Wo man heute vergnügt Ausflüge startet, zeugt ein verwitterter Torbogen von einer einst stolzen Mühle. Hinter der scheinbaren Idylle verbirgt sich aber eine düstere Vergangenheit. Unsere Serie über Lost Places in der Region

Rems-Murr: Chris Lederer (cl)

Welche Tragödien haben sich wohl einst abgespielt, wo der Kümmerlesbach in die rauschende Rot mündet. Wer dort heutzutage zwischen den verwitterten Mauersteinen vorbeigeht, durch tiefes Moos und über morsche Äste stapft und unter dem letzten verbliebenen Türbogen des ehemaligen Wohnhauses der Hankertsmühle steht, kann nur erahnen, welches Leid und welche Dramen sich an diesem so idyllischen Ort früher zugetragen haben.

 

Eine Hinweistafel zeugt von einem furchtbarem Unfall

Damit nichts vergessen wird, erinnert eine hölzerne Hinweistafel am geschwungenen Lauf der Rot daran: Es war 1908, da verlor der letzte Müller der Hankertsmühle, Jakob Trinkle, seine geliebte Frau bei einem furchtbaren Unfall – als sie mit ihrer Kleidung in einen Antriebsriemen geriet und tödlich verletzt wurde. Der Müller verlor nicht nur seine Frau, sondern die Hoffnung auf eine bessere Zukunft im Rottal.

Nachdem er 47 Jahre lang im Besitz der Hankertsmühle gewesen war, verkaufte er 1912 das Gut an einen Holzhändler auf dem Plapphof bei Fichtenberg sowie an den Rößlewirt in Grab und siedelte im Alter von 67 Jahren nach Amerika über, wohin zuvor schon seine Söhne ausgewandert waren. In letzten Briefen beschreibt Trinkle den Ort als „Jammerloch“ und „Schinderplatz“. Er wird nie mehr zurückkehren.

Die düstere Geschichte des Lost Places reicht weit zurück

Die Heimatforscherin Maria Fassbender aus Oberrot entdeckte eine weitere tragische Episode in den Archiven, als sie die Historie der Hankertsmühle genauer recherchiert hat: Erstmals urkundlich erwähnt wurde die „Hankatzmühle“ im Jahr 1307. Die Gebrüder Cunat und Götz von Rot verkauften die Mühle dann 1371 an die Schenken Albrecht und Cunat von Limpurg.

Was damals ebenfalls mitverkauft wurde waren „fünf ond dreyssige Schilling haller, eyn Fleisch, vier Herbsthüner und ain Vastnachtshun“. Es finden sich in den Archiven weitere Daten über wechselnde Eigentumsverhältnisse, doch die Faktenlage für die Zeit zwischen dem 14. und 16. Jahrhundert ist noch ärmer als das Leben der Müller.

Säule, Stein und Türbogen Foto: Chris L/ederer

Doch was man letztlich erfährt, möchte man beinahe nicht wissen. Während des Dreißigjährigen Krieges „wüteten Soldaten nach der Nördlinger Schlacht im September und Oktober 1634 auch in dieser Gegend“. Es wird berichtet, dass sie auch die Hainckartsmühle plünderten und den damaligen Eigentümer, den Müller Lienhardt Klenck, überfielen und ausraubten.

Aufzeichnungen erzählen von Folterungen

„Kein Vieh noch Lebensmittel oder Hausrat ist ihm geblieben, dazu noch zerstört worden“, schreibt ein späterer Eigentümer. Schlimmer noch: Die Soldaten verabreichen Klenck den „Schwedischen Trank“. Das ist eine Foltermethode aus dem Dreißigjährigen Krieg, die darin bestand, den Opfern große Mengen Flüssigkeit, versetzt mit Jauche, Gülle, Urin oder Kot einzutrichtern. Dem armen Müller sind laut einem Brief „ain Korn Simri Wasser“, das entspricht gut 22 Litern, eingeschüttet worden, „wobei er viel Elend ausgestanden hätte“, wie es in Aufzeichnungen vom späteren Besitzer Jacob Wieland heißt, die Maria Fassbender gefunden hat.

