Das gemeinsame Lernen von Ganztags- und Halbtagsschülern wirft Probleme auf. Die Stadt Stuttgart sieht ihr Konzept in Gefahr, das Schulamt dagegen bewertet Mischklassen als gute Möglichkeit, Eltern für den Ganztag zu gewinnen.

Stuttgart - Funktioniert das, wenn Halbtagsschüler und Ganztagsschüler in einer Klasse sind? Darüber ist Streit entbrannt. Die Stadt sieht ihr hochwertiges Ganztagsmodell in Gefahr, lehnt Mischklassen ab und wartet auf Antwort von Kultusminister Andreas Stoch (SPD). Die CDU-Fraktion im Gemeinderat spricht von einem Sparmodell und sieht die Schüler als Leidtragende. Das Staatliche Schulamt bewertet Mischklassen hingegen als gute Möglichkeit, Eltern für den Ganztag zu gewinnen. Wie das in der Praxis aussehen könnte, zeigt die Luginslandschule. Sie hat mit einem ausgetüftelten Konzept den Zorn der Eltern gebändigt.

 

Hintergrund ist, dass immer mehr Grundschulen sowohl Ganztag als auch Halbtag anbieten. Doch die beiden Systeme sind nach Lesart der Stadt nicht in einer Klasse kompatibel. Der Grund: der Ganztag nach dem Stuttgarter Modell biete, so OB Fritz Kuhn (Grüne) in einer Antwort auf einen Antrag der CDU, „vor allem einen kindgerechteren Umgang mit Zeit“. Das bedeutet, dass eben nicht, wie beim Hort, die freizeitpädagogischen Angebote nachmittags an den Regelunterricht „angeklebt“ werden, sondern dass sich beide Phasen rhythmisch abwechseln und Lehrer und Sozialpädagogen in Teams zusammenarbeiten. Doch wie soll das funktionieren, wenn in derselben Klasse auch Halbtagsschüler sitzen, die ihren Regelunterricht am Stück am Vormittag erhalten?

Der Schulleiter hat seine Meinung geändert

Auch Andreas Passauer hielt Mischklassen vor einem Jahr noch für „pädagogischem Unsinn“. Damals erreichte der Leiter der Luginslandschule, dass er statt drei ersten Klassen vier einrichten durfte – zwei Ganztags- und zwei Halbtagsklassen, bei 37 Ganztags- und 32 Halbtagsschülern. Das entsprach zwar nicht der reinen Lehre, doch damit war der Schulfrieden gesichert. Aber im nächsten Schuljahr werden ihm für seine 68 Erstklässler nur drei Klassen genehmigt. Da ist bei 39 Anmeldungen für den Halbtag und 29 Anmeldungen für den Ganztag guter Rat teuer. Und die Eltern hatten Angst vor einer übergroßen Klasse.

„Das regt mich seit letztem Jahr auf“, sagt Andrea Mauch, Elternbeirätin und Mutter einer Erstklässerin im Ganztag. Ihre Kritik richtet sich nicht gegen die Schule, sondern gegen die Kultuspolitik. „Die Eltern der Ganztagskinder waren skeptisch, wie die Rhythmisierung des Tagesablaufs, die ja essenziell ist, bei einer Mischung umgesetzt werden kann.“

Ganztagsschüler bekommen das attraktivere Angebot

Passauer und sein Schulteam entwickelten mit den Sozialpädagogen von der Jugendhausgesellschaft ein Konzept, mit dem nun alle Eltern leben können. Demnach erhalten die Kinder jeden Tag in der fünften Stunde getrennten Unterricht: die Halbtags-Erstklässler mit den Halbtags-Zweitklässlern zusammen und die Ganztags-Erstklässlern mit den Ganztags-Zweitklässlern. Gleiches gilt für die erste Stunde donnerstags und dienstags. Der getrennte Unterricht beziehe sich auf die Fächer Sport und Menuk (Mensch, Natur und Kultur) – „die Inhalte werden für die Ganztägler ein bisschen attraktiver ausgestaltet“, sagt Passauer. „Wir haben vor, im Ganztag Schwimmunterricht anzubieten.“ Im Musikunterricht könnten die Kinder dann Mundharmonika lernen. Die derzeitigen Ganztägler spielten Theater, stellten Bilderbücher her und hätten Backen gelernt und Marmelade gekocht.

„Rhythmisierung heißt für uns, es gibt Anspannung und Entspannung – auch am Vormittag“, sagt Passauer. „Wir mischen die Teams von Lehrern und Sozialpädagogen bewusst – ich finde es eine Riesenbereicherung. Wir wollen nicht nur betreuen, sondern auch bilden. Aber die Kinder dürfen nach dem Mittagessen auch mal ruhen.“ Der Schulleiter räumt aber ein: „Es ist für die Lehrer eine Herausforderung.“

Nur Halbtagsschüler machen die Hausaufgaben daheim

Das sehen auch die Eltern so und zollen dem Konzept und dem Engagement der Pädagogen Respekt. Es sei „die beste Lösung, die machbar war“, sagt Andrea Mauch. Auch Karin Feinauer, Elternbeirätin in der Halbtagsklasse, sagt, Lehrer und Betreuer hätten „aus der Misere etwas zustande gebracht, was auf den ersten Blick soweit überzeugt“. Nun müsse man sehen, wie die Umsetzung gelinge. Etwa, wie die Hausaufgaben, die die Halbtagskinder daheim machten, im Unterricht rückgekoppelt würden, ohne dass in dieser Zeit die Ganztagskinder „vergessen“ würden.

Wie viele Mischklassen es gibt oder geben wird, darüber hat Ulrike Brittinger, die Leiterin des Staatlichen Schulamts, keinen Überblick. „Die Schulen organisieren das in eigener Verantwortung.“ Sie sehe darin aber nur einen Zwischenschritt. „Die Ganztagskinder werden die Botschafter sein – somit wird die Ganztagsschule auch für andere Eltern sichtbarer.“