Von Handystrahlen fühlen sich manche stärker bedroht als vom Zigarettenrauch. Dabei sprechen wissenschaftliche Studien eine andere Sprache. Der Soziologe Ortwin Renn von der Uni Stuttgart erklärt in der Leser-Uni der StZ, wie wir mit Risiken umgehen (sollten).

Stuttgart - Es ist schon ein bemerkenswerter Widerspruch: Da machen sich Raucher Sorgen um ihre Gesundheit, wenn auf dem Dach des Nachbarhauses eine Mobilfunkantenne installiert wird. Dabei haben zahlreiche Studien ergeben, dass das Risiko für eine gesundheitliche Schädigung von Handystrahlen statistisch nicht messbar ist. Zwar strahlen Funkantennen viel stärker als die Handys, aber diese sind dicht dran am Ohr, während die Masten viele Meter entfernt sind – schließlich nimmt die Intensität der Strahlung im Quadrat mit der Entfernung ab.

 

Sicher ist dagegen, dass Rauchen der Gesundheit schadet, und zwar bei vielen mit tödlichem Ausgang. Auch sonst prägt das eigene Verhalten ganz entscheidend das Risikopotenzial unseres Lebens: Neben dem Rauchen sind übermäßiger Alkoholgenuss, falsche Ernährung und mangelnde Bewegung für einen Großteil der vorzeitigen Todesfälle verantwortlich, betonen Wissenschaftler immer wieder.

Gleichwohl fühlen sich viele Menschen von „externen“ Risiken wie etwa Mobilfunkmasten massiv bedroht – und zwar so sehr, dass der Stuttgarter Risikoforscher Ortwin Renn seinem Vortrag bei der Leser-Uni den etwas provokanten Titel: „Fürchten wir uns zu Tode?“ gegeben hat. Für Renn ist der Zusammenhang zwischen modernen Techniken und ihren Risiken sowie der Umgang der Gesellschaft damit seit Jahren das zentrale Arbeits- und Forschungsgebiet. Dabei will er zum einen ergründen, wie Gefahren nach derzeitigem Wissensstand korrekt einzuschätzen sind. Zum anderen ist ihm auch die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit diesen Themen wichtig – schließlich besteht auf vielen Gebieten eine beeindruckende Diskrepanz darin, wie Fachleute die entsprechenden Risiken berechnen und wie sie von vielen Menschen wahrgenommenen werden.

Ein Plädoyer für mehr Mediation

Die Beispiele reichen von Konservierungsstoffen in Lebensmitteln über Gentechnik und Nanopartikel bis zu großen Infrastrukturprojekten. Gleichzeitig unterschätzen die meisten Menschen aber auch viele Risiken wie die globale Umweltbelastungen und die Zunahme psychischer Störungen. Warum Menschen dazu neigen, einige eher harmlose Gefahren über- und andere, schwerwiegende Gefahren unterzubewerten, wird Renn in seinem Vortrag aufzeigen.

Ein probates Mittel, Gefahren adäquat einzustufen und daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen, ist nach Renn die aktive Beteiligung von Bürgern an gemeinsamen Aufgaben – Stichwort Mediationsverfahren. Fairness, so sagt er, spielt dabei eine große Rolle. Und dazu gehört, dass die Menschen zu Beginn des Prozesses auf denselben Informationsstand gebracht werden – wozu entsprechende Veranstaltungen erforderlich sind. Allerdings betont er auch, dass sich bereits eingetretene Vertrauensverluste nicht mehr so einfach durch Information ausgleichen lassen.

Aufklärung ist nach Renns Ansicht auch erforderlich, um die wahren Gefahren unseres Lebens zu erkennen. Die sieht er vor allem in systemischen Risiken. Dazu zählen die Eingriffe des Menschen in die Natur, die beispielsweise zur Klimaerwärmung führen. Doch dagegen etwas zu tun ist weitaus schwieriger, als auf das Rauchen zu verzichten oder sich gesund zu ernähren. Gleichwohl kann man auch gegen diese Risiken vorgehen – wie, das wird Renn bei der Leser-Uni erläutern.

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Der Risikoforscher Ortwin Renn

Wissenschaftler
Ortwin Renn, geboren 1951, hat Volkswirtschaft und Soziologie an der Universität Köln studiert. Seit 1994 ist er an der Universität Stuttgart Inhaber des Lehrstuhls für Technik- und Umweltsoziologie. Dabei war er in zahlreichen Funktionen tätig: So war er viele Jahre im Vorstand der baden-württembergischen Akademie für Folgenabschätzung, deren Chef er von 2001 bis 2003 war. Seit 2012 ist er auch Direktor des Zentrums für Interdisziplinäre Risiko- und Innovationsforschung an der Uni Stuttgart.

Forschung
Alle Gebiete der Risikoforschung sind für Renn wichtig, also Management, Kommunikation, Soziologie und Regulierung von Risiken. Zudem gehören Projekte zur Technikfolgenabschätzung sowie zur Einbeziehung der Bevölkerung in großtechnische Vorhaben wie die Gentechnik oder die Energiewende zu den Arbeitsgebieten des Forschers und Politikberaters.

Privat
Der Vater von drei erwachsenen Kindern reist gerne. Dabei ist er sich durchaus bewusst, dass er dabei ein Risiko eingeht – allerdings ein selbst gewähltes: „Nullrisiko ist auch langweilig“, sagt er dazu.

Buch
Ortwin Renn hat soeben ein Buch zum Thema veröffentlicht: „Das Risikoparadox: Warum wir uns vor dem Falschen fürchten.“ Fischer Taschenbuch Verlag, 608 Seiten, 12,99 Euro.