Das Ludwigsburger Schillergymnasium richtet eine Literaturwerkstatt ein – und arbeitet bei diesem Projekt mit dem Deutschen Literaturarchiv in Marbach zusammen. Zehn Schüler befassen sich dabei freiwillig mit Originaltexten, Briefen und Manuskripten.

Ludwigsburg - Das Buch, das Mohamed am meisten fasziniert, sollte eigentlich gar nicht mehr existieren. Ein Zeitzeuge der Bücherverbrennung im Jahr 1933 in Kiel hat das halbverbrannte Buch mitgenommen – und so vor der sicheren Zerstörung durch die Nazis gerettet. Heute liegt es in einer der langen, indirekt beleuchteten Vitrinen des Literaturmuseums der Moderne in Marbach. Deutsch ist nicht gerade sein stärkstes Fach in der Schule, sagt Mohamed Hamad. Der 17-Jährige aus Ludwigsburg geht in die elfte Klasse des Schillergymnasiums. Er hat sich freiwillig für die neue Literaturwerkstatt des Gymnasiums und des Deutschen Literaturarchivs gemeldet – genauso wie neun Schulkameraden aus den Klassen zehn bis 12.

 

Zum Auftakt der Kooperation erhalten die Schüler eine Führung durch das Museum auf der Schillerhöhe – allerdings keine Führung im herkömmlichen Sinn. Die jungen Besucher schauen sich die Dauerausstellung selbstständig an und notieren ihre Beobachtungen in einem Fragebogen. Mohamed hat bei der Frage nach seinem Lieblingsbuch „Harry Potter“ aufgeschrieben. „Ich habe mit zwölf Jahren angefangen, diese Reihe zu lesen und dabei die Zeit vergessen“, sagt der 17-Jährige. „Das ging mir bis dahin noch bei keinem Buch so.“

Schüler staunen über Hitlers Original-Unterschrift

Texte von J.K. Rowling sucht man in dem Museum, das auf deutsche Autoren spezialisiert ist, vergebens. Stattdessen staunen Schüler und Lehrer über Kalender-Einträge, eine mysteriöse Holzmaske und vor allem über einen Brief von Adolf Hitler an Ernst Jünger. Der Nationalsozialist schrieb dem Autor, wie sehr er sein Werk „Feuer und Blut“ verehre. Unter dem mit der Schreibmaschine getippten Text prangt Hitlers Unterschrift.

„Literatur sehen“ ist der Titel des Projekts von Schule und Archiv. Dabei geht es um die Auseinandersetzung mit den Originaltexten, Manuskripten und Briefen, über die das Archiv verfügt. „Das fertige Werk wirkt oft wie gottgegeben“, sagt die Museumspädagogin Verena Staack. „Hier werden jedoch die Arbeits- und Kreativitätsprozesse sichtbar.“ Die Manuskripte offenbaren etwa, was der Autor gestrichen hat oder welche alternativen Titel zur Auswahl standen – etwa bei „Narziss und Goldmund“ von Hermann Hesse.

Katharina möchte Schriftstellerin werden

Schriftstellerin zu werden – das ist der Traum von Katharina Stemmermann. „Das mit dem Schreiben fing bei mir an, weil ich mit Büchern nicht zufrieden war“, sagt die 16-Jährige. Sie hat bereits mehrere Kurzgeschichten verfasst und setzt sich beim Schreiben von Fan Fiction mit bestehenden literarischen Werken auseinander. So hat sie die Geschichte der Eltern von Harry Potter, die in den Büchern angerissen wird, weitergeführt und diese Texte ins Internet gestellt. In der Literaturwerkstatt möchte sie ihr Schreiben weiterentwickeln.

„Der Deutschunterricht ist so durchgetaktet, dass er gar nicht weiterführend sein kann“, sagt der 18-jährige Abiturient Robert Gerlitzky – außerhalb der Sternchenwerke bleibe nicht viel Zeit. Jede zweite Woche soll die Gruppe für zwei Stunden nach Marbach komemn, oder sich im Schillergymnasium treffen. Dabei soll es um kreatives Schreiben, aber auch um die Arbeit im Museum sowie im Archiv gehen.

Rainer Fanta, Deutsch-Lehrer und Kulturbeauftragter der Schule, setzt auf die menschliche Seite der Literatur, die im Archiv erlebbar wird. Schließlich ist es schwierig, im Unterricht einen Brief von Thomas Gottschalk an Marcel Reich-Ranicki zu zeigen – oder ein Buch, dass die Verbrennungen knapp überlebt hat.