Kultur: Stefan Kister (kir)

Das erste Kapitel dieses kuratierten Familienromans ist den ersten und letzten Dingen gewidmet, der Gründung und Weitergabe von Traditionen. Wie ein Kettenhemd künftiger Aufgaben liegt das Taufkleidchen Thomas Manns neben dem erwähnten Goethe-Stammbuch. Wie die Fahrt weitergeht, von einer Generation in die andere, auch über die Familienbande hinaus, bezeugt der Jaguar-Schlüssel, den Max Frisch an den „Homo Faber“-Regisseur Volker Schlöndorff vererbte: „Da wo ich hingehe, brauche ich ihn nicht mehr.“

 

Vielleicht erweist sich die Kombinationslust an keiner Stelle so überschießend wie in dem zweiten, familiären Ordnungssystemen gewidmetem Raum: Stammbäume aller Art sprießen aus imaginären und realen Samen, Wurzelgeflechte wuchern in mythischem Boden. Hier kreuzen sich die Lebenslinien der Lokalmatadoren Hölderlin, Schelling, Hauff und Uhland im Schoß der schwäbischen Geistesmutter Regina Bardili. Dort rückt Friedrich Kittler dem Aufschreibesystem seines Computers mit einer Stammtafel seiner Ordner und Unterordner zu Leibe. Dazwischen verkünden die Familien Ensslin und Vesper in einem ambitionierten grafischen Arrangement die Verlobung ihre Kinder Gudrun und Bernward.

Zu sehen sind Familienaufstellungen aller Art: Die Manns, die Döblins, die Chaplins – die ganze kinderreiche Sippe tief versunken in dicke Schmöker über den Herrn Papa. Für die Enzensbergers hat der Fotograf Stéphane Moses eine Langzeitbeobachtung arrangiert, als Bild im Bild schiebt sich die Entwicklung der Familie ineinander. Die Inszenierung von Autorschaft noch vor dem ersten Buchstaben zeigt eine Aufnahme des achtjährigen Erich Kästner, die die Mutter mit den Worten beschriftet: „Willst du eine Rede halten, du kleines fleißiges Kerlchen?“

Kopulation von Fiktion und Wirklichkeit

Das Entrée in den eigentlich literarischen Raum bildet der dritte Teil, wobei sich der Ort auf der Schwelle am fruchtbarsten erweist, der Moment des Übergangs. Hierher gehören die Listen, die aufschlüsseln, wer welche der Honoratiorenfiguren in dem Familienroman par excellence, Thomas Manns „Buddenbrooks“, verkörpert. In Lübeck wurden sie zusammen mit dem Roman ausgeliefert. Zwischen Literatur und Bekenntnis changiert Kafkas Brief an den Vater. Der Produktivität familiären Leidens stehen koproduktive Geschwisterverhältnisse gegenüber, etwa zwischen Bankier und Philosoph im Hause Heidegger.

In allen Facetten werden die finsteren und lichten Winkel der literarische Familienwerkstatt ausgeleuchtet. Am Ende bleibt die Erkenntnis: Die Familie ist nichts Gegebenes, sondern etwas Gemachtes. Entscheidender als die Bande des Blutes sind Inszenierungen, Fantasmen, sind die Kopulationen von Fiktion und Wirklichkeit. Das Natürlichste stellt sich als das Künstlichste heraus, das Ursprüngliche als das Abgeleitete. Etwas von dieser poststrukturalistischen Zuversicht hätte man dem armen August Goethe gewünscht. Er hätte die Bürde seines großen Namens wohl leichter getragen.

Als eine Art intellektuelles Amuse Gueule ist dem Parcours ein Spiegel aus dem Hause Humboldt vorangestellt, in dem die beiden berühmten Brüder einst ihrer offenbar verblüffenden Ähnlichkeit gewahr werden konnten. Er steht zugleich für die materielle Basis der Familie, die ihren Wohlstand einer Spiegelmanufaktur verdankte. In solcher Mehrdeutigkeit führt das bereits etwas erblindete Stück den archivalischen Esprit vor Augen, der sich in dieser Ausstellung in seinem Gegenstand selbst verführerisch spiegelt.

Wucherndes Wurzelgeflecht

Das erste Kapitel dieses kuratierten Familienromans ist den ersten und letzten Dingen gewidmet, der Gründung und Weitergabe von Traditionen. Wie ein Kettenhemd künftiger Aufgaben liegt das Taufkleidchen Thomas Manns neben dem erwähnten Goethe-Stammbuch. Wie die Fahrt weitergeht, von einer Generation in die andere, auch über die Familienbande hinaus, bezeugt der Jaguar-Schlüssel, den Max Frisch an den „Homo Faber“-Regisseur Volker Schlöndorff vererbte: „Da wo ich hingehe, brauche ich ihn nicht mehr.“

Vielleicht erweist sich die Kombinationslust an keiner Stelle so überschießend wie in dem zweiten, familiären Ordnungssystemen gewidmetem Raum: Stammbäume aller Art sprießen aus imaginären und realen Samen, Wurzelgeflechte wuchern in mythischem Boden. Hier kreuzen sich die Lebenslinien der Lokalmatadoren Hölderlin, Schelling, Hauff und Uhland im Schoß der schwäbischen Geistesmutter Regina Bardili. Dort rückt Friedrich Kittler dem Aufschreibesystem seines Computers mit einer Stammtafel seiner Ordner und Unterordner zu Leibe. Dazwischen verkünden die Familien Ensslin und Vesper in einem ambitionierten grafischen Arrangement die Verlobung ihre Kinder Gudrun und Bernward.

Zu sehen sind Familienaufstellungen aller Art: Die Manns, die Döblins, die Chaplins – die ganze kinderreiche Sippe tief versunken in dicke Schmöker über den Herrn Papa. Für die Enzensbergers hat der Fotograf Stéphane Moses eine Langzeitbeobachtung arrangiert, als Bild im Bild schiebt sich die Entwicklung der Familie ineinander. Die Inszenierung von Autorschaft noch vor dem ersten Buchstaben zeigt eine Aufnahme des achtjährigen Erich Kästner, die die Mutter mit den Worten beschriftet: „Willst du eine Rede halten, du kleines fleißiges Kerlchen?“

Kopulation von Fiktion und Wirklichkeit

Das Entrée in den eigentlich literarischen Raum bildet der dritte Teil, wobei sich der Ort auf der Schwelle am fruchtbarsten erweist, der Moment des Übergangs. Hierher gehören die Listen, die aufschlüsseln, wer welche der Honoratiorenfiguren in dem Familienroman par excellence, Thomas Manns „Buddenbrooks“, verkörpert. In Lübeck wurden sie zusammen mit dem Roman ausgeliefert. Zwischen Literatur und Bekenntnis changiert Kafkas Brief an den Vater. Der Produktivität familiären Leidens stehen koproduktive Geschwisterverhältnisse gegenüber, etwa zwischen Bankier und Philosoph im Hause Heidegger.

In allen Facetten werden die finsteren und lichten Winkel der literarische Familienwerkstatt ausgeleuchtet. Am Ende bleibt die Erkenntnis: Die Familie ist nichts Gegebenes, sondern etwas Gemachtes. Entscheidender als die Bande des Blutes sind Inszenierungen, Fantasmen, sind die Kopulationen von Fiktion und Wirklichkeit. Das Natürlichste stellt sich als das Künstlichste heraus, das Ursprüngliche als das Abgeleitete. Etwas von dieser poststrukturalistischen Zuversicht hätte man dem armen August Goethe gewünscht. Er hätte die Bürde seines großen Namens wohl leichter getragen.