Mit 160 Quadratkilometer Fläche und 37 000 Einwohnern ist Liechtenstein das viertkleinste Land Europas. Kleinbürgerlich oder gar provinziell ist der Zwergstaat aber keineswegs.

Vaduz - Liechtenstein. Da denken viele vor allem an Steueroase und gestohlene Daten-CDs. Den Freunden der Philatelie kommen noch die Briefmarken in den Sinn, auch das Fürstentum ist manchem ein Begriff. Aber sonst? Der sechstkleinste Staat der Welt ist ein reiches Land. Das betrifft zwar auch den Finanzmarktsektor, noch größer aber sind der Reichtum und die Vielfalt, die Liechtenstein in Sachen Kunst, Kultur und Kulinarik zu bieten hat. Seit diesem Sommer gilt das noch mehr: Mit der Eröffnung der Schatzkammer im März und der Erweiterung des Kunstmuseums mit der Sammlung der Hilti Art Foundation Ende Mai hat Liechtenstein in diesem Jahr gleich zwei neue Museen mit großer Qualität und Anziehungskraft erhalten. Die Zahl der Museen in Liechtenstein ist mittlerweile auf 13 angestiegen. Das Städtle, wie die Fußgängerzone von Vaduz genannt wird, ist das pulsierende Herz Liechtensteins. Vorbei am ockerfarbenen Klinkerbau des Landtags, dem palastartigen Regierungsgebäude, dem Landesmuseum und dem Postmuseum führt der Weg ins Zentrum von Vaduz.

 


Der Eingang zu beiden Ausstellungsbereichen erfolgt über das Kunstmuseu

Dort ragt ein hoher weißer Kubus empor, der neue Blickfang der Stadt. Ein polierter Betonbau aus sehr hartem, widerstandsfähigem und wetterbeständigem Laaser Marmor aus dem Vinschgau in Südtirol. Das von den Basler Architekten Morger und Dettli entworfene Gebäude bildet eine Einheit mit dem direkt daneben stehenden Kunstmuseum. Sowohl die kubische Form als auch die Konstruktion und das Material der Fassade spiegeln die Zusammengehörigkeit beider Häuser wider - in Schwarz und Weiß. Der Eingang zu beiden Ausstellungsbereichen erfolgt über das Kunstmuseum, es gibt eine gemeinsame Eintrittskarte. Etwa 200 Kunstwerke von der klassischen Moderne bis zur Gegenwart umfasst die Sammlung, die Michael Hilti, dessen Vater Martin Hilti den weltweit für seine robusten Bohrmaschinen bekannten Konzern gegründet hat, und seine Familie in den vergangenen Jahren zusammengetragen haben. Zum ersten Mal werden 50 ausgewählte Gemälde, Skulpturen, Plastiken und Objekte davon nun in einer Dauerausstellung gezeigt - unter dem Dach des eigenen Museums.


Die Besucher erwarten Kunstwerke unter anderem von Gauguin, Picasso, Beckmann, Giacometti, Kirchner, Klee, Fontana und Knoebel. „Das Außergewöhnliche ist, dass der Leihgeber nicht nur seine Kunstwerke zur Verfügung stellt, sondern auch gleich das Gebäude dazu“, sagt Michael Hilti. Im Gespräch wird schnell deutlich, wie zufrieden der 68-Jährige damit ist. Acht Jahre Planungs- und Bauzeit hat es gebraucht, bis das 20 Millionen Franken (18,5 Millionen Euro) teure Gebäude fertig war. Auf 410 Quadratmetern, verteilt auf drei Ebenen, will die Familie Hilti nun einen Teil ihrer Sammlung der Öffentlichkeit zugänglich machen. „Es war nie der Antrieb eines Künstlers, Werke zu schaffen, die dann im Banktresor verschwinden“, sagt Hilti, der schon als Student angefangen hat, sich für Kunst zu interessieren. „Aus Budgetgründen habe ich damals vor allem Poster gekauft und nach dem Studium in London mein erstes Ölbild.“ Inzwischen ist der finanzielle Rahmen etwas größer.


Kunst und Kultur für alle

Erst im vergangenen Jahr ist das Selbstporträt von Max Beckmann aus dem Jahr 1936 dazugekommen, das dem Vernehmen nach einen zweistelligen Millionenbetrag gekostet haben soll. „Kunst aus rein spekulativen Gründen zu kaufen, ist mir zutiefst zuwider“, stellt Hilti klar. „Wie gesagt, mit Kunst soll man leben, und das ist mit Kunst im Tresor schlecht möglich.“ Diese Ansicht teilt auch Aurelia Frick, die Kultur- und Außenministerin des Fürstentums, die sich zum Ziel gesetzt hat, „Kunst und Kultur für alle“ anzubieten. Dass dies auf große Resonanz stößt, zeigt ein Blick auf die Zahlen: Von den 37 000 Einwohnern Liechtensteins sind etwa 3000 kulturell engagiert, in Vereinen und Orchestern, als Sänger, Musiker, Komponisten, Dirigenten, Tänzer, Laiendarsteller, Schauspieler, Künstler oder Schriftsteller. „Diese Prozentzahl ist in Europa unschlagbar“, sagt Frick stolz. Es gibt 28 Chöre, 40 Bands, eine Musikschule mit 2600 Schülern, zwei Theater- und Operettenbühnen. Rund 2,5 Millionen Euro pro Jahr lässt sich der Staat die Kulturförderung kosten.


