Barbara Schüßler wagt den Neuanfang. Nach 41 Jahren als Schülerin, Lehrerin und Rektorin wechselt sie von der Schule in die Kulturarbeit ins Pädagogisch-Kulturelle Centrum (PKC) nach Freudental. Aber leider hat ein Beinbruch den Abschied etwas verhagelt.

Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)
Ludwigsburg – - Eigentlich wollte sich Barbara Schüßler gut vorbereitet von der Friedrich-von-Keller-Schule verabschieden – und die Weichen für die Umwandlung zur Grundschule gestellt haben. Doch ein Sturz von der Leiter machte die Pläne zunichte. Ein Gespräch über Rituale, Regeln und Abschiede.
Frau Schüßler, Rektorinnen kennen offenbar auch bei Krankheit keine Ferien.
Es muss noch so viel gemacht werden.
Und wie geht es Ihnen dabei?
Sehr zwiegespalten. Ich bin jemand, der eine Sache gerne gut zu Ende bringt. Und dass ich das jetzt nicht kann, ist sehr bitter. -
Ihr Unfall überdeckt den Einschnitt, den sie gerade erleben. Sehen Sie das dramatisch?
Inzwischen nicht mehr. Aber ich bin gestürzt, am Tag bevor ich die Neuner verabschiedet hätte – ausgerechnet den Jahrgang, den ich als ersten hier eingeschult habe. Dann war am Samstag die Verabschiedung von Ludwig Bez im PKC in Freudental, dessen Stelle ich zum Teil übernehme, Montag wäre meine Verabschiedung gewesen. Dienstag war Abschlussveranstaltung für die Hauptschule, Mittwoch sind die Schüler gegangen, und ich war nirgends dabei, das war schon sehr, sehr bitter.
Fehlt Ihnen ein Schluss?
Ja, da fehlt etwas.
Wird das nachgeholt?
Meine Verabschiedung wird wohl nachgeholt. Aber das ist natürlich etwas anderes.
Also ein lachendes und weinendes Auge?
Das sowieso. Aber jetzt kommt ein bisschen Bitterkeit dazu. Wir haben ein Jahr lang auf diesen Abschied hingearbeitet, versucht, ihn gut zu gestalten. Aber wenn dieses Ritual fehlt, ist es sehr traurig.
Gibt es bei Ihnen auch Bitterkeit, weil die Hauptschule nicht weitergeführt wird?
Da haben wir so lang dran rumgemacht, das habe ich akzeptiert. Dennoch bleibe ich dabei: Die Friedrich-von-Keller-Schule war eine besondere Hauptschule, und es ist schade, dass das nicht gesehen wurde. Deswegen auch der Versuch, ein Ritual zu finden. Es ist wichtig, dass alle, die gehen müssen, auch mit Haltung gehen können. Es passt mir zwar nicht, aber es muss sein, und ich krieg’ das gut hin. Es war für die Kinder, aber auch für die Kollegen wichtig, dass sie diesen Schritt tun können. Das passt wieder ins Bild (lacht): Ich habe einen falschen Schritt getan . . .
Wie sehen Sie die Chance für die Grundschule in Neckarweihingen?
Die ist gut. Es sind im Moment zwar nur 170 Schüler und Schülerinnen hier, aber durch die Aufsiedlung der Neckarterrassen wird das anders. Es wird eng hier im Haus werden. Dadurch, dass jetzt auch die Schulkindbetreuung mit reingenommen wird, ist die Schule bis auf das letzte Kämmerlein gefüllt. Wenn tatsächlich noch eine Klasse dazu käme, muss sich die Stadt etwas überlegen.
Finden Sie es wichtig, dass ein Ort wie Neckarweihingen eine Grundschule hat?
Auf dem Land wäre Neckarweihingen eine mittlere Kleinstadt, da ist eine Grundschule unbedingt nötig. Zumal der Ort so lang gestreckt ist. Viele Kinder haben einen Schulweg, der fast drei Kilometer lang ist. Es ist auch prägend für einen Stadtteil, dass er eine Schule hat.
