Die Geschichte einer ganz besonderen Familienzusammenführung: In der Reihe „Text & Extra“ stellte Lisa Welzhofer im Stuttgarter Muse-o ihr Buch „Kibbuzkind“ vor.

S-Ost - Wer Lisa Welzhofer und Hagai Tsoref gemeinsam erlebt, kann nicht umhin, Übereinstimmungen zu registrieren. Die Gesten und die Art zu sprechen ähneln sich. Das ist insofern bemerkenswert, als die Redakteurin unserer Zeitung erst mit 18 Jahren erfuhr, dass sie einen Vater in Israel hat. Abgeschaut haben kann sie sich wenig. Erst nach dem Tod der Mutter zog sie als 30-Jährige mit deren Tagebuch unterm Arm los, um ihrer Familiengeschichte auf den Grund zu gehen. Jetzt war sie im Gablenberger Muse-o zu Gast, um im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Text & Extra“ aus ihrem Buch „Kibbuzkind“ zu lesen. Ihren Vater Hagai Tsoref hat sie gleich mitgebracht.

 

„Natürlich kann man nie vermissen, was man nicht erlebt hat“, umreißt die Autorin das eigentümliche Gefühl, das sie auf der Reise ins Heilige Land begleitete. Eine Leerstelle habe es durchaus gegeben. Lisa war die einzige in der Schule, die bei einer alleinerziehenden Mutter aufwuchs. In Gedanken spielte sie immer wieder durch, wie es wäre, in so geordneten Verhältnissen aufzuwachsen wie ihre Klassenkameraden.

Tagsüber wurde geackert

Umgekehrt war das Kind im fernen Deutschland für Hagais Familie ein Tabuthema. Ja, er hatte Gefallen an der Mutter, Barbara Welzhofer, gefunden, die im Kibbuz am See Genezareth als Volunteer tätig war. „Verglichen mit den Briten waren die Deutschen sehr gewissenhafte und gute Mitarbeiter“, erinnert sich der Historiker schmunzelnd. Tagsüber habe man geackert, abends sei man sich unter Umständen näher gekommen.

Dass die Deutsche schwanger wurde, passte allerdings nicht in Hagais Lebensplan. Da er nicht verliebt war und seinen eigenen Weg gehen wollte, entließ er sie allein in die Heimat und meldete sich nicht mehr. Er habe in dieser Geschichte wohl die Rolle des Bad Guy, merkt Tsoref an und dankt seiner Ehefrau. Sie habe jene große Veränderung in seinem Leben mitgetragen, die mit dem Kennenlernen der Tochter einhergegangen sei.

„Ich bin fasziniert, wie treffend sie Ihre Empfindungen beschrieben haben“, zeigt sich ein Herr begeistert, der sich sein Exemplar von „Kibbuzkind“ nach der Lesung signieren lässt. Welzhofer spielt auch ihre Versiertheit als Verfasserin von Reportagen aus: Sie versetzt die Zuhörer im vollbesetzen Raum in die Rolle von Israel-Touristen in besonderer Mission. Die Tagebucheintragungen der Mutter streuen Verweise auf Hippiekultur und 68er-Engagement ein. Welche Rolle genau das deutsch-jüdische Verhältnis für das doppelte Familiengeheimnis spielte, bleibt indes offen.

Das Schweigen brechen

„Kibbuzkind“ signalisiert, wie wichtig es sein kann, das Schweigen zu brechen. Lisa Welzhofer, Jahrgang 1978, richtet sich mit mit dem Band an ihren Sohn. Er soll seine Familiengeschichte einmal einfacher nachvollziehen können. Der israelische Großvater tut das Seine dazu.

„So seltsam es beim ersten gemeinsamen Zusammentreffen war, einen Menschen zu umarmen, der einem gleichzeitig nahesteht und unbekannt ist: es war vor allem etwas ganz Besonderes“, stellt die Frau, die lange nichts von ihrer christlich- jüdischen Herkunft wusste, fest.

Ursprünglich sei das Buch eher als privates Dokument für die Familie gedacht gewesen, sagt die Autorin. Die Veröffentlichung unter dem Titel Kibbuzkind habe sich erst ein paar Jahre später ergeben. „Alles aufzuschreiben, war für mich ein wichtiger Prozess, in dem ich mir selbst noch einmal über vieles klar geworden bin, unter anderem darüber, wie das Nichtwissen um den Vater mein Leben und letztlich auch meine Persönlichkeit beeinflusst hat.“