J.J. Lohmann hat ein fiktives Tagebuch der Mätresse von Herzog Eberhard Ludwig verfasst. Der Australier, der seit einigen Jahren in Ludwigsburg lebt, betrachtet die Gräfenitz als die Powerfrau ihrer Zeit.

Ludwigsburg - Der Herzog war von meiner Stimme berührt, ja begeistert“, schreibt Wilhelmine von Grävenitz am 10. Februar 1706 in ihr Tagebuch. „Der Fürst überschüttete mich mit Komplimenten, meint er doch meine Stimme sei engelhaft, wunderschön.“ Es ist dies die erste und für Württemberg und das erst später erbaute Ludwigsburg folgenreiche Begegnung zwischen der damals 22-Jährigen und dem Herzog Eberhard Ludwig. Schon am 25. Februar schreibt sie: „Es war ein wunderbares Ereignis! An der Seite des Herzogs war ich das Licht des Balles.“ Anschließend führt sie Durchlaucht in die privaten Gemächer: „Alles geschah wie im Traum.“

 

Leider ist auch das ganze Tagebuch nur ein Traum – der Tagtraum des J. J. Lohmann. Die berühmte Mätresse, Politikerin und als Landesverderberin verjagte Grävenitz hat keine intimen Notizen hinterlassen. Aber der Australier, der bis vor sieben Jahren weder die Stadt Ludwigsburg noch die Gräfin kannte, hat ihr die Feder geführt.

Der Autor arbeitete sich durch historische Texte und Briefe

„Blütenblätter“ heißt sein Werk. Das Leben der Gräfenitz biete ausreichend Stoff für Erotik, Politik und Intrigen, sagt Lohmann. „Sie war damals in ganz Europa die einzige Frau, die regierte. Das hat mich begeistert.“ Und sie war die erste, die das Judenprivileg erweitert hat. Das hat nicht nur die Geschichte Freudentals geprägt.

Das Interesse des „Ghostwriters“ Lohmann an Wilhelmine von Grävenitz hat dessen Frau Sabine Servinho-Lohmann geweckt. Sie hat bis 2011 im Schloss den Museumsshop geleitet und führt seit vielen Jahren als Gräfin durch die Stadt. Nachdem ihn das Thema einmal gepackt hatte, begann auch die Plackerei: Lohmann musste sich durch historische Werke, Briefeditionen und Dissertationen über das Mätressenwesen im Barockzeitalter wühlen.

An zwei Stellen hebt er das Grücht in den Status der Wahrheit

Dass er die Form des Tagebuchs wählte, erlaubte ihm den scheinbar unmittelbaren Zugriff auf die privatesten Reflexionen und Empfindungen der Gräfin. Wann immer der Autor wollte, konnte er durchs Schlüsselloch die höfische Welt bestaunen. Andererseits galt es eine Sprache zu finden, die der Zeit entsprechen könnte, und so zu schreiben, dass das Gerüst der historischen Fakten, das ihm als Grundlage diente, stets verborgen blieb. „Es gibt im ganzen Buch nur drei Originalzitate der Gräfin“, sagt Lohmann. Alles andere sei – wenn auch stets in Reichweite der Geschichtstreue – seine Erfindung. An zwei Stellen aber hat er Gerüchte in den Status der Wahrheit erhoben: „Es wurde gemunkelt, die Grävenitz sei zweimal vom Herzog schwanger gewesen“, sagt Lohmann. „Ich habe die Schwangerschaften zu Tatsachen gemacht.“

Die stärkste Erfindung aber ist der in einer Rahmenhandlung eingeflochtene Bericht von dem vermeintlichen Zufallsfund des Tagebuchs in Tel Aviv. Dorthin sei es gelangt, weil es im Besitz von Nachfahren der Rahel Goldmann gewesen sei. Diese stammte aus Freudental und war ein gute Freundin der Grävenitz. Kurz vor ihrem Tod habe sie ihr die Notate anvertraut, so die kühne Behauptung Lohmanns.

Mehr als zwei Jahre lang hat er sich an Fakten und Fiktionen abgemüht. „Es gab Phasen, da hat es einfach Spaß gemacht, aber dann war ich auch wieder tagelang verzagt, weil ich nicht wusste, wie es weitergehen sollte“, sagt der Tagebucherfinder. Über der Arbeit aber sei er ein Grävenitz-Fan geworden: „Heute würde man sagen, sie war eine Powerfrau.“