Tiefrot bleibt die frühere Animierbar Lido – und doch ist alles anders. Mit gutem Gefühl für den Spirit dieser Straße gelingt zwei jungen Wirten ein Volltreffer mit einer neuen Cocktailbar. Der Wandel in der Altstadt weg vom Sexgewerbe geht weiter.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Niemals ratsam ist es, die Vergangenheit von Häusern und Plätzen zu leugnen, finden Florian Roller und Robin Giesinger, beste Kumpels seit Schülertagen. Das besondere Ambiente des Stuttgarter Rotlichtviertels hat es ihnen angetan. Seit drei Jahren betreiben die beiden die Bar Puf in der Altstadt wenige Schritte vom Brunnenwirt entfernt. Der beste Dampfstahlreiniger bekommt nicht raus, was tief im Gemäuer einer einstigen Animierbar sitzt, wissen die beiden. Auf den alten Fotos ihrer Handys sieht man, wie das Lido mit seinen Separees ausgesehen hat. Fotos von leicht bekleideten Damen hingen an den Wänden in engen Kabinen – doch nun ist alles anders.

 

Noch besitzt die Bar den Geheimtipp-Status.

Draußen steht der Türsteher unter einem neuen Schild mit der Aufschrift Lido. Das alte Vintage-Schild gehört ins Museum. Der Mann am Eingang lässt nicht jeden rein. Aussortiert wird, wer hier Sex kaufen will. Die meisten dürfen also rein, denn die „körpernahen Dienstleistungen“, von denen Florian Roller spricht, befinden sich im Lido schon seit Jahren auf dem Rückzug. Wer also das neue Lido betritt, das die beiden Nebenerwerbswirte drei Monate lang selbst umgebaut haben, wird rot sehen – und zwar heftig!

Ein „Wow“-Gefühl erfasst fast alle, die zum ersten Mal die wohl schönste Rotlichtbar der Stuttgarter Altstadt sehen. Jetzt ist das Lido mit DJ geöffnet (donnerstags bis samstags) für alle – der Probelauf kürzlich für private Gäste hat bereits für viel Begeisterung gesorgt. Noch besitzt die Bar den Geheimtipp-Status.

Überall rot

Unzählige Spiegel machen den kleinen Raum größer. Rote Lichter leuchten, die Theke erstrahlt tiefrot, an den Wänden hängen rote Kuschelstoffe. Wie rote Farbe auf Menschen wirkt, kann hier studiert werden. Das Rotlicht im Viertel wird damit neu definiert. In der Stadt wird diskutiert, ob Laufhäuser aus diesem Quartier verschwinden sollten. Roller und Giesinger plädieren nicht dafür. Ein gewachsenes Viertel dürfe seine Geschichte nicht ignorieren. Die beiden sind Teil des Wandels, wollen aber das Milieu nicht verdrängen.

Immer mehr kreative Wirte siedeln sich dort an, wo Erotikbetriebe aufgeben. Der besondere Mix aus Cocktailbars und Rotlicht wirkt anziehend. Und doch fürchten Laufhaus-Betreiber: Trauen sich Freier noch zu ihnen rein, wenn diese im Sommer von Gästen der Straßenbewirtung beobachtet werden?

Die Arbeit in der Altstadt in ihrem Puf, in ihrem Rocco (das ist allerdings wegen Baurechtsproblemen geschlossen) und ihrem neuen Baby Lido macht den beiden Wirten viel Spaß. Gleichzeitig steht für sie fest: Ihren Job als Betriebswirt in einem Steuerberatungsbüro und Controller in der Automobilindustrie geben sie nicht auf. Tagsüber also sind die Best Buddys in normalen Berufen unterwegs. Zum Wochenende hin werden sie zu Barmännern der Nacht – und damit zu Förderern eines Wandels im Leonhardsviertel, weg vom Schmuddel. Abschreckend und einladend zugleich präsentiert sich dieses Quartier.

Würden diese Bars auch an einem anderen Ort funktionieren?

Zwischen der Fou-Fou-Bar, der Gin-Bar Botanical Affairs, der Bar Hommage, der 1920er-Jahre-Bar Holzmaler und dem Kulturkiosk im Züblin-Parkhaus erwacht neues Altstadtleben in der Nacht – tagsüber ändert sich aber nur wenig. Die Verruchtheit des Viertels mag bei Dunkelheit Gäste mit voyeuristischer Neugierde anziehen, in erster Linie aber kommen junge Menschen, die einfach nur feiern und sich treffen wollen in einem besonderen Ambiente.

Würden die Bars auch an einem anderen Ort funktionieren, etwa an der Theo? Es wäre wohl schwerer für sie. Eine Rotlichtbar passt nun mal am besten ins Rotlichtviertel – hier steht die rote Farbe nicht mehr für käuflichen Sex, sondern für Lebensfreude.