Wie erlebten Schriftsteller den Ausbruch des ersten Weltkrieges? Das Literaturarchiv in Marbach zeigt das in der Ausstellung „August 1914 – Literatur und Krieg“, die bis März 2014 im Literaturmuseum der Moderne auf der Marbacher Schillerhöhe zu sehen ist.

Marbach - Der hundertste Jahrestag des Beginns des Ersten Weltkriegs im August 2014 wirft seine Schatten voraus. Buchverlage und Museen laufen sich bereits jetzt, ein dreiviertel Jahr vor dem eigentlichen Datum, warm für das Ereignis, so dass man befürchten muss, das Publikum werde bis zum kommenden Sommer bei so viel Erinnerungskultur der Sache schon wieder überdrüssig sein. Den Auftakt macht jetzt das Literaturarchiv in Marbach mit der Ausstellung „August 1914 – Literatur und Krieg“, die bis März 2014 im Literaturmuseum der Moderne auf der Marbacher Schillerhöhe zu sehen ist.

 

Weil sich bei einem Krieg, der als europäische Auseinandersetzung begann und als Weltkrieg endete, eine nationale Nabelschau verbietet, hat man sich in Marbach schon 2011 mit zwei Archiven in Großbritannien und Frankreich zusammengetan und beschlossen, in den geplanten Ausstellungen zum Kriegsbeginn zu kooperieren. Beabsichtigt war nicht eine gemeinsame Schau, wohl aber der Austausch einzelner Exponate. So haben die Bodleian Libraries im britischen Oxford ihre Originalmanuskripte der Tagebücher von Franz Kafka für die kommenden Monate nach Marbach ausgeliehen, die Straßburger Universitätsbibliothek hat eine Auswahl aus ihrer Sammlung von Schützengrabenzeitungen zur Verfügung gestellt. Mit dieser Zusammenarbeit sollte demonstriert werden, dass die Kriegsgegner von einst sich heute gemeinsam für eine friedliche Zukunft Europas engagieren.

Ulrich Raulff, der Direktor des Marbacher Archivs, ist immerhin ehrlich genug zuzugeben, dass die Beschränkung auf eine deutsch-französisch-britische Trilogie eine Verkürzung der Dimensionen dieses Krieges bedeutet, denn die Schlachten im Osten, auf dem Balkan, in Norditalien oder im Orient wurden damit ausgeblendet. Es scheint überhaupt das Schicksal der Erinnerung an den Ersten Weltkrieg zu sein, dass sie sich, jedenfalls in Deutschland, einseitig auf den Krieg an der Westfront, die Materialschlachten in Flandern und Nordfrankreich beschränkt. Dabei zeigt sich in der Ausstellung selbst, dass die dort vertretenen Autoren auch an anderen Kriegsschauplätzen im Einsatz waren: Harry Graf Kessler in den Karpaten, Robert Musil an der österreichisch-italienischen Front, Werner Picht ( der Vater des Pädagogen Georg Picht ) in Polen, Gustav Sack in Rumänien oder Armin T. Wegner ( bekannt geworden als Zeuge des Völkermords an den Armeniern ) in der Türkei.


Was wird in der Ausstellung gezeigt? Abgesehen von einigen Fotos und wenigen anderen nichtliterarischen Objekten wie Ernst Jüngers Stahlhelm oder dem Päckchen mit der Pfeife von Gustav Sack, das als einzige Hinterlassenschaft nach dessen Tod in Rumänien an seine Witwe geschickt wurde, sind es: Papiere, Papiere, Papiere, über zweihundert an der Zahl. ( Zu den im Krieg entstandenen Fotografien plant Marbach eine gesonderte Schau unter dem Titel „Die Reise – Fotos von unterwegs“ ). Dabei hat man sich auf Tagebücher und tagebuchähnliche Briefe beschränkt, weil die, so das Kalkül der Ausstellungsmacher Heike Gfrereis und Ellen Strittmatter, die gesteigerte Zeiterfahrung unter den Bedingungen des Krieges am besten wiederzugegeben vermögen. Die Ausstellungsästhetik ist extrem puristisch: Der Betrachter erfährt lediglich den Autor, den Entstehungsort und das Datum des gezeigten Manuskripts. Alle übrigen Informationen muss man sich aus dem Katalog holen, in dem sämtliche Texte transkribiert sind. Für den ersten Kriegsmonat, den August 1914, kann man Tag für Tag verfolgen, wie verschiedene Schriftsteller auf die neue Situation des Krieges reagiert haben, für die restliche Zeit von September 1914 bis zum Kriegsende im November 1918 hat man sich dann auf Stichproben beschränkt.

Was die Ausstellung einzufangen sucht, sind also nicht die resümierenden Rückblicke auf den Krieg aus der zeitlichen Distanz, wie sie die Kriegsbücher der zwanziger Jahre von Ernst Jüngers „In Stahlgewittern“ ( 1920 ) bis zu Erich Maria Remarques „Im Westen nichts Neues“ ( 1929 ) versucht haben, sondern der ungefilterte Schock des Augenblicks. Die Erfahrung, die dieses Ausstellungsprinzip beim Betrachter auslösen soll, scheint von Karl Heinz Bohrers „Ästhetik der Plötzlichkeit“ inspiriert zu sein, der diese nicht zufällig in der Auseinandersetzung mit dem Werk von Ernst Jünger entwickelt hat.

Aber das funktioniert nicht bei allen Texten. Es zeigt sich da vielmehr eine Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen. Während die Soldaten an der Front wie der bereits am 30. Oktober 1914 in der Nähe von Ypern gefallene Ernst Stadler, wie Harry Graf Kessler, Robert Musil oder eben Ernst Jünger stichwortartige Notizen in ihre taschenkalendergroßen Hefte machen, die tatsächlich einen expressionistischen Sprachduktus annehmen, schreiben die Daheimgebliebenen wie Hermann Hesse oder Franz Kafka weiter wie zuvor. Unter dem Datum des 6. August 1914 notiert Kafka: „Ich entdecke in mir nichts als Kleinlichkeit, Entschlussunfähigkeit, Neid und Hass gegen die Kämpfenden, denen ich mit Leidenschaft alles Böse wünsche“, um dann wenig später fortzufahren: „Der Sinn für die Darstellung meines traumhaften inneren Lebens hat alles andere ins Nebensächliche gerückt“. Kafkas Tagebücher zeigen im großzügigen Din-A-4-Format vor dem Krieg wie während des Krieges dieselbe Schönschrift, die sich durch die äußeren Ereignisse nicht wirklich erschüttern lässt, weil der Autor mit seiner eigenen Innenwelt vollauf beschäftigt ist.

Bis 30. März, Di bis So 10 bis 18 Uhr. Der dreibändige Katalog umfasst insgesamt 716 Seiten und kostet 15 Euro.