Das erfolgreiche Modell der Ludwigsburger Leseklassen wird vom Land nicht mehr finanziert. Eltern und Lehrer sind empört. Betroffen sind im Schnitt 15 Prozent der Grundschüler.

Ludwigsburg - Den Erfolg der Ludwigsburger Leseklassen bestreitet niemand, trotzdem werden sie abgeschafft. Eltern und Lehrer sind empört, das Staatliche Schulamt indes erklärt die Rotstiftaktion mit dem Gerechtigkeitsgebot: Solche Extraförderungen könne man sich nicht mehr leisten, die Absicherung des Pflichtunterrichts habe Vorrang. Regierungspräsidium (RP) und Kultusministerium verschanzen sich hinter Formeln: Einen Erlass, der den Leseklassen den Garaus mache, gebe es nicht. Das Schulamt könne „im Rahmen des als Pool zur Verfügung stehenden sogenannten Ergänzungsbereichs eigenständig Schwerpunkte setzen“.

 

Einschnitte im Ergänzungsbereich

Die Schulamtsdirektorin Gabriele Traub sah dagegen wenig Spielraum: Zu viele Lehrer seien längerfristig krank oder im Erziehungsurlaub. An zwei Schulen im Kreis sei die Leseklasse schon an Ostern gestrichen worden, weil die abgeordneten Lehrerinnen für kranke Kollegen einspringen mussten. Um den Regelbetrieb an den Grundschulen aufrecht erhalten zu können, müsse der Ergänzungsbereich, über den bisher Lehrerdeputate für Arbeitsgruppen oder Förderunterricht abgerufen werden konnten, herhalten. Oder wie es ein RP-Mitarbeiter in einem Brief an eine protestierende Lehrerin ausgedrückt hat: „Die Auflösung der Leseklassen ist, insbesondere wenn man Ihre erfolgreiche Arbeit betrachtet, der Schulverwaltung nicht leicht gefallen. Um den Pflichtbereich optimal zu versorgen, sind Einschnitte im Ergänzungsbereich notwendig gewesen.“

Hanspeter Orth bezeichnet die Leseklassen als seine „Lebensaufgabe“. Der Rektor im Ruhestand hat das Konzept in Mannheim eingeführt, und er hat die Leseklassen-Lehrer im Kreis Ludwigsburg unterstützt. Das Aus wäre fatal, meint er. Bezogen auf sein Schulamt seien alljährlich etwa 1500 Kinder betroffen. „Wir sprechen von 10 bis 15 Prozent eines Jahrgangs, die an Lese-Rechtschreibschwäche leiden.“ Die Mehrheit davon sei nach einem Intermezzo in der Leseklasse voll integriert im Regelbetrieb vorangekommen.

Flächendeckendes Angebot

Das bestätigt auch Peter Wacker, der zwölf Jahre lang den Förderunterricht in Großbottwar erteilt hat: „Viele meiner Schüler haben inzwischen erfolgreich das Abitur abgelegt.“ Häufig hätten ihm die Eltern nach dem Intensivunterricht versichert, ihre Kinder seien ganz andere: „Mit der Lesefertigkeit ist eben auch das Selbstbewusstsein gekommen“, sagt Wacker. Im Kreis gibt es unter anderem in Marbach, Kornwestheim, Ditzingen, Markgröningen und Ludwigsburg Leseklassen. In dieser Form gibt es das auf den Großraum bezogen nur im Kreis Ludwigsburg.

„Das Angebot ist flächendeckend“, sagt die Schulamtsleiterin Traub. Schüler der 1. und 2. Klasse mit Sprachproblemen haben für drei Monate – so genannte Tertialen – ihre Stammschule verlassen, um an einem dieser Stützpunkte Förderunterricht zu erhalten. Pro Schuljahr und Lehrer sind drei Förderklassen eingerichtet worden. Er persönlich habe auf diese Weise 300 Kinder wieder fit für die Regelschule gemacht, sagt Wacker. Der Erwartungsdruck der Eltern sei immer sehr groß gewesen.

Monika Schick, die Rektorin der Ludwigsburger Schlösslesfeldschule, bedauert den Wegfall sehr. Sie mag sich gar nicht ausmalen, was das für die betroffenen Eltern und deren Kinder bedeutet. Orth glaubt, dass wieder einmal eine Landesregierung Kosten auf die Kommunen abwälzt: In vielen Fällen müssten wohl die Jugendämter die Ausgaben für Förderunterricht bei privaten Instituten übernehmen. „Wenn es die Schule nicht mehr fertig bringt, diesen 10 bis 15 Prozent Problemkindern das Lesen beizubringen, haben wir als Lehrer unsere Berechtigung verloren“, sagt Orth.

Die pädagogische Idee

Leseklassen
Im Kreis Ludwigsburg gibt es seit dem Jahr 2001 neun Stützpunkte für Leseklassen. Kinder mit einer starken Lese-Rechtschreib-Schwäche werden dort ein Vierteljahr lang gesondert unterrichtet und danach wieder in ihre Stammklassen eingegliedert. In der Leseklasse werden sie ausschließlich in Deutsch, Mathe, Sport und Englisch unterrichtet.

Idee
Die ersten Anregungen für LRS-Klassen stammen von Renate Hackethal. Die Pädagogin hat sie 1990 im Auftrag des Schulamts Kiel institutionalisiert. Nach Baden-Württemberg kam die Idee über Hanspeter Orth. 1994 hat der Grundschulrektor in Mannheim erste Klassen aufgebaut und darüber hinaus im ganzen Land dafür geworben – mit unterschiedlicher Resonanz.

Finanzen
Die Unterstützung war immer schwierig, sagt Orth. Dank des Erfolgs aber seien die Leseklassen durchgängig finanziert worden. In den Schulämtern Karlsruhe, Freiburg und Mannheim gibt es auch weiterhin keine Abstriche. Auch nicht in Stuttgart oder Nürtingen. Dort wird aber auch ein anderes Konzept verfolgt: gefördert wird über zwei Schuljahre.