Die Spiele haben begonnen. Beim Streifzug durch die Olympiastätten drängt sich der Eindruck auf, die offiziellen 40 Milliarden Euro Kosten sind eher abgerundet. Nicht alles funktioniert, doch die Gastgeber tun viel für einen gelungenen Auftakt.

Sport: Dominik Ignée (doi)

Sotschi - Die Olympischen Winterspiele von Sotschi fangen schon in Moskau an. Und zwar mit Irina. Sie ist das Gegenteil von der eleganten Russin, die auf Platz 19 D des Airbusses 321 unsere Sitznachbarin ist und einem beim Ablegen der Garderobe erst einmal ihren ausladenden Pelzmantel ins Gesicht pfeffert. Irina, viel kleiner und stämmiger, trägt einen beeindruckenden roten Zopf. Er ist so kräftig wie ein Tau, mit dem man im Hafen einen Tanker festmacht.

 

Irina präsentiert sich sehr freundlich, aber entschlossen. Sie gehört zu den zahlreichen Volunteers. Das sind Hunderte von Helfern, die den Menschen das Unterfangen erleichtern, sich im unübersichtlichen Olympia-Dschungel zurechtzufinden. Bereits am Moskauer Flughafen Scheremetjewo sind sie positioniert. Dort gehört es zu Irinas Aufgaben, die nächste Reisegruppe mit einem in die Höhe gehaltenen Sotschi-2014-Schild zum Terminal zu führen, an dem die Maschine für die Reise ans Schwarze Meer schon steht. Obwohl Irina nicht so groß ist – ihren hochfrequentierten Trippelschritten zu folgen ist die erste olympische Herausforderung.

Der Olympic-Park von oben. Foto: CNES/Astrium Services/Spot Image

Beim Landeanflug am Abend wird deutlich: nicht nur Irina ist auf Zack, sondern auch Wladimir Putin. Der russische Präsident hat Wort gehalten mit der Ankündigung, die Welt mit seinen Winterspielen zu beeindrucken. Links aus dem Flugzeug geschaut, bewegt sich ein einsames Schiff wie verloren im riesigen Schwarzen Meer, rechts präsentiert sich der Olympic Park. So könnte die Welt in 100 Jahren aussehen. Was Putin in Sotschi aufbauen ließ, erfüllt die Träume aller Science-Fiction-Enthusiasten und notorischen Raumschiff-Enterprise-Gucker. Die Hallen für Eiskunstlauf, Eishockey oder Eisschnelllauf liegen in der Stadt wie riesige bunte Ufos. Architektonisch orientiert an den gigantischen Bauten der Sommerspiele 2008 in Peking.

Normalerweise präsentieren sich Winterspiele um ein Vielfaches kleiner und charmanter als die im Sommer – doch Sotschi reicht locker heran an den Gigantismus vor sechs Jahren in China. Die Gäste landen auf einem nagelneuen Flughafen, und wer im Olympic Park mal spazieren geht, ist locker 45 Minuten unterwegs. Auch der Weg hinauf ins Skigebiet Krasnaja Poljana lässt den Verdacht zu, die fast 40 Milliarden Euro, die diese teuersten Spiele aller Zeiten gekostet haben sollen, seien eher etwas ab- statt aufgerundet worden.

Ungewöhnliche Bilder von Winterspielen Foto: dpa

Für die Mission „Sotschi 2014“ wurde eine 40 Kilometer lange Eisenbahntrasse als Verbindung zwischen dem Küstenort und dem aus dem Boden gestampften Skigebiet in den Bergen gebaut. Sie schlängelt sich mit kilometerlangen Brückenabschnitten über das breite Flussbett des Msymta, der im Winter eher schmal zu Tal fließt. Allein die Bahnstrecke soll vier Milliarden Euro verschlungen haben – so teuer waren die Spiele vor vier Jahren in Vancouver insgesamt. Parallel zu dieser Trasse verläuft eine ebenso nagelneue Straße, die teilweise durch lange Tunnel führt. Irgendwann präsentiert sich nach einer Kurve das Retortenskigebiet. Es geht los mit einem gut fünf Meter hohen, rot beleuchteten Olympiamaskottchen, auf das der durchaus respektabel Deutsch sprechende Busfahrer mit großem Stolz hinweist. „Ist es nicht schön?“ Willkommen in Putins Wintermärchen.

Oben, im Gebiet Krasnaja Poljana, kämpfen Skifahrer, Biathleten, Langläufer und Skispringer um die Medaillen. Die Sprungschanze gilt die teuerste der Welt. Weil die Kosten in die Höhe geschossen waren und das Bauwerk deutlich später als erwartet fertig wurde, musste der stellvertretende russische NOK-Chef seinen Hut nehmen. Dabei fällt es schwer zu glauben, es sei bei den Protzspielen in Russland jemals um ein paar Rubel mehr oder weniger gegangen.

Die Hotels im Hauptort Gorki stehen jedenfalls da wie Paläste. Das Marriott ist der erste Koloss im Ort, nicht viel kleiner präsentiert sich das Apart daneben. Farblich passen sich die mächtigen, in Pastelltönen und einem unspektakulären Grau gehaltenen Riesengebäude mit ihren imposanten Fassaden durchaus in die Landschaft ein. Aber es stellt sich die Frage, wer so viele Betten benötigt, wenn der olympische Tross wieder abzieht. Etwa 25 000 Zimmer stehen in den neuen Unterkünften in Sotschi und den Bergen zur Verfügung. Putin wollte nicht nur die Prestige-Spiele beherbergen und mit ihnen in der Welt glänzen, sondern seinen Sportlern und den Menschen im Land solch ein Wintersportparadies sozusagen schenken.