Sollte auch eine Hauptschule da sein?
Man hat sich immer gewünscht, dass es eine weiterführende Schule gibt. Damit die Jugendlichen auch im Stadtteil bleiben.
Ist das wichtig für die sozialen Strukturen?
Ja, aber auch für die Identifikation mit dem Stadtteil. Wenn man mit zehn Jahren in die Innenstadt geht, fühlt man sich ja nicht mit dem Stadtteil verbunden.
In Schülerkreisen haben Sie den Ruf, eine strenge Rektorin zu sein.
(Lacht) Haben Sie im Internet nachgeschaut?
Nein, das sagen Schüler. Haben sie recht?
Ja. Aber die Schüler sagen auch, ich sei streng, aber gerecht. Im Regeln einhalten bin ich streng.
Was sind das für Regeln?
Zum Beispiel: Kappe runter, kein Kaugummi, Handy ausschalten, sich hier im Rektorat anmelden, wenn man zu Besuch kommt. Es geht immer um Teilhabe an der Gesellschaft. Ich muss in der Schule lernen, was in der Gesellschaft üblich ist.
Welche Erinnerungen haben Sie an Ihre eigene Schulzeit?
Sehr unterschiedliche. In der ersten und zweiten Klasse habe ich sehr gelitten. In der dritten habe ich meine Lehrerin angehimmelt und sogar eine Ohrfeige akzeptiert. Das Gymnasium war geprägt von sehr persönlichen Beziehungen.
Was war in der zweiten Klasse so schlimm?
Ich glaube, dieses keinen Rahmen haben. Die Lehrerin war überfordert. Sie hat sich um die Kinder gekümmert, die schwierig waren. Und ich war immer angepasst. Darum war ich für sie nicht vorhanden.
Sie lassen die Kinder nun hinter sich und gehen jetzt zu den Erwachsenen.
Ja, natürlich ist es ein Einschnitt. Ich habe mir nie ein Auslandsjahr oder so etwas gegönnt. Seit ich sechs war, bin ich immer an der Schule gewesen, also 41 Jahre.
Es gab ja noch mehr Abschiede in diesem Jahr – vom Gemeinderat etwa.
Das war einfach der Arbeitsbelastung geschuldet. Das war schon länger absehbar, dass das nicht zu leisten ist mit dieser Abwicklung der Schule.
Vermissen Sie das Gremium?
Von der Arbeitsbelastung her überhaupt nicht. Was ich vermisse, ist die Mitwirkungsmöglichkeit.
Werden Sie nach Freudental ziehen?
Nein. Ich bleibe in Ludwigsburg wohnen.
Gibt es in dieser angespannten Lebensphase zwischen Neuem und Alten eine Nische, wo Sie sich ausruhen und sich entspannen?
Daheim. Das ist Zuhause. Ich liebe den Ort Ludwigsburg, unser Haus, unseren Garten. Das ist Familie und die Möglichkeit, einfach samstagmorgens auf den Markt zu gehen und dort zu frühstücken, ins Open-Air-Kino zu gehen. Das ist meine Nische.
Werden Sie mehr Zeit zum Schreiben haben?
Ich brauche gar nicht mehr Zeit. Die Zeit, die ich habe, reicht mir. Es klingt immer so böse, wenn ich sage, dass ich Theaterstücke schreibe wie andere Leute Socken stricken. Aber das ist einfach etwas, was von Herzen kommt und aus mir herausfließt. Deshalb habe ich keine Sorge, dass ich zu wenig Zeit haben könnte. Ich habe nur Sorge, dass ich zu wenig Ruhe haben könnte. Ich bin innerlich noch nicht zur Ruhe gekommen.
Reift gerade schon wieder ein Stoff in Ihnen?
Immer. Im Moment arbeite ich am Thema Schwabenaufstand. Ausgehend vom Armen Konrad, dem Aufstand vor 500 Jahren in Beutelsbach. Ich schaue, wo es in der Geschichte noch weitere Aufstände im Schwäbischen gibt – bis hin zu Stuttgart 21.