Das Schauspiel Stuttgart hat seine Saison mit einem großartigen Liederabend eröffnet: Im „Johnny Cash Songbook“, eingerichtet vom Intendanten Armin Petras, überzeugt ein ganzes Team, vom Pförtner bis zum Schauspieler.

Stuttgart - Kurz bevor der Countrysänger Johnny Cash anno 2003 sterben musste, kamen plötzlich relativ viele Leute auf etwas, das Bob Dylan schon in den Sechzigerjahren aufgefallen war: Johnny Cash war auch ein cooler Hund. Sein Werk gilt mithin – wie das von Dylan und Leonard Cohen – geeignet auch für Liederabende in den Tempeln der Hochkultur, die ja üblicherweise hochriskante Unternehmungen sind. Denn es gibt zum Glück haufenweise Ton- und Bildmaterial von den Originalen. Wer einen Johnny-Cash-Liederabend initiiert und damit bestehen will, braucht also jede Menge gute Ideen.

 

Die hatte Armin Petras, der Intendant des Stuttgarter Schauspiels, offenbar: Der von ihm eingerichtete Eröffnungsabend der Spielzeit 2014/2015 mit dem Titel „Johnny Cash Songbook“ überzeugt mit unbändigen Klangvariationen zwischen karg und opulent und obendrein mit ein paar hübschen visuellen Einfällen. Der Schönste: Beim Song „I hung my Head“ sprüht die Bühnenmalerin Patricia Heubischl mit einer Spraydose rhythmisch korrekt ein paar schwarze Striche an die Leinwand, die sich gegen Ende des von Sting geschriebenen Liedes zum ikonografischen Schädel eines verendeten Rindviehs verdichten. Große Klasse.

Die Arrangements strotzen vor Einfallsreichtum

Genauso wie die vor Einfallsreichtum strotzdenden musikalischen Arrangements dieser prallen Hommage: Während der musikalische Leiter Torsten Kindermann „The Man comes around“ mit Chor und Querflöte, mit Streichern und Klavier in überbordender Opulenz zelebrieren lässt, kommt „Hurt“ als kammermusikalisch eingefasstes Juwel daher, „Rusty Cage“ klingt grell nach Garagenrock in Saloon, wohingegen bei „Solitary Man“ County unf Folk einander sanft umarmen, eindrucksvoll abgespeckt in Szene gesetzt mit Cello, Gitarre und Bass. „Cry! Cry! Cry!“ entfaltet dafür mit doppeltem Saxofon und jeder Menge Herzblut ein Funk- und Soulgetränktes Gospelfeeling.

Die Brotberufe der insgesamt rund zwei Dutzend Musiker und Sänger sind übrigens fast so bunt gemischt wie in einer Kirchengemeinde: Der Schreiner des Hauses zupft den Bass, der Pförtner schlägt die Gitarre, die Requisiteurin spielt Querflöte – auch Leute, die sonst hinter den Kulissen des Schauspiels agieren, kommen nun in den Genuss von tosendem Applaus. Johnny Cash, die Ikone virtuos zelebrierter Einsamkeit, als Inhalt eines öffentlichen Teambuilding-Projekts? Das Experiment funktioniert. Mehr noch: es begeistert.

Der cooler Cousin des Rock ’n’ Roll

Die Sänger wechseln, und auch wenn nicht alle so gestaltungsfreudig und stimmstark sind wie die Schauspielerin Hanna Plaß (die am meisten singen darf), gelingt auch dieses Experiment – sogar der deutsche Akzent mancher Cash-Vertreter hat an diesem Abend Charme. Und die Zigarren- und zylinderbefeuerte Großspurigkeit, mit der Wolfgang Michalek in Dylans „It ain’t me Babe“ seine Duettpartnerin Marietta Meguid (beides Ensemblemitglieder) anätzt, haut einen sowieso um.

Ein gutes Stündchen Cash, dann noch die ersten paar Songs als Zugabe – fertig ist der Prototyp eines gelungenen Liederabends: Armin Petras’ County ist tatsächlich der coole Cousin des Rock ’n’ Roll.