Wie Ebay für Frauenmode: Das Start-up „Mädchenflohmarkt.de“ macht Millionen mit gebrauchten Klamotten. Ein Blick in Stuttgarts größten Kleiderschrank.

Digital Desk: Jonas Schöll (jo)

Stuttgart - Einige der Teile, die bei Guiseppina Falcone auf dem Schreibtisch landen, haben einst Frauenherzen höher schlagen lassen. Vor der jungen Frau mit den schwarzen Locken türmen sich Pumps von Prada, Sandalen von Chanel und Röcke von Pimkie. Die 23-Jährige krempelt ein schwarzes Kleidchen um. Sie kramt nach dem Etikett, sucht nach Flecken im Stoff, Rissen und Löchern.

 

Schließlich will niemand kaputte Ware kaufen, auch wenn er einen Burchteil des Neupreises für ein Luxuskleid, eine Tasche oder ein Paar Schuhe ausgibt. Und natürlich auch nichts Gefälschtes. „Man bekommt ein Auge für Fakes“, sagt Guiseppina Falcone. Sie ist eine von etwa 100 Mode-Expertinnen beim Stuttgarter Start-up „Mädchenflohmarkt.de“, einem der bekanntesten Online-Portale für gebrauchte Mode in Deutschland.

Im Schrank lauter Klamotten – zu oft getragen für den eigenen Geschmack, aber nach wie vor schick? Das Stuttgarter Start-up löst solche Luxus-Probleme. Die Plattform gibt verflossenen Mädchen-Modeträumen eine zweite Chance in einer digitalen Shopping-Glitzerwelt. Auf dem Online-Portal können Nutzerinnen nicht mehr benötigte Klamotten und Accessoires verkaufen und bestellen.

In den Arbeitsräumen des Mädchenflohmarkts in Zuffenhausen herrscht eher Lagerhallen-Charme als Boutiquen-Flair. Zu Stuttgarts größtem Kleiderschrank gelangt man über einen Hinterhof, ein paar Gehminuten entfernt vom Porsche-Hauptquartier. In einer 2000 Quadratmeter großen Halle hängen dicht aneinandergereiht Zehntausende von Kleiderbügeln. Pullover von Dior, Röcke von Jil Sander und Mäntel von Moschino.

Jahresumsatz im zweistelligen Millionenbereich

Mittendrin steht die gebürtige Russin Maria Spilka. Die 29 Jahre alte Jungunternehmerin ist das Gesicht des Stuttgarter Online-Modeshops, der in der Startup-Szene für Furore sorgt. Die studierte Wirtschaftswissenschaftlerin mit dem warmen Lächeln hat schon früh ein Gespür für Mode bewiesen. Sie war eine der ersten, die in Deutschland den Trend zur Secondhand-Mode aus dem Internet erkannt hat.

Das Geschäft mit der hochwertigen gebrauchten Mode zu erschwinglichen Preisen hat in den vergangenen Jahren an Fahrt gewonnen, auch wenn es keine offiziellen Branchenzahlen gibt. Mittlerweile sind bei Mädchenflohmarkt neben exklusiven Stücken von Prada und Luis Vuitton auch günstigere Marken wie Pimkie im Sortiment. 25.000 Kleidungsstücke werden pro Monat verkauft. Der Jahresumsatz liegt im zweistelligen Millionenbereich.

„Wir platzen hier aus allen Nähten und suchen intensiv nach neuen Flächen“, sagt Spilka. Etwa 100.000 Kleidungstücke und Accessoires lagern in der Halle, an die 1000 kommen täglich dazu. „Wir könnten jede Woche fünf bis zehn neue Mitarbeiter einstellen. Also, wenn Sie jemanden kennen.“ An die hundert Mitarbeiter beschäftigt das Online-Portal derzeit schon, die in Schichten arbeiten.

Die Macher sprechen liebevoll von „Preloved Fashion“

Die Idee, gebrauchte Dinge weiterzuverkaufen, gibt es schon ewig. Doch selten gab es so viele Möglichkeiten wie heute, Gebrauchtwaren loszuwerden – vor allem im Internet. Mehr als zwanzig Start-ups handeln im Netz mittlerweile mit Klamotten aus zweiter Hand. Second Hand war gestern, heute sprechen die Macher liebevoll von „Preloved Fashion“. Vor allem junge Frauen tummeln sich mit aufwendig gestalteten Fotos ihrer modischen Stücke auf Plattformen wie „Kleiderkreisel.de“, „Rebelle.com“ oder „Vite-Envogue.de“.

Daniela Kaminski, Geschäftsführerin beim Branchenverband „Second-Hand vernetzt“, freut sich über Plattformen wie Mädchenflohmarkt. Sie sagt aber auch: „Man muss abwarten, ob sich dieses Modell durchsetzt und rechnet.“ Schließlich berge das Geschäft einige Risiken, etwa wenn die Qualität der Klamotten schlecht sei. Außerdem trage das Unternehmen die Kosten für das Porto der vielen Kleiderpakete – und im schlechtesten Fall auch den Preis für deren Entsorgung.

Das Besondere am Stuttgarter „Ebay für Frauenmode“, wie Spilka ihr Geschäft nennt, ist der sogenannte Concierge-Service. Dabei kann die Verkäuferin ihre Klamotten kostenfrei in einem Paket nach Zuffenhausen schicken. Dort wird die Ware geprüft und ins Internet gestellt. Gegen eine Provision von 40 Prozent übernimmt Mädchenflohmarkt den Verkauf, also Produktbeschreibung, professionelle Fotos, Lagerung und Versand.

