Umweltzonen helfen nur noch bedingt. Doch in Tübingen werden sie jetzt deutlich ausgeweitet. Es gibt freilich auch andere Ansätze, die Luft reinzuhalten.

Tübingen - Unter der Rubrik „Flops“ bezeichnet das Fachmagazin „Auto Motor und Sport“ im Jahresrückblick die „Umweltzonen als Auslaufmodelle“. Erste Schilder würden bereits wieder abgebaut. Die Präsidentin des Umweltbundesamtes, Maria Krautzberger, wird mit den Worten zitiert, dass die Zonen wegen der Flottenerneuerung keine Wirkung mehr erzielten.

 

Geregelte Katalysatoren werden seit ziemlich genau 30 Jahren verbaut, seit rund einem Jahrzehnt erhalten auch alle Neufahrzeuge mit Dieselmotoren eine grüne Plakette. Nur sehr wenige Autos mit gelber, roter oder gar keiner Plakette sind noch im Straßenbild zu sehen. Meist jene, die kaum gefahren werden und deswegen noch einsatzbereit sind. Umkehrschluss: wer steht, verschmutzt keine Umwelt. Tübingens grüner Oberbürgermeister Boris Palmer bilanzierte 2009, zwei Jahre nach Einführung der Umweltzonen, kurz und bündig: „Außer Spesen nichts gewesen.“

Jetzt handelt Tübingen gegen den Trend. Seit Jahresbeginn dürfen in der ganzen Stadt nur noch Fahrzeuge mit grüner Plakette fahren. Bisher galt das nicht für Teilorte und Bundesstraßen, nun wurde hier wie dort der Schilderwald aufgeforstet. Begründung des zuständigen Tübinger Regierungspräsidiums: „Trotz der Erfolge des seit 2005 eingeführten Luftreinhalteplans werden die Immissionsgrenzwerte für Feinstaub und Stickstoffdioxid in Tübingen weiterhin überschritten.“ Deswegen seien weitere Maßnahmen festgelegt worden. Palmer bleibt skeptisch. Man solle lieber am Auspuff ansetzten, sprich: die Technik weiter verbessern, als für Städte unterschiedliche Konzepte durchzusetzen.

Luftreinhaltung neu gedacht

Damit spielt der OB auf Reutlingen an. Dort wird die Luftreinhaltung nach einem rechtskräftig gewordenen Gerichtsurteil auf eine neue Grundlage gestellt: Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität werden in mehreren Szenarien ermittelt und bewertet. In Reutlingen könne dargestellt werden, „wie Luftreinhaltung unter schwierigen Ausgangsbedingungen funktionieren kann“, heißt es in dieser Mitteilung des Regierungspräsidiums. Die grüne Staatssekretärin im Verkehrsministerium Gisela Splett zeigt sich optimistisch: „Reutlingen könnte im Ergebnis zu einer Modellstadt für nachhaltige Mobilität werden.“ Grüne Plaketten finden keine Erwähnung.

Bisher hat die Einführung der Umweltzone in vielen Städten nur in wenigen Jahren zu deutlichen Senkungen des Schadstoffausstoßes geführt; ein Indiz dafür, dass diese Umweltschädigung mit der Großwetterlage zu tun hat. Zudem wird nur an ganz wenigen Stellen gemessen, im Falle Tübingens in der Mühlstraße und in Unterjesingen. Dort herrschen Ausnahmebedingungen: Die enge Innenstadtpassage wird vorwiegend von Bussen frequentiert, im Teilort gibt es Staus selbst bei Tempo 30.

Die Ausweitung der Umweltzonen hat Proteste bei Umlandgemeinden hervorgerufen. Dort wird befürchtet, dass der Verkehr Tübingen umfährt. Das führe zu zusätzlichen Kilometern und weiteren Belastungen von Rottenburg, Ammerbuch, Gomaringen oder Kirchentellinsfurt. Das Land hält dagegen, dass es sich beim Großteil der Autofahrten in Tübingen um innerörtlichen Verkehr handele und zudem die meisten Autos eine grüne Plakette hätten.

Nachrüstung für Lkw

Insofern wird von den Behörden erhofft, dass bei den Lastwagen nachgerüstet wird. Rund 20 Prozent der Nutzfahrzeuge seien noch nicht als entsprechend Schadstoffarm eingestuft. Ob diese Statistik auch für Ballungsräume mit Umweltzonen gilt, bezweifelt ein Mercedes-Benz-Werkstattleiter aus der Region. „Bei uns ist schon lange kein Lkw mehr ohne grüne Plakette in die Werkstatt gekommen“, sagt er. Handwerker könnten es sich nicht leisten, in manche Gebiete nicht fahren zu dürfen. Die Ausnahme in der Werkstatt: Ein 30 Jahre alter Unimog mit Schneepflug. Doch der wird nur selten eingesetzt, auch er ist vom Wetter abhängig.

Aus einer Erklärung des Umweltbundesamtes ist zu erkennen, dass es die Umweltzonen heutigen Zuschnitts mittlerweile für überholt hält. „Wir favorisieren eine Ausweitung der Umweltzone auf Baumaschinen, Binnenschiffe oder Dieselloks und auch auf weitere Verkehrswege“, sagt Präsidentin Krautzberger. Da in vielen Kommunen die europäischen Grenzwerte für Luftschadstoffe noch überschritten würden, empfiehlt das Umweltamt dazu, „den Rad-, Fuß- und öffentlichen Verkehr in ambitionierter Weise zu fördern“.