Dresden - Der Film beginnt mit Szenen, die aussehen, wie aus den 60er Jahren – ein Familienfest, lachende Kinder, alles in der Schmalfilmästhetik vergangener Zeiten. „Früher hieß es ja immer, normal wär‘ irgendwie langweilig“, sagt eine Stimme aus dem Off. Dann wechselt die Szene: Eine ausgestorbene Innenstadt in der Pandemie, eine Klimaschützerin, Ausschreitungen beim G20-Gipfel. Die Stimme fragt: „Aber heute – ist nicht normal das, was uns fehlt?“ So fängt er an, der Spot für die Kampagne, mit der die AfD in den Bundestag ziehen möchte.
Für Meuthen sind die Grünen der Hauptgegner
Aber am Samstagmittag, der Parteitag ist da gerade zwei Stunden alt, zeigt die AfD, wie sie sich professionalisiert hat. Der Streit um Personen wird abgeräumt. Die Spitzenkandidaten soll die Basis wählen, der Abwahlantrag schafft es mit knapper Mehrheit nicht auf die Tagesordnung. Dafür schafft es Meuthen, die Delegierten in seiner Begrüßungsrede einzustimmen.
Er nennt die Grünen als Hauptgegner, da CDU und SPD „inhaltlich so am Ende“ seien, dass sich die Befassung nicht lohne. Gleichzeitig greift er vor allem die CDU an – und nutzt deren einstigen Wahlslogan „Freiheit statt Sozialismus“. Dies sei die eigentliche Wahl, vor der das Land stehe. „Freiheit, dafür stehen wir, die AfD, und Sozialismus, dafür steht die Partei der Grünen“, sagt Meuthen. Er mahnt seine Partei zur Einigkeit. Dabei hat er noch etwas anderes als die Bundestagswahl im Blick. Anfang Juni wird in Sachsen-Anhalt gewählt, die AfD könnte hier erstmals stärkste Kraft werden.
Das Wahlprogramm ist radikaler als der Leitantrag
Das klingt nach Geschlossenheit. Der Richtungskampf allerdings spielt sich an anderer Stelle ab. Nach langen Debatten verabschiedet die Partei ein Wahlprogramm, das an vielen Stellen deutlich radikaler ist als der Leitantrag. Die Partei spricht sich für den Austritt aus der Europäischen Union aus – weder eine Gegenrede Meuthens noch eine des Ehrenvorsitzenden Alexander Gaulands können die Delegierten davon abhalten. Einer der Fürsprecher der Austrittsforderung ist der Vorsitzende des Haushaltsausschusses im Bundestag, Peter Boehringer.
Auch der migrationspolitische Kurs wird von den Delegierten noch verschärft, auch qualifizierte Einwanderung soll stark eingeschränkt werden. Warnungen, man zeige sich hier angesichts des Fachkräftemangels als ahnungslos, werden niederargumentiert. Es setzt sich die Formulierung durch, der „sogenannte Fachkräftemangel“ sei ein „konstruktives Narrativ der Industrie- und Wirtschaftsverbände sowie anderer Lobbyvereine“. Auch der Familiennachzug wird komplett abgelehnt – gegen die Mahnung, man sei eine Familienpartei.
Björn Höcke agiert, wenn er Mehrheiten drehen kann
Einer der Protagonisten des Radikalisierungskurses: Björn Höcke. Immer wieder tritt der extrem rechte Thüringer Landeschef ans Mikrofon, warnt mal vor einer „kulturellen Kernschmelze“ durch Zuwanderung und votiert für eine Abschaffung des Verfassungsschutzes. Leidenschaftlich setzt er sich auch für eine Corona-Resolution ein, mit welcher die Partei nahe ans Protestmilieu gegen alle Pandemiemaßnahmen heranrückt: Die AfD verlangt darin im Prinzip komplette Freiwilligkeit bei allen Schutzmaßnahmen. Höcke spricht in einem Interview mit dem ZDF dazu von einer „herbeigetesteten Pandemie“. Der führende Kopf des ultrarechten Parteiflügels ist bei diesem Parteitag präsenter denn je. Er agiert, wo er damit rechnen kann, Mehrheiten zu drehen.
Am Abend, viele Delegierte sind abgereist, holt Höcke noch einmal zum Schlag aus: Er erhält eine Mehrheit dafür, den von Meuthen geschassten Leiter der Arbeitsgruppe Verfassungsschutz, Roland Hartwig, wieder einzusetzen. Seine Rede nutzt er zu einer Attacke gegen den Bundesvorstand. Die Botschaft ist klar: Hier zeigt einer seine Kraft.
Nach diesem Wochenende ist die AfD radikaler aufgestellt als geplant. Ob das der Kurs der Zukunft wird, werden die nächsten Monate zeigen. Im November wird eine neue Parteispitze gewählt. Bei der Spitzenkandidatur für die Bundestagswahl ist noch alles offen. Fest steht nur die Kandidatur von Co-Chef Tino Chrupalla und der digitalpolitischen Sprecherin Joana Cotar aus Hessen, die im Meuthen-Lager verortet wird. Fraktionschefin Alice Weidel hat offengelassen, wie sie sich entscheidet.