Das ist auch der Grund, warum sie hier ist: Das Therapie- und Rehazentrum Rehamed-Plus in Stuttgart-Vaihingen hat ein Konzept für die Behandlung von Post- oder Long-Covid-Patienten aufgelegt. Für diejenigen, die wie Bärbel R. nach einem Krankenhausaufenthalt noch nicht auf dem Damm sind. Aber auch für die, die es nach mildem Coronaverlauf aus der Bahn wirft. Letzteres ist laut Robert-Koch-Institut gar nicht selten: Jeder zehnte Infizierte, der zunächst geringe oder keinen Symptome verspürte, habe auch Monate nach der Erkrankung noch Probleme, zum Beispiel Atembeschwerden, Müdigkeit, Schlaflosigkeit oder Geschmacksstörungen. „Jeder kennt jemanden, der nicht wieder fit geworden ist“, sagt Claudia Dose-Kraft, sie ist auch Geschäftsführerin des Rehazentrums. Eine Long-Covid-Betroffene kennt sie besonders gut: Das ist sie selbst. Sie hatte sich rund um Weihnachten infiziert – und spürt die Folgen immer noch. Das Programm ist ihr persönlich wichtig.
Eine Frau hat plötzlich kreisrunden Haarausfall bekommen
Noch hätten sie das Angebot gar nicht breit gestreut. Dennoch komme im Schnitt eine Anfrage pro Tag rein. Anfangs konnten sie nur Privatpatienten abrechnen, inzwischen sei die Verordnungsfrage für gesetzlich Versicherte geklärt. Die jüngste Patientin sei 16 Jahre alt gewesen. Sie litt an Panikattacken, da sei vor allem ihre Psychologin gefragt gewesen. Viele seien mittleren Alters, die Ältesten über 70. Die Symptome seien unterschiedlich. Atemprobleme kämen am häufigsten vor, Erschöpfung, ein schlechtes Kurzzeitgedächtnis. Eine junge Frau habe nach zwei Monaten plötzlich kreisrunden Haarausfall bekommen und sei nicht mehr leistungsfähig. Sie wisse nicht, wie sie den Berufseinstieg kräftemäßig schaffen soll.
Auf eine Art erinnert Long Covid Claudia Dose-Kraft an Multiple Sklerose – MS wird auch die Krankheit der tausend Gesichter genannt. „So vielseitig die Symptome, so vielseitig muss auch die Therapie sein“, sagt die Geschäftsführerin. Entsprechend setzt sie auf einen breiten Mix, darunter Atemtraining, Physiotherapie, psychologische Unterstützung. Eines ist der Geschäftsführerin wichtig: „Wir powern die Leute nicht aus.“ Wer an Erschöpfung leidet, habe nur eine begrenzte Menge an Energie.
Je mehr Zeit verging, desto erschöpfter wurde sie
Wie sich das anfühlt, weiß Julia M. nur zu gut. Auch die Mutter von drei kleinen Kindern, stellvertretende Abteilungsleiterin in einem Medienunternehmen, hat wegen Long Covid die ambulante Reha durchlaufen. Ein stationäres Programm im Schwarzwald war ihr nicht bewilligt worden, wegen ihrer Kinder sei sie letztlich froh, nicht länger weg gewesen zu sein. Die drei seien ohnehin verunsichert, was mit ihrer bis zum Winter so topfitten Mama los ist. Bis heute kann sich die 43-Jährige nicht erklären, wie sie sich im Januar angesteckt hat. Sie hatte nur einen Tag Fieber, das sei nicht schlimm gewesen. „Schlimm war, was danach kam.“ Je mehr Tage vergingen, desto erschöpfter wurde sie. Nach der Quarantäne ging sie zum Arzt, der machte Tests, dann wies er sie ins Krankenhaus ein. „Corona hat bei mir aufs Herz geschlagen.“ Fünf Tage blieb sie mit einer Herzbeutelentzündung in der Klinik. Nach der Entlassung dachte sie, es hinter sich zu haben. Ein Irrtum. Julia M. erzählt, wie sie ihren Achtjährigen zur Schule begleiten wollte und nach 150 Metern umkehren musste. „Ich habe es gerade so zurückgeschafft.“
Ein Nebel im Kopf
Der Hausarzt stellte dann die Diagnose: Long Covid. Alles passte: Ihre Wortfindungsschwierigkeiten, dieser „permanente Nebel im Kopf“, selbst harmlose Spielplatzgespräche mit anderen Müttern hätten sie komplett überfordert. Die Erschöpfung zehrte an ihr. „Wenn ich an einem Vormittag etwas gemacht habe, und ich meine so etwas wie einkaufen, musste ich mich davon zwei Tage erholen.“ Eine Krankschreibung folgte auf die nächste – letztlich sollte sie viereinhalb Monate an ihrem Arbeitsplatz fehlen.
Für Julia M. war an der ambulanten Therapie am wichtigsten, jemanden zum Reden zu haben, um ihre Ängste loszuwerden. Auch ihre Konzentrationsprobleme hat sie bearbeitet, verbrachte viel Zeit mit dem Neuropsychologen, der sie mit seinen Tests forderte. Sie machte Physiotherapie, um den Brustkorb und die Atmung zu stärken, verzichtete aufs Gerätetraining. Langsam wurde es besser. Die schlechten Tage wurden seltener. Ende Mai schloss sie die Therapie ab. Seit Ende der Pfingstferien ist sie wieder im Büro, allerdings mit neuem Aufgabenprofil, weil sie noch nicht stressresistent genug ist fürs operative Geschäft. Aber das Schlimmste sei geschafft – der Nebel im Kopf hat sich gelichtet. „Mir fehlen noch fünf bis sieben Prozent, damit kann ich leben.“ Und Bärbel R.? Die fühlt sich körperlich wieder kräftig. Nach der Entlassung hätten sie ihre plötzlich streichholzdünnen Beinen kaum getragen. Wegen der Atmung will sie aber noch eine Verordnung dranhängen. Die App vom Atemtrainer soll beim Einatmen grün leuchten.