Wenn ein Artikel nicht die Kriterien erfüllt oder sich nach acht Monaten nicht verkauft, können die Kundinnen zwischen Rückversand und Spende wählen. Oder sie stellen die Ware einfach selbst auf dem Portal online, wobei eine Gebühr von zehn Prozent anfällt.

Marken-Expertin Falcone ist im Concierge-Service tätig. Mit etwa zwanzig Kolleginnen nimmt sie jeden Artikel, der über das Online-Portal angeboten wird, in Augenschein. Mehrere Hunderte Kleidungsstücke sind das im Schnitt am Tag. Nach der Inspektion tippt sie Daten wie Markenname, Größe, Stoff und Zustand in einen Computer ein. Eine Software errechnet dann eine Preisempfehlung, basierend auf ähnlichen Artikeln, die in der Vergangenheit über die Online-Theke gingen.

Der Weg zum florierenden Online-Handel

Ein paar Flure weiter, vorbei an Pakettürmen und hastigen Postboten, drückt Fotografin Denise Opitz den Auslöser ihrer Kamera. Sie soll die Ware an einer von insgesamt elf Fotostationen ins rechte Licht rücken. Ein paar Klicks und Blitze später landet das Kleidungsstück dann im Internet – und an einem der vielen Kleiderbügel in der Halle.

Der Weg zum florierenden Online-Handel war für den Mädchenflohmarkt ungewöhnlich. Es war der Ärger über ihren überquellenden Kleiderschrank, der Spilka vor sieben Jahren zu ihrer Geschäftsidee verhalf. „Ich hatte so viele Kleidungsstücke im Schrank, die ich noch nie getragen hatte, an denen sogar noch die Etiketten hingen“, erinnert sich die Stuttgarterin.

Vergebens versuchte sie daraufhin, ihre ausrangierten Klamotten zu verkaufen. Auf dem Flohmarkt bot man ihr für ein urpünglich 300 Euro teures Kleid aus Seide mit Straußenfedern und Perlen verziert gerade noch 30 Euro. Als Lösung ihres Problems war die Idee vom Ebay für Frauenmode geboren.

Gemeinsam mit zwei Geschäftspartnern machte Spilka Marktanalysen, ließ eine Website bauen und bewarb die Plattform über Newsletter und soziale Netzwerke. Der Online-Handel kam so gut an, dass die Internetseite nach kurzer Zeit zusammenbrach. Schnell haben die Gründer gemerkt: „Mit der Idee haben wir einen Nerv getroffen“, erzählt Spilka.

Gute Zeiten, schlechte Zeiten

Dann folgten arbeitsreiche Tage und schlaflose Nächte. Mit viel Herzblut brachten die Gründer ihr Unternehmen bei sich zuhause voran. Anfangs bügelten, falteten, und fotografierten sie die ihnen zugeschickte Kleidungsstücke noch selbst. „Das war so eine Phase, da habe ich öfter das Bügeleisen angelassen, als ich die Wohnung verlassen habe. Es war einfach so viel los“, erinnert sich Spilka.

Inzwischen ist die Anzahl der Facebook-Follower auf etwa 700.000 Mitglieder angewachsen, bei Instagram sind es mehr als 40.000 Follower. Millionen-Investitionen von Vorwerk Ventures und Catalpa, dem Family Office der Familie Breuninger, brachten das Unternehmen richtig in Schwung.

Doch das Start-up musste auch bittere Rückschläge verkraften. 2015 war so ein Jahr. Mädchenflohmarkt benötigte dringend eine Geldspritze. „Dann ist uns in letzter Minute kurzfristig ein Investor abgesprungen. Das war sehr, sehr schwer“, erinnert sich Spilka. Die Stimmung im Team verschlechterte sich, Kündigungen standen an. Eine der schmerzhaften Erfahrungen für Spilka: Auch eine ihrer besten Freundinnen musste sie in dieser Zeit vor die Türe setzen.

Was gute Unternehmer ausmacht

In einem viel beachteten Facebook-Posting unter der Überschrift „Meine unternehmerischen Fuck-Ups und Höhen“, bilanzierte ein Mitgründer damals. „Mädchenflohmarkt hatte über 12 Monate ohne Marketing und große Investitionen um das Überleben gekämpft und ist dabei nicht gestorben und auch nicht implodiert.“ An Aufgeben dachte Spilka aber nie: „Eine der wichtigsten Eigenschaften für gute Unternehmer ist Durchhaltevermögen. Früher oder später wird es mal brenzlig. Man findet immer eine Lösung.“

Nach wie vor sei Mädchenflohmarkt von Investoren abhängig. „Aber wir haben uns die schwäbische Mentalität angeeignet und wollen nie zu weit weg sein von der Profitabilität“, erklärt Spilka. Diese schwäbische Bodenständigkeit passt auch zur ihrer Vision. Spilka möchte Secondhand-Kleider für Frauen zur Selbstverständlichkeit machen und setzt sich für bewusstes Konsumieren ein. Bei bis zu 40 Kollektionen im Jahr werde vieles nur kurz getragen und hänge dann sinnlos im Schrank herum. „Wir wollen das Denken und Shoppen der jungen Frauen verändern.“