur die Verstärkung eines Balkens in der Gastronomie“, erklärt Rathaus-Sprecher Martin Thronberens auf unsere Anfrage. Der Antrag sei bisher „wegen eines Verstoßes gegen Brandschutzvorschriften nicht genehmigungsfähig“. Das Baurechtsamt habe dem Bauherrn mitgeteilt, welche Änderungen erforderlich seien, damit eine Baugenehmigung erteilt werden könnte. „Eine abschließende Bearbeitung des Antrags kann erst nach Änderung der Bauantragsunterlagen erfolgen.“

Debatte über das Leonhardsviertel

Hausbesitzer Frankfurth hat eine Gutachterin engagiert, die sich mit der Bewertung der Stadt auseinandersetzt und versucht, eine einvernehmliche Lösung herzustellen. Dies aber kostet Zeit. Müssen die Mühlen des Rathauses immer so langsam mahlen? Darüber wird nun im Leonhardsviertel diskutiert.

Fans der neuen Angebote in der Altstadt verstehen nicht, warum die Stadtverwaltung einerseits über den Entzug der Bordellbetriebe in diesem Viertel laut nachdenkt, aber andererseits auf die Bremse tritt, wenn die gewünschte Umwandlung zu neuen, attraktiven Anziehungspunkten weg vom Sexgewerbe und vom Schmuddel vorankommt.

Was wird aus der Uhu-Bar?

Ebenfalls weiterhin geschlossen wie das Rocco ist die Uhu-Bar von Altstadtlegende Oskar Müller an der Leonhardstraße. Besonders bei Kulturschaffenden war die kleine Kneipe im Erdgeschoss unter einem Laufhaus sehr beliebt. Mittlerweile ist das Gebäude verkauft, in dem künftig wohl keine Prostitution mehr erlaubt sein wird. Da noch nicht feststeht, was aus dieser Immobile wird, bleibt die Zukunft der ebenfalls sehr vermissten Uhu-Bar unklar.

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