Wie funktioniert das Geschäft mit der Mode? Und was haben Motorenöl und Olivenöl damit zu tun? Ein Besuch beim Stuttgarter Label Mademoiselle YéYé, der auch mit manchem Vorurteil aufräumt.

Freizeit & Unterhaltung : Ingmar Volkmann (ivo)

Stuttgart - Küsschen links, Küsschen rechts und den ganzen Tag nur Wattebäuschchen essen, damit die Modelfigur niemals in Gefahr gerät: Die Modebranche ist eine schrecklich oberflächliche Angelegenheit. So viel zu den Klischees. Nach einem Gespräch mit Florence Shirazi und Kai Alt, den Betreibern des Stuttgarter Modelabels Mademoiselle YéYé muss man sich aber von einigen lieb gewonnen Vorurteilen verabschieden.

 

Mademoiselle YéYé ist vor vier Jahren gegründet worden und verkauft mittlerweile Tonnen an Textilien hauptsächlich in die Benelux-Staaten und nach Skandinavien. Geschmackserziehung im Stile der 60er Jahre für hippe Dänen und schicke Belgier, die in Stuttgart erdacht und in Istanbul unter fairen Bedingungen produziert wird – wie konnte das passieren?

Die Geschichte der Marke ist so ungewöhnlich wie die beiden Protagonisten selbst. Kai Alt hat Erziehungswissenschaften studiert und engagiert sich in der Rassismusaufklärung an Schulen. „Wenn ich Freunden erzähle, dass ich Mode mache, denken die sofort an Sportswear“, sagt Alt, der zum Interview im sportlich-eleganten Oberteil erschienen ist, das so auch ganz gut in die Indie-Disco passen würde. Florence Shirazi ist Grafikerin und Teilhaberin der Boutique Flaming Star im Gerberviertel. Gemeinsam feilen sie an den Entwürfen für ihre Sixties-inspirierte Damenmode. „Das technische Zeichnen für die Modebranche ist eine internationale Sprache, wie Bauzeichen zum Beispiel, die wir beide nicht gelernt haben, sondern uns aneignen mussten“, sagt Shirazi.

Der Januar ist der entscheidende Monat

Wie geht man als „Autodidakt mit Style“ (Shirazi) an die Produktion einer Kollektion heran? „In der Mode wird weit im Voraus geplant. Wir sitzen gerade an den Entwürfen für den Sommer 2017“, so Shirazi. Zunächst sammle man Ideen, in welche Richtung die Kollektion gehen soll. „Es folgen Skizzen, danach die Zeichnungen. Dabei ist es wichtig, dass eine Knopfleiste so gezeichnet wird, dass der Produzent sie auch umsetzen kann“, sagt Shirazi. Die beiden Modemacher betonen, dass sie unter fairen Bedingungen in Istanbul produzieren lassen. „Wir fliegen mindestens viermal im Jahr hin, um die Arbeitsbedingungen zu kontrollieren“, so Alt.

Der Januar sei ein entscheidender Monat in der Modebranche. „Dann sind wir mit unserer Kollektion in mehreren Showrooms präsent, Boutiquen schreiben ihre Bestellungen und dementsprechend wird produziert“, so Shirazi. Im Sommer erfolge die Auslieferung für Herbst/Winter. „Manchmal kann man die eigenen Sachen dann nicht mehr sehen, weil man sich viel zu lange damit beschäftigt hat“, sagt Shirazi, und beschreibt einen Prozess, der vielleicht vergleichbar ist mit dem von Musikern, die ihre Songs oft auch nicht mehr hören können, wenn sie damit auf Tour gehen.

Franzosen investieren in Olivenöl, Deutsche in Motorenöl

In Stuttgart präsentieren die beiden, die auch privat ein Paar sind, ihre Mode in der Zeitgeist-Mall Fluxus am Rotebühlplatz. Die Zielgruppe ist dabei erstaunlich breit. „Angefangen haben wir mit Modekleidern, die nur in einen Subkultur-Rahmen gepasst haben“, sagt Alt. Heute komme den beiden aber entgegen, dass der Retro-Schick der 60er in der Mitte der Gesellschaft angekommen sei. „Dadurch dass uns die Tierrechtsorganisation Peta als vegan zertifiziert hat, fühlt sich diese Klientel bei uns wohl“, sagt Shirazi, die nebenbei bei Veranstaltungen wie dem Marienplatz-Fest vegane Hotdogs verkauft. „Es kommt aber auch eine ältere Breuninger-Klientel zu uns, darunter eine flotte 80-Jährige, die lässig erzählt, dass sie zehn Kleider von uns im Schrank hat“, sagt Kai Alt.

Dabei liegt der Fokus der beiden Modemacher gar nicht auf ihrem Laden in Stuttgart, sondern vielmehr auf dem Vertrieb ins Ausland. Wieso funktioniert Mademoiselle YéYé gerade in Belgien, in den Niederlanden oder in Skandinavien so gut? „In anderen Ländern hat Mode einen ganz anderen Stellenwert. Die Deutschen könnten auch mehr Kohle für Kleidung ausgeben. Hier wird aber anders gewichtet“, erklärt Alt. Dieses Phänomen kenne man auch aus der Gastronomie: In Italien oder Frankreich wird mehr Geld für Lebensmittel ausgegeben, zum Beispiel für Olivenöl, während der Durchschnittsdeutsche lieber in ein anständiges Motorenöl investiert.

Hierzulande steht der praktische Aspekt im Vordergrund

„Dieses unterschiedliche Konsumveralten haben wir mal an einem Tag in Antwerpen geschnallt“, erinnert sich Kai Alt. „Dort siehst du an einem Spätsommerabend 80 Prozent aller Frauen schicke Kleider tragen, darunter viele farbenfrohe Retroschnitte mit auffälligen Mustern.“ In Deutschland sei der Kleiddungsstil viel gedeckter und uniformierter, der praktische Aspekt stehe im Vordergrund.

„Funktionsklamotten sind nicht umsonst so erfolgreich in Deutschland. Damit gehen die Leute hier sogar ins Büro, weil das Tragefeeling so bequem ist. Früher hat das Ehepaar Beige im Partnerlook gekauft, heute wagt man sich dann immerhin an ein Rot“, sagt Shirazi.

Es gibt aber Hoffnung, darin sind sich Alt und Shirazi einig: „Stuttgart entdeckt das Modeding für sich“, findet Shirazi. „Das betrifft alle Ebenen, die Kneipendichte, das Gefühl von Urbanität ist in den letzten zehn Jahren hier explodiert. Die Leute wollen raus und die Vorzüge einer Großstadt genießen“, sagt Alt, um einzuschränken: „Nur die Alternativkultur hinkt hinterher. Außer Contain’t gibt es nichts.“ Verabschiedung ganz ohne Küsschen, eine letzte Frage: Was macht die beiden auf ihrer Mission gegen Funktionskleidung am meisten glücklich? Alt: „Der Moment, wenn du ein von dir erdachtes Kleid das erste Mal an einer guten Person auf der Straße siehst, ist einfach nur unglaublich.“