Gleich gegenüber der Hilti Art Foundation wurde im Frühjahr die Schatzkammer eröffnet, die ihre Besucher mitnimmt auf eine Reise durch ein halbes Jahrtausend Sammelgeschichte. Fürstliche Preziosen sind hier ebenso zu sehen wie kostbare, reich verzierte Schmuckostereier oder auch Mondgestein von der Apollo-11-Mission. Es ist ein lebenwertes und liebenswertes Fleckchen Erde im Rheintal zwischen Österreich und der Schweiz. Neben Hilti sind hier Weltmarktführer wie Neutrik (Stecker für Lautsprecher), Ivoclar (Zahnersatz) und OC Oerlikon (Oberflächenbeschichtung) zu Hause. Und doch war Liechtenstein bis zum Ersten Weltkrieg ein bitterarmes Land. So mussten die Familien in ihrer Not ihre Kinder in den Sommermonaten ins Ausland schicken, wo sie in der Landwirtschaft arbeiteten und nach ihrer Rückkehr als sogenannte Schwabenkinder in die Geschichte des Fürstentums eingingen. Heute verdankt das Land seinen Wohlstand weniger dem Finanzwesen als der Industrie und dem Gewerbe, die mehr als 40 Prozent der 37 000 Arbeitsplätze stellen. Auf der Landkarte nimmt man das mit 160 Quadratkilometer Fläche viertkleinste Land Europas kaum war. Die kulturelle Vielfalt, die Liechtenstein zu bieten hat, die sollte man allerdings gesehen haben.

Infos zu Liechtenstein

Liechtenstein


Anreise

Mit dem Auto über die A 8 bis Ulm, dort weiter auf der A 7 bis zum Kreuz Memmingen, dort auf die A 96 Richtung Bregenz wechseln. In Österreich auf der A 14 bis Ausfahrt Feldkirch, dort auf der Schweizer Autobahn A 13 der Ausschilderung nach Vaduz folgen. Wer sich das Pickerl für die österreichische Autobahn sparen will, erreicht Vaduz alternativ auch über die A 81 nach Singen, weiter über Konstanz und Romanshorn auf die Schweizer Autobahn A 13 bis Vaduz.


Unterkunft

Das Park-Hotel Sonnenhof am Ortsrand von Vaduz bietet 29 individuell eingerichtete Zimmer mit herrlichem Ausblick auf die Stadt und das Rheintal. Ein Doppelzimmer gibt es ab 300 Schweizer Franken pro Nacht (circa 277 Euro) inklusive Frühstück ( www.sonnenhof.li ).
Günstigere und deutlich schlichter gehaltene Zimmer bietet das Landhaus am Giessen. Ein Doppelzimmer mit Frühstück ist ab 160 Franken (147 Euro) zu haben ( www.giessen.li ).


Kunst und Kultur

Das Kunstmuseum Liechtenstein und die Hilti Art Foundation zeigen zeitgenössische Kunst und ihre Wurzeln in der Moderne sowie bedeutende Gemälde und Plastiken vom späten 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Geöffnet Dienstag bis Sonntag 10-17 Uhr, Donnerstag 10-20 Uhr ( www.kunstmuseum.li ; www.hiltiartfoundation.li ).
Die Schatzkammer Liechtenstein präsentiert verschiedenste Preziosen aus der fürstlichen Sammlung, die eng mit Liechtenstein verbunden sind - Gemälde, wertvolle Materialien, historische Waffen, repräsentative Geschenke von Königen und Kaisern bis hin zu kleinen Brocken Mondgestein. Die Schatzkammer öffnet ihre Pforten täglich von 10 bis 17 Uhr ( www.schatzkammer.li ).
Das Landesmuseum Liechtenstein beschäftigt sich mit der Geschichte sowie der Landes- und Naturkunde des Fürstentums ( www.landesmuseum.li ).


Essen und Trinken

Für ein Mitbringsel oder einen guten Kaffee zwischendurch lohnt ein Besuch in der Kaffeerösterei von Peter Demmel in Schaan. Doch Vorsicht: Die Kostproben des gebürtigen Bayern bergen extreme Suchtgefahr ( www.demmel.li ).
Freunde von Hochprozentigem werden in Marcel Telsers Distillery in Triesen, der einzigen gewerblichen Brennerei im Fürstentum, fündig. Seit 1880 werden in der denkmalgeschützten Brennerei in der vierten Generation edle Destillate und seit einigen Jahren auch Whiskey und Gin produziert ( www.telser.li ).
Über 100 Winzer, davon vier hauptamtliche, erzeugen Weine in Liechtenstein. Mit der Hofkellerei unterhält auch das Fürstenhaus einen eigenen Weinbaubetrieb und baut auf dem Herawin/gert, einer der besten Reblagen im Rheintal, guten Pinot noir und Chardonnay an ( www.hofkellerei.li ).


Allgemeine Infos

Auskünfte und Prospektmaterial gibt es bei Liechtenstein Tourismus, Städtle 39, FL-9490 Vaduz, Telefon 0 04 23 / 2 39 63 63, www.tourismus.li