Es wütet auch die Pest. Was Klenck letztlich dahinrafft, bleibt offen. Doch weder Hilfe noch Pflege habe er gehabt, „bis Gott sich seiner erbarmte und ihn samt etlicher seiner Kinder erlöst“ habe, schreibt Wieland, der später ebenfalls mehrfach geplündert worden sei. Eines der Kinder, ein Bub, sei später an Hunger und Elend gestorben. Er wurde nicht auf einem Friedhof, sondern im Garten neben seiner Schwester begraben.

Inschriften führen in die Vergangenheit

Die Rot rauscht durch das Tal Foto: Gottfried / Stoppel

So schrecklich endete nach rund 100 Jahren die Ära Klenck. Danach stand die Mühle einige Jahre leer, ehe sie 1640 in den Besitz der Familie Wieland ging, die das Anwesen kaufte und erweiterte. Hans Leonhard Wieland baute das Wohnhaus, zu dem der noch existierende Türbogen gehört, vermutlich im Jahr 1745 um. Indizien hierfür sind Initialen „L“ und „W“ im Rundbogen über der Eingangstür sowie die Jahreszahl.

Von dieser Familie stammt wohl auch die Inschrift auf einem Stein, der sich unweit einer zurückgelassenen Säule findet: „Gerechtigkeit und Frieden liebe ich“, steht da zu lesen, darunter sind die Buchstaben „H“, „W“ und „L“. Die Wielands besaßen die Mühle rund 200 Jahre lang bis mindestens 1832. Im Jahr 1865 übernahm dann Jakob Trinkle, der letzte Müller.

Zu Glanzzeiten eine große Mühlenwirtschaft

„Gerechtigkeit und Friede liebe ich“ Foto: Chris Ledere/r

Bei allem Elend: Es gab auch bessere Tage. Wo jetzt nur noch Ruinen zu sehen sind, standen zu Glanzzeiten eine große Mühlenwirtschaft mit einer Mahl- und einer Sägemühle, ein Wohngebäude, Kellerhaus, Scheuer, Back- und Waschhaus, dazu gab es eine stattliche Fläche Land. Bereits 1371 wurde die Mühle als eine der bedeutendsten und größten im Schwäbisch-Fränkischen Wald beschrieben, erläutert ein Audio-Guide, den man vor Ort mit dem Handy oder wo auch immer unter der Telefonnummer 0 71 92/97 03 56 abrufen kann.

Verschiedene Faktoren hätten im 19. Jahrhundert dann zum Niedergang vieler Mühlen im Schwäbischen-Wald geführt, von denen die Hankertsmühle aber nur ein Beispiel ist: „Die plötzliche Gewerbefreiheit führte zu ungewohnter Konkurrenz, als sich niemand mehr auf den jahrhundertelang geltenden Zwang der Bauern, in bestimmten Mühlen zu mahlen, ausruhen konnte.“ Auch machte der Siegeszug der Kartoffel vielen Getreidemüllern zunehmend zu schaffen. „Doch vor allem große technische Innovationen, die zur Entstehung industrieller Großmühlen führten und für kleine Betriebe oft unerschwinglich waren, bedeuteten das Aus für viele Müller.“

So gelangt man zum Lost Place im Schwäbisch-Fränkischen Wald

Die letzten privaten Besitzer, der Holzhändler und der Rößlewirt, verkauften das noch übrige Land und die Mühle an den Staat, der die Gebäude abreißen ließ. Auf Anordnung der Forstverwaltung blieben nur der Türbogen und drei Säulen stehen, von denen noch eine zu sehen ist. „Sie erinnern daran, dass gesellschaftlicher Wandel und technischer Fortschritt immer auch Opfer fordern“, schließt der Sprecher – und damit endet die Geschichte der Mühle.

Anreise Die Ruine erreicht man über den Grillplatz Hankertsmühle im Rottal. Er kann nicht mit dem Auto angefahren werden. Man erreicht ihn zu Fuß oder mit dem Fahrrad über die Rösersmühle oder den beschilderten Fuxi-Naturerlebnispfad über Mönchsberg.

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