Wie geht es weiter mit der Ariane-Rakete? Auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt in Stuttgart haben Ingenieure die aktuellen Pläne der Raumfahrtagentur Esa kritisiert. Die Esa will Satelliten günstiger ins All bringen.

Stuttgart - Die Stimmung unter den 600 Teilnehmern ist zuversichtlich gewesen. Die Deutsche Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt (DGLR) hatte zum jährlichen Treffen nach Stuttgart eingeladen. Doch die Herausforderungen, vor denen die Branche steht, sind groß. In dem Strategiepapier „Flight Path 2050“ (hier als PDF) hat die EU-Kommission vor zwei Jahren ehrgeizige Ziele definiert. Einerseits strebt man an, dass Reisende alle Ziele in Europa in maximal vier Stunden erreichen. Gleichzeitig heißt es darin, dass man bis zum Jahr 2050 den Ausstoß von Kohlendioxid um 75 Prozent, den von Stickoxid um 90 Prozent und die akustische Belastung um 65 Prozent verringern wolle. Nachhaltigkeit war deshalb das große Thema der Tagung, und zwar in zweifacher Hinsicht, wie Programmdirektor Heinz Voggenreiter erklärte: einmal bei der Produktion, aber auch beim Produkt selbst. Zahlreiche Vorträge widmeten sich den Hybridantrieben, neuen Triebwerkstypen und Ökotreibstoffen der zweiten und dritten Generation.

 

Anregungen will sich die Luftfahrt ausgerechnet von einer Branche holen, die nicht unbedingt als Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit gilt – der Automobilindustrie. Der zunehmende Kostendruck in der Luftfahrt habe die Diskussion über Gemeinsamkeiten der beiden Branchen neu beflügelt, sagt Voggenreiter. Für ihn lag es deshalb nahe, beim Vortragsprogramm hier einen Schwerpunkt zu setzen – auch, weil die Region Stuttgart von der Automobilindustrie geprägt ist. Flugzeuge, sagt er, werden bis jetzt strikt nach dem Kriterium der Funktionalität produziert – in der Automobilbranche geht es angesichts weitaus größerer Stückzahlen auch um Effizienz. Diese in der Luftfahrt zu steigern werde nicht einfach, da hier neue Werkstoffe wie etwa faserkeramische Verbundstoffe Einzug halten. Die Vorteile dieser neuen Materialien, sagt Voggenreiter, würden jedoch nicht voll ausgeschöpft. Ein vormals aus Aluminiumlegierungen gefertigtes Flugzeug mit einem Verbundstoff in gleicher Form nachzubauen, sei wenig sinnvoll.

Von Autoherstellern will man Effizienz lernen

Das sieht auch Peter Klose so, der die Innovationsabteilung bei der früheren Daimler-Tochter MB-Tech in Sindelfingen leitet. Er suchte auf der Tagung den Austausch über neue Werkstoffe. Ihn bewegt unter anderem die Frage, wie man Magnesium vor Korrosion schützen kann. Die Beratungsfirma MB-Tech gehört inzwischen zum französischen Technologiekonzern Akka. Sie berät auch Airbus in Bremen bei der Umstellung von Produktionsabläufen. „Neue Werkstoffe“, hat Peter Klose beobachtet, „brauchen neue Organisationsstrukturen, sonst scheitern Sie.“ Das betreffe besonders die Zusammenarbeit mit Zulieferern. Bei einem durchschnittlichen Auto stammt nur etwa ein Drittel vom Hersteller selbst. Ähnlich ist es in der Luftfahrt, wo Triebwerke, Fahrwerk und Kabinenausstattung sowie teils auch Tragflächen außer Haus produziert werden. Umso wichtiger wird laut Klose, dass über den Prozess des Zusammenfügens neu nachgedacht werde. Es reiche nicht, wenn jeder für sich effizient produziere – gerade die Schnittstellen müssten besser durchdacht werden. Das werde dann auch auf die Ausbildung Auswirkung haben: „Wir brauchen wieder mehr Generalisten, die das Ganze im Auge haben“, sagt Klose.

Das sieht Heinz Voggenreiter von der DGLR genauso – auch aus weiteren Gründen: „Unser Umfeld wird sich zunehmend schneller verändern“, sagt er. Das zeigt sich am Markt der kleineren Passagierflugzeuge bis zu einer Größe von etwa 100 Sitzplätzen. Embraer, Bombardier, Mitsubishi und Sukoi haben hier das Duopol von Airbus und Boeing geknackt. Die Vernetzung von Industrie und Forschung hält Voggenreiter bei neuen Technologien für entscheidend. Er setzt deshalb große Hoffnungen auf die neue baden-württembergische Landesagentur für Leichtbau.

Sorgen statt Zuversicht kennzeichnen die Stimmung bei den Kollegen in der Raumfahrt. Zwar haben die Mitgliedstaaten der Europäischen Raumfahrtagentur (Esa) im November 2012 die Fortführung der Ariane 5 beschlossen. Doch inzwischen haben die Franzosen Boden wettgemacht. Sie präferieren eine kleinere Variante, eine Ariane 6, die mit dem neuen, von der Nasa subventionierten Konkurrenten Space-X und dessen Trägerrakete Falcon 9 preislich konkurrieren soll. Möglich wäre das ihrer Ansicht nach mit einem Baukastensystem: Die beiden unteren Raketenstufen würden mit einfachen Feststoffantrieben gezündet, nur die Oberstufe mit Flüssiggas. Diese Idee ist nicht ohne Eigennutz: Das würde den Franzosen durch ihr Knowhow auf diesem Gebiet vermutlich einen größeren Anteil an der Produktion sichern.

In Lampoldshausen könnten Arbeitsplätze wegfallen

Da sie zugleich deutlich mehr in den Betrieb der europäischen Trägerrakete investieren als Deutschland, hat ihre Haltung Gewicht. Im Juli hat ein Gremium der Esa eine Konzeptskizze für die Ariane 6 gebilligt, die diesen Wünschen folgt: Demnach soll ein Start künftig mit um die 70 Millionen Euro nur noch die Hälfte kosten. Allerdings könnte dann auch nur noch ein Satellit befördert werden – statt wie bisher zwei. Sollte die nächste Konferenz der Esa-Minister im kommenden Frühjahr das Konzept für die Ariane 6 tatsächlich beschließen, würden wohl auch in Lampoldshausen bei Heilbronn Arbeitsplätze wegfallen, wo die Ariane-Triebwerke getestet werden.

Kritik erntete die beschlossene Konfiguration auf dem Stuttgarter Branchentreffen aber nicht nur aus dieser Sorge heraus. Udo Apel hält die Entscheidung noch aus anderen Gründen für einen Rückschritt. „Es ist nicht die sinnvollste Lösung gewählt worden“, begründete der Wissenschaftler von der Hochschule Bremen. Zudem liege man mit dem anvisierten Preis immer noch deutlich über dem von Space-X. Mit Sascha Larch und Dietrich Koelle hat er deshalb Alternativen durchgerechnet, bei denen die Rakete ganz oder teilweise wieder verwendbar ist und die auf vorhandenen Technologien basieren. Die drei Wissenschaftler kommen zu dem Ergebnis, dass es möglich ist, mit einer solchen Lösung – obwohl sie fortschrittlicher wäre – die Kosten des von der Esa favorisierten Konzeptes für die Ariane 6 deutlich zu unterbieten. „Europa hätte die Chance, hier wirklich eine Führungsrolle einzunehmen“, sagt Apel.