Thomas Bach, in der Mitte zwischen Ban Ki- Moon und Wladimir Putin, ist zufrieden. Foto: EPA

Der IOC-Präsident Thomas Bach bewundert dies – schließlich hat das Olympische Komitee die Spiele ja auch dorthin vergeben. Bei dem Projekt eines Wintersportzentrums für russische Athleten und die russische Bevölkerung sei „eine ganze Region gewandelt worden“, sagt Bach. „Meine russischen Kollegen sind stolz, Sport-, Tourismus- und Tagungsziele zu schaffen, die unabhängig sind von der Dauer der Spiele.“ Ob das gewaltige Projekt tatsächlich auch etwas Nachhaltiges haben wird, muss sich zeigen.

Auf der Straßenseite gegenüber dem Marriott-Hotel stehen ein paar Häuser aus alten Zeiten herum. Sie werden im Schatten des Palastes wenig Sonne abkriegen, wie Schuhkartons sehen sie aus im Vergleich zur Bettenburg gegenüber. Das ist das alte Gorki. Die neue Olympiawelt im Kaukasus, wo sich in Richtung Osten Fünftausender auftürmen, soll auf den Schultern von 16 000 Arbeitern aufgebaut worden sein. Laut Human Rights Watch (HRW) waren seit 2009 überwiegend Serben, Ukrainer, Armenier und Usbeken auf den Baustellen, vielfach ausgebeutet. Doch allem Gigantismus zum Trotz ist nicht alles fertig geworden. Einige Hotelzimmer können nicht bezogen werden, weil noch die Ausstattung fehlt. Es liegt allerhand Bauschutt herum, und selbst die größten Hotels sehen beim Blick auf die Außenanlagen so aus, als würde es ihnen guttun, wenn noch zwei Wochen am Feinschliff gearbeitet würde. Und auch an anderer Stelle ist längst nicht alles perfekt.

In dem imposanten Shoppingzentrum von Gorki wartet die Verkäuferin in einem Frauenbekleidungsgeschäft auf Kundschaft und blättert dabei gelangweilt in einem Modemagazin herum. Doch eine Wabe daneben sind die Bauarbeiter noch mit dem Verputzen der Wände beschäftigt. Vielleicht kommt ein Friseur rein, vielleicht ein Bäcker, wer weiß es.

Die Russen zeigen sich jedoch als zuvorkommende Gastgeber. Das Hotelpersonal will alles recht machen. Die Zimmer befinden sich überwiegend auf Viersterne-niveau, das ist Neuland für Olympia, Putin will ein guter Gastgeber sein. Auch die Volunteers sind sehr um die Gäste bemüht. Und die Attraktion im Pressezentrum in den Bergen sind vier ältere, dicke russische Mütterchen, die in farbenfrohen Trachten mächtig stolz ihre Tradition präsentieren und freundlichst lächelnd Tee verteilen.

Das Feuerwerk hat funktioniert. Foto: EPA

Manches klappt, und einiges klappt noch nicht. Doch der Wunsch, perfekte und großartige Spiele zu präsentieren, er ist erkennbar. Die Eröffnungsfeier gestern vor 40 000 Zuschauern in der Arena von Sotschi ist der passende Anfang des aus russischer Sicht erhofften Spektakels. In einer glanzvollen Show wird die Geschichte des Landes bunt und lebendig nachgezeichnet, begleitet von klassischer und sinfonischer Musik. „Wir können nicht wie in London so viel Popmusik bieten, wir konzentrieren uns auf das Populärste bei uns – die Klassik“, sagt Konstantin Ernst, der Generaldirektor des russischen Staatsfernsehens, über das Programm, an dem 5000 Akteure mitwirken. Dazu gibt es eine Lichtshow mit 3500 Feuerwerkskörpern.

Eine höchst unangenehme Begleiterscheinung, auch das gehört zu den Spielen in Sotschi, ist und bleibt die Furcht vor Terror. Kurz vor Beginn der Spiele hatte der US-Geheimdienst nach Angaben von amerikanischen Regierungsvertretern davor gewarnt, dass Sprengstoff in Zahnpasta-tuben auf Flügen von Europa nach Russland während des Fluges zu Bomben umfunktioniert werden könnte. Die Ordnungshüter, es sollen weit mehr als 40 000 sein, sind omnipräsent. Auf der neuen Straße von Sotschi in das Retortenskigebiet steht an jeder Zufahrtsstraße, die von rechts oder links zur Haupttrasse führt, ein bewaffneter Polizist. Auch am Flughafen, dem Olympiapark und an anderen zentralen Orten sind sie zahlreich vertreten und schauen sich mit wachen Blicken um.

„Sotschi ist von einem stählernen Ring umgeben. Niemand gelangt unbemerkt hinein“, urteilt der Vorsitzende des Sicherheitsausschusses im US-Kongress, Michael McCaul, nach einer Inspektionstour durch die kaukasischen Berge und lobt die Gastgeber. Die Amerikaner selbst haben zwei Kriegsschiffe mit 600 Soldaten ins Schwarze Meer geschickt, um im Falle eines Anschlags zu helfen und US-Bürger im Krisenfall aufzunehmen.

Gigantisch, umstritten, gefährlich – die Olympischen Winterspiele 2014 beherrschen die Schlagzeilen in vieler Hinsicht. Seit der feierlichen Eröffnung gestern hoffen sie nun, dass die große Putin-Show reibungsfrei über die Bühne geht. Ob alles wirklich geklappt hat, steht allerdings erst in zwei Wochen fest – beim Wiedersehen mit Irina in Moskau.